Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1
FOTOS: BARBARA MAJCAN/STERN; MICHAEL KAPPELER/DDP

Khaled el-Masri
(o. 2006 in Deutsch-
land) wurde 1963
in Kuweit geboren,
bekam 1994 den
deutschen Pass.
2003 entführte der
US-Geheimdienst
CIA ihn in Mazedo-
nien. Er hatte ihn
verwechselt und
hielt ihn für ein Mit-
glied von al-Qaida.
Der Europäische
Gerichtshof für
Menschenrechte

verurteilte Maze-
donien 2012 darauf-
hin wegen Betei-
ligung zu 60 000
Euro Schmerzens-
geld. Nach seiner
Freilassung legte
der psychisch
gezeichnete el-
Masri Feuer in
einem Großmarkt
und verprügelte
den OB von
Neu-Ulm. Dafür
saß er mehrere
Jahre in Haft.

D


er Film „Der Fall el-Masri“ von
Stefan Eberlein über Ihre Ent-
führung durch die CIA ist jetzt
mit dem Robert Geisendörfer
Preis ausgezeichnet worden.
Eine späte Genugtuung für Sie?
Das ist gut, aber mein Vertrauen in die
Justiz bleibt zerstört.
Die Grünen, die „die Folter an einem
deutschen Staatsbürger“ kritisiert ha-
ben, sind jetzt in der Regierung. Hoffen
Sie, dass sich die Bundesregierung doch
noch entschuldigt?
Das glaube ich nicht.
Der US-Senat hat zugegeben, dass Ihre
Haft „nicht gerechtfertigt war“. Warten
Sie auf eine Entschuldigung aus den USA?
Nein. Für die Amerikaner ist die Sache er-
ledigt. Sie haben gesagt: Er hat recht, und
wir haben unsere Ruhe.
In Neu-Ulm hatten Behörden und Bürger
Angst, Sie könnten zurückkommen. Sind
Sie deshalb nach Graz gezogen?
Die deutschen Behörden haben es mir und
meiner Familie schwer gemacht. Ich habe

versucht, in die Vereinigten Arabischen
Emirate zu gehen, aber das hat nicht ge-
klappt. Ich wollte nicht in ein Land, in dem
meine Kinder eine neue Sprache hätten
lernen müssen. Aus diesem Grund habe ich
mich für Österreich entschieden.
Was machen Sie jetzt beruflich?
Ich arbeite als Kraftfahrer im Nahverkehr,
fahre in Graz und Umgebung.
Im Film betreiben Sie einen Supermarkt.
Den haben wir aufgegeben. Es hat sich
nicht gelohnt.
Werden Sie in Österreich erkannt?
Ab und zu. Am Arbeitsplatz wurde ich er-
kannt, nachdem der Film auch in Öster-
reich gezeigt wurde.
Wie war die Reaktion?
Die Leute wollten nur wissen, ob ich das
war. Aber die Reaktion war neutral.
Können Sie nachts schlafen, oder werden
Sie noch von Albträumen geplagt?
Nein, nicht von Albträumen, von der Rea-
lität. Man steht noch immer vor einem
Scherbenhaufen. Es ist nicht so einfach,
wenn man entwurzelt ist. Je älter ein Baum
ist, umso weniger Überlebenschancen hat
er bei einem Standortwechsel. Und sich
hier jetzt rumzuschlagen und neu anzu-
fangen ist schon ein bisschen schwierig.
Im Film ist zu sehen, wie Ihre Kinder
unter Ihrem Verschwinden gelitten ha-
ben. Wie geht es ihnen heute?
In der Schule sind die alle ein bisschen zu-
rückgeblieben, weil sie viel verpasst haben.
Sie haben Gerold Noerenberg, den Ober-
bürgermeister von Neu-Ulm, zusam-
mengeschlagen. Wollen Sie sich bei ihm
entschuldigen?
Wofür? Dafür, dass ich ihn verprügelt habe?
Aus welchem Grund habe ich ihn verprü-
gelt? Was ist davor passiert?
Aber er hat an Ihrer Entführung nicht
mitgewirkt.
Da muss man die Vorgeschichte kennen.
Was abgelaufen ist in Neu-Ulm, als es in
den Medien hieß, im Multikulturhaus
seien Terroristen und Extremisten. Aus
diesem Grund kam auch die Entführung.
Man verprügelt niemanden ohne Grund.
Er hat das nicht in die Welt gesetzt. Das
Multikulturhaus wurde geschlossen.
Diese Staatsorgane sind alle einander gleich
und leisten einander Beistand. Wenn ich
mich gegen erlittenes Unrecht zur Wehr set-
ze, trifft mich kein Vorwurf. Ein Vorwurf
trifft nur die, die Menschen unterdrücken
und ohne jede Rechtfertigung Gewalttaten
verüben. Ich war verzweifelt.
Was sind denn Ihre Pläne für die Zukunft?
Ich mache keine Pläne mehr. 2
Interview: Kerstin Herrnkind

Der US-Geheimdienst CIA entführte ihn 2003 nach


Afghanistan. Er war verwechselt worden


Khaled el-Masri


Khaled el-Masri, 59, im
österreichischen
Graz, wo er heute
mit Familie lebt

122 29.9.2022


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