Die Welt Kompakt - 01.08.2019

(Brent) #1

30 PANORAMA DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,1.AUGUST2019


R

ichter Stefan Bürgelin
wirkt nicht wie ein
Mensch, der schnell aus
der Haut fährt. Er
spricht ruhig, mit sonorer Stim-
me, und wenn er einmal lächelt
oder gar kurz auflacht, wirkt das
fast wie ein Versehen.
Das heißt, dass an diesem
Mittwochvormittag etwas Be-
sonderes passiert sein muss.
Denn es gibt einen Moment, in
dem scheint dem Vorsitzenden
der Freiburger Schwurgerichts-
kammer der Kragen zu platzen.
Er hat gerade einem Zeugen ei-
nen Vermerk vorgelesen, der sei-
ne Zeugenaussage bei der Polizei
zusammenfasst, da unterbricht
ihn dessen Anwältin, Kerstin
Oetjen. „Wo ist die Fundstelle in
den Akten?“

VON PER HINRICHS
AUS FREIBURG

Der Richter spricht weiter. Die
Anwältin stellt ihre Frage, wieder
und wieder, in den Redefluss des
Richters hinein. Bürgelin, offen-
sichtlich angesäuert, will ihr das
Wort entziehen. Doch die Anwäl-
tin redet weiter.
Schließlich ruft, fast brüllt er:
„Seien Sie endlich mal still und
quaken Sie nicht mehr dazwi-
schen!“
„Ich will nur helfen!“, sagt
Oetjen.
„Ich will das nicht!“, blafft
Bürgelin zurück.
„Unerhört!“, ruft Oetjen.
„Ja, das ist unerhört, was Sie
hier machen!“
Die Klimaanlage kühlt den Saal
IV des Freiburger Landgerichts
auf etwa 20 Grad herunter, doch
an diesem neunten Verhand-
lungstag wird die Diskussion so
hitzig geführt, dass der gesamte
Prozess zeitweise zu platzen
droht. Es wird auf einmal sicht-
bar oder zumindest erahnbar,
dass das Verfahren die Justiz an
ihre Grenzen bringt.
Es geht noch immer um die
Frage, ob die 18-jährige Friederi-
ke W. (Name geändert) in der
Nacht zum 14. Oktober 2018 ne-
ben einem Klub in Freiburg ein-
vernehmlichen Sex mit mindes-
tens elf jungen, ihr unbekannten
Männern in einem Gebüsch hatte
oder ob die Angeklagten sie unter
Drogen setzten und vergewaltig-
ten, wie die Staatsanwaltschaft
glaubt.
Das heißt in diesem Fall: Elf
Angeklagte, neun Syrer, ein Ira-
ker und ein Deutscher, die mor-
gens mit neun Gefangenentrans-
portern aus Gefängnissen in ganz
Baden-Württemberg nach Frei-
burg gekarrt werden, drängen
sich mit ihren Anwälten in den
viel zu kleinen Saal. Dazu kom-
men zwei Sachverständige, eine
Nebenklagevertreterin und bis
zu zwölf Justizbeamte, die die an
den Füßen gefesselten Angeklag-
ten bewachen. Die Ermittler ha-
ben DNA-Spuren von einigen der
Männer gesichert, aber nicht von
allen.
Da die Angeklagten bisher
schweigen, haben die Aussagen
der Zeugen ein besonderes Ge-
wicht, die die junge Frau gesehen

und ihre Schreie gehört haben.
Die haben ihre Wahrnehmun-
gen bei der Polizei längst zu Pro-
tokoll gegeben. Nun, vor Gericht,
erinnern sie sich manchmal nicht
genau an das, was sie damals ge-
sehen oder was sie der Polizei er-
zählt haben. Da sie bislang alle
erst ein paar Jahre in Deutsch-
land leben, ist auch die Sprache
manchmal ein Problem. Und die
Vernehmungen ziehen sich we-
gen der Übersetzungen in die
Länge. Und weil der Richter De-
tails immer wieder besprechen
oder nachfragen muss, um zu
klären, um sich ein Bild davon zu
machen, was der Zeuge tatsäch-
lich mitbekommen hat.
Er hat es außerdem mit Vertei-
digern zu tun, die die Rechte ih-
rer Mandanten mit großem En-
gagement wahren. So sehen sie
es jedenfalls.
Die Anwältin Oetjen etwa hat
Bürgelin offenbar zu Recht auf
einen Fehler hingewiesen: Vor-
halte aus Polizeivermerken, die

Zeugenaussagen zusammenfas-
sen, sind nicht zulässig. Richter,
Staatsanwälte und Verteidiger
müssen einen Zeugen mit dessen
Originalaussage aus dem Verneh-
mungsprotokoll konfrontieren,
um eine Erinnerung wachzuru-
fen oder einen Widerspruch auf-
zuklären. So sieht es die Straf-
prozessordnung vor.
Genau so ein vermeintlich
kleiner Fehler kann schon ausrei-
chen, ein Verfahren in der Revisi-
on platzen lassen.
Verteidiger Philipp Rinklin
springt seiner Kollegin zur Seite
und moniert den Vorhalt. „Sie
sind jetzt nicht dran, Sie müssen
sich an die Reihenfolge halten!“,
sagt der Richter auch ihm. Er ver-
teidigt es damit, dass „wir sonst
drei Tage mit dem Zeugen hier
sitzen“. Rinklin aber beantragt
eine halbe Stunde Unterbre-
chungszeit, um mit seinem Man-
danten zu besprechen, ob ein Be-
fangenheitsantrag gegen den
Richter gestellt wird. „Eine halbe

„Hören Sie


auf zu


quaken!“


Beim Gruppenvergewaltigungs-Prozess


in Freiburg geht es hoch her. Ein


Wutausbruch des Richters bringt


das Verfahren fast zum Platzen


A$AP-ROCKY-PROZESS


Weißes Haus


schickt Experten


Im Fall des inhaftierten US-
Rappers A$AP Rocky hat die
US-Regierung einen ranghohen
Diplomaten nach Schweden
geschickt. „Ich bin auf Wunsch
des Präsidenten hier, um die
amerikanischen Bürger zu un-
terstützen“, sagte Robert
O’Brien der Zeitung „Expres-
sen“. Botschafter O’Brien ist
Sondergesandter des US-Prä-
sidenten für Geiselnahmen.
Rakim Mayers, alias A$AP Ro-
cky, und zwei seiner Begleiter
müssen sich zurzeit vor dem
Stockholmer Bezirksgericht
wegen Körperverletzung ver-
antworten. Sie sollen einen
19-Jährigen zusammengeschla-
gen haben. Die drei Amerikaner
sprechen von Notwehr. Donald
Trump hatte sich für die Frei-
lassung des Rappers eingesetzt
und dem schwedischen Mi-
nisterpräsidenten Stefan Löfven
vorgeworfen, die afroamerika-
nische Gesellschaft in den USA
im Stich zu lassen.


BODENSEE


Über 200 Erkrankte


nach Fäkalienfluss


Beim Landratsamt Bodensee-
kreis melden sich immer mehr
Menschen, die beim Baden im
Bodensee mit verunreinigtem
Wasser in Kontakt kamen und
erkrankten. Inzwischen wisse
man von 216 Personen. Viele
hatten über Durchfall und Er-
brechen geklagt. Fünf seien mit
dem Norovirus infiziert – das
Virus ist sehr leicht übertragbar
und gehört zu den weltweit
häufigsten Erregern für plötz-
lich auftretenden Brechdurch-
fall.


LÜDGE

Andreas V. fehlt
bei Prozess

Mit den Aussagen weiterer
Zeugen setzt das Landgericht
Detmold heute (9.00 Uhr) den
Prozess um den sexuellen Miss-
brauch von Kindern auf einem
Campingplatz in Lüdge fort.
Der ältere der beiden Angeklag-
ten ist krank und derzeit nicht
verhandlungsfähig. Daher fehlt
Andreas V. (56) an diesem sieb-
ten Prozesstag. Das Verfahren
gegen ihn wird abgetrennt. Die
beiden Angeklagten sollen über
Jahrzehnte an der Landesgren-
ze zu Niedersachsen Kinder
und Jugendliche hundertfach
schwer sexuell missbraucht und
dabei gefilmt haben.

JAN BÖHMERMANN

„Schmähkritik“-Verbot
bleibt bestehen

Das Verbot von größeren Teilen
des Gedichtes „Schmähkritik“
des TV-Satirikers Jan Böhmer-
mann über den türkischen Prä-
sidenten Recep Tayyip Erdogan
bleibt bestehen. Der Bundes-
gerichtshof wies eine Beschwer-
de gegen die Nichtzulassung
der Revision zurück. Damit ist
das Urteil des Oberlandes-
gerichts Hamburg rechtskräftig.
Dort hatten die Richter im Mai
2018 entschieden, dass be-
stimmte herabsetzende Passa-
gen über Erdogan nicht wieder-
holt werden dürften.

KOMPAKT


LOTTO
Die Zahlen
Lotto: 1 - 13 - 17 - 22 - 23 - 35
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