FOTO: ALIONA KARDASH/STERN; STERN MONTAGE: FOTO: KAY NIETFELD/DPA
A
m lustigsten war’s, als Deutsch-
land nicht gewann. Das war 2002,
als Edmund Stoiber für die Kanz-
lerschaft kandidierte. Stoiber flog
zum Endspiel der Fußballwelt-
meisterschaft, das die
Nationalmannschaft im japa-
nischen Yokohama gegen
Brasilien verlor. Bei der Rück-
kehr wurde er in Frankfurt
noch auf dem Flughafen nach
seinem Kommentar gefragt.
Und der ging so: „Wer ein Trio
vorne hat wie Ronaldo, Ronal-
dinho und, äh, und die anderen
Brasilianer, Roberto Carlos, das
ist, äh, das ist, äh, Rivaldo dazu
noch, Rivaldo, äh, äh, Rivaldo
und Ronaldinho und Ronaldo,
also das dann verloren zu ha-
ben, das ist zwar bitter, aber
nicht so bitter.“
Dass dieser etwas konfuse
Auftritt Stoiber wenige Wo-
chen später die entscheiden-
den Prozentpünktchen in der
Bundestagswahl gegen Ger-
hard Schröder kostete, ist mög-
lich, aber nie von der politiklich, aber nie von der politiklich, aber nie von der politik--
wissenschaftlichen Forschung
bestätigt worden. Unbestreit-
bar ist indes der unbedingte
Drang deutscher Politiker, na-
mentlich Kanzler und Kanzle-
rinnen, sich mit erfolgreichen
Fußballern zu zeigen. Nur Kon-
rad Adenauer empfing am Tag
des Wunders von Bern 1954 lie-
ber den griechischen Minister-
präsidenten. Helmut Schmidt
war beim Titelgewinn 1974 in München
dabei, Helmut Kohl 1990 in Rom und
Angela Merkel 2014 in Rio. Schöne Fotos
sind da entstanden. Und jetzt kann man
überlegen, wie das mit Olaf Scholz bei ei-
nem Endspiel mit deutscher Beteiligung
in Katar am 18. Dezember wäre, sechs Tage
vor Weihnachten.
Nach heutigem Stand befindet sich
Deutschland zu dieser Zeit in einer Rezes-
Es gibt noch andere Gründe, darüber
nachzudenken. Am vergangenen Wochen-
ende war Scholz für ein paar Stunden in
Katar. Es ging auch um die Bedingungen
auf den Baustellen der Stadien. 6500 Ar-
beiter sollen verstorben sein,
seit Katar den Zuschlag erhielt.
Scholz sagte: „Zur Kenntnis
nehmen wir, dass es Fortschrit-
te gibt in Fragen, um die lange
gerungen werden musste.“ Die
Situation entspreche aber
nicht „den Vorstellungen, die
wir selber haben“.
Deutschland setzt immer
noch darauf, irgendwann mal
Gas aus Katar zu beziehen. Der
Emir wiederum setzt auf einen
Imagegewinn durch die WM. Er
hat alle deutschen Politiker,
mit denen er zuletzt sprach –
also Robert Habeck, Olaf Scholz
und Frank-Walter Steinmeier
–, zum Besuch bei der WM ein-
geladen. Und zwar „sehr nach-
drücklich“, wie einer der drei
in kleiner Runde erzählt hat.
Nun wurde der Kanzler in
Katar von Journalisten gefragt,
ob er zur WM reisen werde. „Die
Frage, wie wir dahin fahren, ist
selbstverständlich zeitnah zu
entscheiden“, antwortete Scholz.
„Aber das wird schon so sein,
dass da jemand dabei ist.“
Möglich, dass ein erfolgrei-
ches Turnier die Stimmung in
Deutschland heben könnte.
Andererseits müsste Scholz
nicht über eine Reise zur WM
entscheiden, wenn die Mannschaft wieder
früh ausscheidet wie vor vier Jahren in
Russland. Das käme ihm entgegen.
Oder wie Edmund Stoiber sagen würde:
Das wäre zwar bitter, aber nicht so bitter. 2
sion; Städte verzichten auf die Festbe-
leuchtung ihrer Einkaufsstraßen, um
Strom zu sparen; eine Fanmeile gibt es
nicht, die Gasheizungen zu Hause sind run-
tergestellt, aber in die Kneipe ausweichen
wollen viele auch nicht, weil gerade die
Corona-Winterwelle wütet. Von den Fern-
sehbildern frierender Menschen in der
Ukraine mal ganz zu schweigen. Und dann
fliegt der Kanzler zum Endspiel?
FRIED
Nico Fried freut sich, von Ihnen zu hören.
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Warum Kanzler Olaf Scholz gute Gründe hätte,
der deutschen Fußballmannschaft
in Katar nicht das Allerbeste zu wünschen
ENDSPIEL
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KO LU M N E
POLITIK