Süddeutsche Zeitung - 01.08.2019

(singke) #1


D


asHamsterradsiehtvoninnen
auchauswieeineKarriereleiter.“
Werhatdasgesagt?RichardDavid
Precht,Philosoph?RobertHabeck,philo-
sophierenderPolitiker?LisaBitter,philo-
sophierendeSchauspielerin?
LisaBitterkommtmitdemRadzum
Stadtcafé.„IchwohneseitJanuarinMün-
chen“,sagtsie,alssieabsteigt.Esseihier
„vollschön“,mankönnevieldraußensein,
dassei„vollgut.“DasFüllwort„voll“wird
siespäternichtmehrverwenden.
AlssieimGartendesCaféssitzt,sagtsie
sehrschöneSätze,zumBeispieldiesen:
Karrieremachenkönneauchbedeuten,
vieleErfahrungenzusammelnundinne-
renReichtumzuerlangen.„Karriereist
fürmichnichts,wennsienurhohlistund
aufRang,StatusundGeldabzielt.“Und
dannsagtsie:„DasHamsterradsiehtvon
innenauchauswieeineKarriereleiter.“
Bitter,35,spieltimTatortLudwigs-
hafenJohannaStern,die2014alsFall-
analytikerindazugekommenwar,undin-
zwischen,nachdemAbschiedvonMario
Kopper(AndreasHoppe),zurErmittlerin
aufgerücktist.„Sternistehrgeizig,will
Karrieremachen,stehtvollimLeben,hat
zweiKinder,bleibteiskaltbeidenFakten,
isteinKopfmensch“,sagtBitter.

KommissarinLenaOdenthal,dievonUl-
rikeFolkertsdargestelltwird,seidasGe-
genteil,wasdieSachespannendmache.
ÜberOdenthalsagtBitter:„Sieisteinein-
samerWolf,sieistintuitivundwilldieFäl-
lealleinelösen,einBauchmensch–undzu
HausewartetnurdieKatze.“Das„nur“
sprichtBitterinAnführungszeichen.
Sternkommtmanchmalblutleerrüber,
abersietutdemaltenLudwigshafen-„Tat-
ort“gut.Erwareinwenigverstaubt.Einge-
fahren.Odenthalistjetztmehrgefordert.
EsgabmaleineFolge,dawarOdenthalan-
geschlagen,körperlichundseelisch,und
manfragtesich:BeißtdieJüngere,dieEhr-
geizige,jetztrichtigzu?Tatsienicht.Aber
esmachtedieSpannungderFolgeunddas
GeheimnisvollederFigurJohannaStern
aus,dassmanesnichtwusste.
DieBedienunghatdenKaffeegebracht.
Nach20MinutenGesprächwürdemansa-
gen,BitterhabenichtvielvonStern,sie
wirktnichtwieeinKopfmensch.WoStern
analysiert,fühltsichBitterein.„Beieinem
GewaltverbrechengegeneineFrau,da
würdeichindasOpferreinschlüpfen,
Sternmachtdasnicht.Aberjefremderei-
neFigurist,dieichdarstelle,destospan-
nenderistesfürmich.“Sielernedabeiviel
übersichselbst.WannmanipulierenEmo-
tionen?WasmachteineFigur,wennsie
nichtmehrweiterweiß;wennsiekeine
Handlungsstrategiemehrhat?„Ichdarfin
SituationenundMenscheneintauchen
undmichdarinaufhalten“,sagtsie.Des-
halbseiihrBerufsoreich.
Eshatlangegedauert,bissiesichzudie-
semBerufbekannthat.
LisaBitteristinErlangengeborenund
inHerzogenaurachaufgewachsen;die
Mutter,sagtBitter,habesieständigins
Theatergeschleppt.„MeineMutterist
sehrtheaterbegeistert–sieistschonmal
Aufführungen,diesiesehenwollte,nach
Hamburghinterhergefahren.“Bittererin-
nertsich,wiesieandenKammerspielenin
MüncheneineÖdipus-Inszenierungsa-
hen.„DornwarIntendant,ichsaßinder
erstenReihe,einNackterhingvonderDe-
cke,einemSchauspielerwurdenaufder
BühnedieAugenausgestochen–daswar

eigentlichzuvielfürmich,ichwarzwölf“,
sagtsie.Abersieliebedie„wahnsinniggro-
ßenEindrücke“,diedasTheatervermittle.
„Ichbinheutenochfroh,wennichimThea-
terbin.“FrohimSinnevonglücklich.
EsisteinervondenwenigenMomenten
indiesemGespräch,indenensie
schwärmt.ÜberihrenneuenWohnort,ja,
daschwärmtsieauch.Sieistübrigens
nachMünchengezogen,weilihrFreund
hierlebt.
AmGymnasiumhabesieselbstTheater
gespielt,erzähltsie,aberbloßeinMal:In
demKleist-Stück„Penthesilea“warsie
dieMeroe,eineFürstinderAmazonen.An-
sonstentriebsieSport,siemachteSieben-
kampf,undeinmalwurdesiesogarsüd-
deutscheMeisterin.Siesagt,sieliebedie
Gemeinschaft,diederSportbiete:Dieses
Mit-anderen-zusammen-Seinundauch
diesesEin-gemeinsames-Ziel-vor-Augen-
Haben.Bittersagtdasöfter:dasssiedas
Gefühlmöge,zugehörigzusein.„Leider
istmeinBerufsounvorhersehbar,dassich
nichtregelmäßigineinemVereinSport
machenkann.“
ManhatdasGefühl,dasssieesbedau-
ert.Abermansiehtesihrnichtan.Bitter
wirktnielarmoyant,sondernsouverän.
SiehatnachErsatzgesucht:Siereitetjetzt.
DahatsiewenigstensdenSport.Dassdas
mitderGemeinschaftgeradenichtso
klappt,dasakzeptiertsieoffenbar.
BitterstudiertenachdemAbiBiologie
inDüsseldorf.DenMenschenindasKleins-
tezerlegen,daserschienihrspannend.Sie
machteeseinknappesJahr.Laborarbeit
warnichtsfürsie.BittergingnachLeipzig
undstudierteKulturwissenschaften.Sie
saßinVorlesungenundzuHausebeimLer-
nen.Aberstillsitzenwarnichtsfürsie.
EinesAbendsgingsieinLeipzigander
„HochschulefürMusikundTheaterFelix
MendelssohnBartholdy“vorbei.Sieschau-
tedurchsFenster.DieSchülerwarenbeim
Fechten.Bitterwarfasziniert.Dieheller-
leuchtetenFenster,dasLebendige.Da
wolltesiedabeisein.
LisaBitteristjemand,dieihrenLeiden-
schaftenfolgenwill.Undsiemagkeinege-
ordnetenBahnen.DasHeuteseiwichtig,
sagtsie,wasmorgenkomme,dalassesie
sichgerneüberraschen.Abersieistnie-
mand,dersofortalleshinwirft,umihren
Leidenschaftenzufolgen.„Ichhabeerst
malrecherchiert,wieichaufdieseHoch-
schulekommenkann“,sagtsie.Bitterbe-
warbsich,indemsieKleistsMeroevor-
spielte.Siewurdegenommen.Erstdann
hatsiedasStudiumderKulturwissen-
schaftenabgebrochen.

SieverließdiebürgerlicheKarriere,
aberExistenzängstehattesienicht.„Ich
waraufeineArtnaivundhabeüberhaupt
nichtdarangedacht“,sagtsie.
Etwasandereswarwichtiger.Bitter
denktkurznach,siesuchtdieFormulie-
rung,dietreffendist.Siesitztstillda.Bit-
terinszeniertsichnicht.Siegestikuliert
nichtausladend.Sieverziehtauchnicht
dasGesicht,wennihretwasmissfällt;oder
gucktextraüberrascht,wennsieetwas
Neueshört.SieistaufeineangenehmeArt
natürlich.
Dannsagtsieruhig:„AufderSchau-
spielschulehatteichdasGefühl,dassich
jetztendlichrichtigbin.“
Undesliefauchgutbisher.LisaBitter
klopftdreimalaufdenHolztisch.„Ichwar
alsSchauspielerinimmerbeschäftigt–
undichhabebegriffen,dassdiewenigen
Phasen,indenennichtsofortwaskommt,
einfachdazugehören.“

NachderSchauspielschule–undeinem
EngagementinHalleanderSaale–ging
siefürfünfJahreansStaatstheaterin
Stuttgart.AmTheaterkannmanPechha-
benundeinenIntendantenbekommen,
derautoritärist,dieSchauspielerklein-
machtundselbstdieScheinwerfersucht.
OdermanhatGlückundtrifftaufeinenIn-
tendanten,derdasTeamgefühlstärkt,
konstruktivist,DarstellernundBühnen-
technikernaufAugenhöhebegegnet.Lisa
BitterhatteGlück,dennsietrafinStutt-
gartaufdenIntendantenHaskoWeber,
derihrSelbstbewusstseinstärkte.„Man
durftebeiihmFehlermachenundflog
nichtrausoderdurftebeimnächstenMal
nurdenerstenBaumvonlinksspielen“,
sagtsie.„Manfühltesichfreiundge-
schützt.“NachdenJahrenmitWeberhabe
siesichdanngetraut,freischaffendzuar-
beiten.

UndsiehattedasGlück,dassgleichder
„Tatort“Ludwigshafenkam.„Dadreht
manzweimalimJahr–dasistjaauch
schoneineFormvonExistenzsicherung“,
sagtsie.„Daistmanschonprivilegiert.“
Zuletztwarsieauchbei„KommissarDu-
pin“dabei,einemBretagne-Krimi,oder
bei„RateYourDate“,einerKomödievon
DavidDietl.MomentanmachtsieFernse-
hen,weilsieesgernetut.Abervielleicht
kommtmalwiederdasTheater,morgen
oderübermorgen,amnächstenFreitag
oderaneinemDienstagimDezember
2020.Planungistihrjanichtwichtig.Hed-
daGablerwürdesiegernspielen,sagtsie,
„weildiesoabgründigist“.Gablerseieine
starkeFrau,dievielmitsichselbstaus-
mache;dieauchLeidverursache,sich
abernichtändere.
BitterbücktsichundholtihreHand-
tasche,dieamBodenstand,nachoben.
„StörtesSie,wennichrauche?“,fragtsie
höflich.Natürlichnicht.
LisaBitterärgertesichfrüher,dasssie
amTheateroftChen-RollenundLein-Rol-
lenspielenmusste.Gretchen,Käthchen,
Fräulein.„JungeMädchen,diesichinei-
nerSekundeverliebenunddieWeltbe-
staunen“,sagtsie.Daslagnichtdaran,
dassBitterwegenihresAussehensalssüß,
nettundniedlichgalt.DaslaganderZeit
unddenStoffen.„KlassikeroderShake-
spearewurdenhaltvonMännerngeschrie-
ben,diedamalseinbestimmtesFrauen-
bildhatten“,sagtsie.InStuttgarthatsie
maldieKriemhildgespielt.Dashatihrge-
fallen.Im„Tatort“istsiejetztaucheine
tougheFrau.
LisaBitteristschonauchtough,denn
siemacht,wassiegernetut,undsietut
vieldafür,dassesauchklappt.Undsieist
sozialer,mankannauchsagen:geselliger
alsihreFigurJohannaStern.Sieredet
nocheinmalüberdieseGemeinschaft,die
siegernehat.„Manchmalstelltsichdas
Teamgefühlauchbeim,Tatort‘ein“,sagt
sie.„DiemeistenSchauspielersindfremd
inLudwigshafen–dannmachtmanes
sichzusammenschön,sogutesgeht.“Es
seienaberleidernureinpaarWochen,so
langedauerndieDreharbeiten.Siehätte
wohlgernemehrdavon.
BitterdrücktdieZigaretteaus.Siesagt
noch,dasssieschonalsKind„Tatort“ge-
guckthabe.GernedieMünchner,gerne
dieKölner.BeidesAlteingesessene.Und
Odenthalnatürlich,dieschonamlängsten
dabeiist,seit1989,dawarLisaBitterfünf.
„Istschonkomisch,wennichheutedort
mitUlrikespiele“,sagtsie.„Manchmal
mussichmichkneifenunddenke,ichsei
insFernsehengekrabbelt.“

LisaBittermussteam
TheateroftdieChen-und
Lein-Rollenspielen:Käthchen,
Gretchen,Fräulein.Im„Tatort“
istsieeinetougheFrau:
AlsJohannaStern(unten)
ermitteltsieneben
KommissarinLenaOdenthal
(UlrikeFolkerts)und
KriminaltechnikerPeterBecker
(PeterEspeloer).
FOTOS: STEPHAN RUMPF, SWR

In Menschen


eintauchen


SchauspielerinLisaBitterhatlangegebraucht,
bissiesichzudiesemBerufbekannthat.
NunermitteltsienebenUlrikeFolkertsim
„TatortLudwigshafen“und
wohntseitdiesemJahrinMünchen

„JefremdereineFigurist,
dieichdarstelle,desto
spannenderistesfürmich.“

„AufderSchauspielschule
hatteichdasGefühl,dass
ichjetztendlichrichtigbin.“

LisaBittermacht,wassie
gernetut.Undsietutvieldafür,
dassesauchklappt

R6 – (^) LEUTE Donnerstag, 1. August 2019, Nr. 176 DEFGH
Heribert Prantl
Vom Widerstand.
Ein Angebot der Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Str. 8, 81677 München. Foto: Natalie Neoimi Isser
Heribert Prantl ist Kolumnist und
Autor der Süddeutschen Zeitung
VOM GROSSEN UND
KLEINEN WIDERSTAND
Heribert Prantl
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