Das Einfamilienhaus Schweiz – August-September 2019

(Marcin) #1

Finanzierung Hypotheken


> Für jede Hausfinanzierung galten über Jahre und Jahrzehnte
gewisse goldene Regeln. Eine lautet: Jeder Schuldner muss sich
gegen steigende Zinsen absichern. Was nützt einem das hübsche
Eigenheim, wenn es bei steigender Zinsenlast finanziell nicht
mehr tragbar ist? Die Wirtschaftsgeschichte lehrt uns, dass die Zin-
sen tatsächlich stark schwanken. Nehmen wir die Phase nach der
Hochkonjunktur und dem Immobilienboom der 1980-er-Jahre:
Um der Überhitzung entgegenzuwirken, hob die Schweizerische
Nationalbank SNB die Leitzinsen stark an. Der wichtige Referenz-
zins Libor kletterte auf über zehn Prozent – heute unvorstellbar.
Sogar die damals höchst populären variablen Hypotheken kamen
auf ein stolzes Zinsniveau von sieben Prozent.

Blick in eine Kristallkugel Heute scheinen quasi andere Natur-
gesetze zu gelten. Selbst längerfristige Festhypotheken von fünf
Jahren oder mehr unterschreiten die magische Schwelle von
einem Prozent Jahreszins (Stand Frühling 2019). Stefan Studer,
Mitglied der Geschäftsleitung der Luzerner Kantonalbank, spricht
von einer «generell hohen Nachfrage nach Hypothekarfinanzie-
rungen». Besonders beliebt seien Festhypotheken mit fünf und
zehn Jahren Laufzeiten. Auch andere Banken stellen fest, dass
viele Kunden die heute tiefen Zinsen möglichst lange anbinden
wollen. «Die fünfjährige Festhypothek wird am meisten nachge-
fragt, gefolgt von der zehnjährigen und dann der dreijährigen»,
sagt Roland Altwegg von Raiffeisen Schweiz. Der Departements-
leiter Privat- & Anlagekunden a.i. geht von weiterhin tiefen Zin-
sen aus: «Das aktuelle Marktumfeld und die Kommunikation der
SNB sprechen dafür.» Wie lange das Zinsniveau tiefe bleibe, glei-
che aber «einem Blick in die Kristallkugel. Die Kunden müssen
sich selbst eine Meinung dazu bilden können», so der Vertreter
von Raiffeisen Schweiz.

Ob die Zinsprognosen in den letzten zehn bis 20 Jahren wirklich
verlässlich waren, bleibt umstritten. Immerhin haben nur wenige
Leute die Finanzkrise 2008 und die darauf folgende Tiefzinspoli-
tik vorhergesehen. Lorenz Heim vom VZ Vermögenszentrum hat
dazu eine klare Meinung: «Ich halte es sogar für möglich, dass
unsere Generation Zinsen wie früher von vier oder fünf Prozent
nicht mehr erleben wird.» Er lässt sich dabei unter anderem von
der Überlegung leiten, dass die hohen Schuldenberge vieler Staa-

Goldene Zeiten in Sachen Zinsen


Die hohe Staatsverschuldung mancher Staaten und die expansive Geldpolitik der Notenbanken deuten auf anhaltend
tiefe Zinsen hin. Wer Eigenheim- und Wohnträume verwirklichen will, profitiert von wahrlich traumhaft
günstigen Konditionen. Doch Vorsicht: Ganz ohne Risiken sind Hypotheken auch in Zukunft nicht. Von Jürg Zulliger

ten kaum Spielraum für höhere Zinsen zulassen würden. Um
eine unerwünschte Aufwertung des Frankens zu vermeiden, wird
die SNB die Leitzinsen bis auf weiteres negativ halten müssen.
Kommt dazu, dass die Geldmenge in der Schweiz und auch die
Bilanz der SNB enorm gewachsen sind. Es ist also wirklich reich-
lich Kapital vorhanden. Dementsprechend werden Ausleihungen
weiterhin praktisch umsonst zu haben sein.

Vermeintliche und tatsächliche Risiken Obwohl bei den Hypo-
theken in der Schweiz erneut von rekordtiefen Zinsen die Rede
ist, merkt Lorenz Heim nüchtern an: «Da die Leitzinsen im Libor
deutlich negativ notieren, sind die heute aktuellen Zinskonditi-
onen für lange Festhypotheken möglicherweise immer noch zu
hoch.» Im Zusammenhang mit der Risikobeurteilung stellen sich
also plötzlich ungewohnte Fragen. Wenn sich an der aktuellen
Konstellation über Jahre nichts ändert, lohnt sich der zusätzliche
Preis für eine lange Anbindung möglicherweise nicht. Jedenfalls
sind ja bekanntlich kurze Laufzeiten und damit vor allem Libor-
Hypotheken per se immer günstiger als die langen. Obwohl viele
Leute aufgrund ihres Bauchgefühls grösstmögliche Sicherheit und
eine lange Zinsbindung suchen, könnte eine Schlussfolgerung
lauten: Selbst wer zum Kundenprofil «sicherheitsorientiert» zählt,
sollte nicht den Gesamtbetrag auf zehn Jahre hinaus oder noch
länger fixieren.
Die Alternative in einem ausgewogenen Mix sind Festhypothe-
ken mit kürzeren Laufzeiten und insbesondere Libor-Hypotheken
(siehe Box). Auch Roland Altwegg von Raiffeisen führt Libor-
Hypotheken ins Feld: «Aktuell sind deren Zinsen am günstigsten,
wobei diese bei Zinsveränderungen meist sofort reagieren.» Da der
offizielle Liborzins, der im Bankengeschäft gilt, unter –0,7 Pro-
zent liegt, ist eine höchst spezielle Ausgangslage gegeben. Diese
Zinsen müssten erst einmal von –0,7 Prozent auf Null steigen,
bis das bei Hypotheken überhaupt spürbar wird. Die effektiv den
Kunden mit Libor-Hypotheken verrechneten Zinsen würden erst
dann angehoben, wenn der Referenzzins wieder die Schwelle von
Null Prozent übersteigen würde. Bei den Festhypotheken von
fünf Jahren und mehr stellt die sehr lange vertragliche Bindung
unter Umständen ein Risiko dar. Ein Kunde, der einen Zehn-
Jahres-Vertrag unterzeichnet, haftet mit seinem Einkommen und

«Wie lange die Zinsen tief
bleiben, gleicht einem
Blick in eine Kristallkugel.
So kommunizieren wir
dies auch gegenüber den
Kunden.»

Roland Altwegg, Departements-
leiter Privat- & Anlagekunden a.i.,
Raiffeisen Schweiz

«Das Interesse am Ab-
schluss von längerfristigen
Festhypotheken ist gestie-
gen, da sich die Kunden
die tiefen Zinssätze länger
sichern möchten.

Stefan Studer, Mitglied der
Geschäftsleitung der Luzerner
Kantonalbank LUKB

50_Das Einfamilienhaus 4/2019
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