Sie seien die abge-
fuckteste Country-
Band von Nashville,
hat Kurt Wagner
sein Lebensprojekt
Lambchop mal
etwas derb umschrieben. Tatsächlich
hat sich der 62-jährige Multiinstru-
mentalist mit Braunbärenstimmeimmer
weiter weg bewegt vom klassischen
Rock, hin zu Elektro und Avantgarde.
Das neue Album heißt „The Bible“, was
weniger mit Gottes Botschaft zu tun
hat als mit Spiritualität. Bei den
Aufnahmen sei es darum gegangen,
die Freude am Musizieren nicht zu
verlieren, sagt Wagner. Tatsächlich
überrascht fast jeder Song, klingt mal
jazzig, mal experimentell. Und mal
wie Country. 22222
ROCK
Das Schöne am
Jazzlabel ACT ist die
Bandbreite dessen,
was da möglich ist.
Wer Michael Wollnys
neues Album zu
komplex findet, greift einfach zu
„Mosaic“, dem neuen Werk von Julian
& Roman Wasserfuhr. Die Aufnah-
men entstanden überwiegend unter
Pandemie-Bedingungen, teilweise
spielten die Gastmusiker ihre Parts
ein, ohne ihre Mitstreiter je zu Gesicht
bekommen zu haben. Trompete und
Klavier schwelgen in Melancholie oder
wetteifern voller Energie miteinander.
Dazu gibt es ein bisschen Rap oder
eine hinreißende Hommage an
Nirvana mit „Smells Like Teen Spirit“.
Ein schönes Bild aus vielen kleinen
Steinchen. 22222
JAZZ
Wie bleibt man
relevant als Musiker?
In einer Zeit, in der
die Welt an allen
Ecken brennt? Die
Yeah Yeah Yeahs
waren Anfang des Jahrtausends
eine der angesagtesten neuen Bands.
Neun Jahre, zwei Babypausen und
einige Solo-Projekte später ist das Trio
aus New York zurück. Nach den vielen
Entbehrungen hätten sie noch nie so
schnell ein Album aufgenommen, sagt
Sängerin Karen O über „Cool it Down“
und wagt weniger Punkrock, mehr
Elektro-Pop. Der Titel bezieht sich
nicht auf ihre Hipness, sondern auf den
Klimawandel. Gleich in mehreren
Songs geht es um Erderwärmung und
Umweltsorgen. Davon gibt es leider
keine Pause. 22222
POP
gescheiterte Ehe, Familienprobleme und
Umweltzerstörung. Am herkömmlichen
Wechselspiel von Strophe und Refrain ist
sie auch auf „Fossora“ kaum mehr inte
ressiert. Sie stapelt und schichtet lieber,
überblendet und verfremdet. Es erklingen
Klarinetten, Geigen und Flöten. Kammer
musik trifft auf die Beats eines indonesi
schen DJs und auf isländische Folkweisen.
Die Songs wuchern und verknoten sich in
alle Richtungen wie Wurzeln.
Womit wir beim Leitmotiv ihres zehn
ten Albums sind. „Das ist mein Pilz
Album“, sagt sie. Sie würden zwar im Unter
grund leben, aber für sie stünden Pilze
auch für Spaß: „Sie wirken psychedelisch,
sprudelnd, und sie schießen überall aus
dem Boden.“ Ihre Musik mag inzwischen
Pop für Fortgeschrittene sein, berauschend
wirkt sie weiterhin. Matthias Schmidt
A
n einer Universität in New York gab
es bereits einen Kurs über Werk
und Wirkung von Taylor Swift;
und bald soll dort über Lana Del
Rey unterrichtet werden. Auch die
1965 in Reykjavik geborene Björk
Gu∂smundsdóttir hätte sich eine akade
mische Lupenbetrachtung längst verdient.
Weil ihre Musik inzwischen so vielschich
tig und komplex ins Ohr träufelt, dass sie
eigentlich einen Anhang brauchte wie eine
Doktorarbeit.
Dabei produzierte Björk in ihren An
fängen noch gut gezuckerten IndiePop
und Rock. Erst mit den Sugarcubes, dann
als SoloKünstlerin, die ihre Stimme so vir
tuos benutzte wie ein exotisches Instru
ment und die unsterblich schöne Liebes
und Leidenslieder komponierte wie „Venus
as a Boy“ und das unterschätzte „Play Dead“.
Doch dann zog sie sich zunehmend zu
rück, baute sich eine elektronische Höhle,
in der sie mit Dissonanzen experimentier
te, ungewöhnliche Orchestrierung aus
probierte und Themen aufgriff wie ihre
Die Isländerin Björk gräbt sich auf ihrer neuen Platte in
den Untergrund. Und berauscht ihre Hörer
Wurzel-Pop
Björk: „Fossora“ Stimmgewaltig,
verspielt und vielschichtig: die
Isländerin in Bestform 22222
KULTUR
MUSIK
106 29.9.2022