Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1
Mobilmachung kann viele Bedeu-
tungen haben. An der Grenze zu
Georgien hat jemand den Begriff
wörtlich genommen und ein Ge-
schäft daraus gemacht: Aus dem
Kofferraum seines Kleinwagens ver-
kauft er Tretroller. Der Grenzüber-
gang Werchnyj Lars durfte tagelang
nicht zu Fuß passiert werden, nur
mit einem Fahrzeug. Und Roller
sind ja schließlich auch Fahrzeuge.
Fast zweieinhalbtausend Autos
warteten dort am vergangenen
Samstag auf die Ausreise aus Russ-
land, teilt die Polizei mit. Roller hat
sie nicht gezählt.
Zeitgleich erreichte die Telegram-
Gruppe „Werchnyj Lars“ fast 120 000
Abonnenten. Zehntausende tau-
schen hier Nachrichten und Tipps
aus oder bieten ihre Dienstleistun-
gen an wie der Händler mit dem Rol-
ler. „Hallo! Ich lande morgen 16.10
am Flughafen Mineralnye Wody.
Kann mich jemand bis zum Stau-
Ende mitnehmen? Habe ein kleines

Klapprad dabei, das nimmt nicht viel
Platz weg.“ – „Welche Fragen stellen
die russischen Grenzbeamten?“ –
„Muss meine Katze für die Einreise
nach Georgien gechipt sein?“
Kaum hatte Wladimir Putin ver-
gangenen Mittwoch angeordnet,
Hunderttausende Russen zusätzlich
in den Krieg in der Ukraine zu schi-
cken, da machten die sich in Scha-
ren auf den Weg – zu den Flughäfen
und an die Grenzen zu Finnland, zur
Mongolei oder Kasachstan. Haupt-
sache, raus aus Russland. Die Mög-
lichkeiten, das Land zu verlassen,
werden stündlich weniger. Flug-
tickets nach Jerewan, Tiflis oder
Dubai sind ausverkauft oder un-
erschwinglich teuer. Finnland hat
angekündigt, alle Touristenvisa für
Russen zu annullieren. In EU-Staa-
ten gehen schon seit Kriegsbeginn
keine Flüge mehr.
Nach Recherchen der oppositio-
nellen Tageszeitung „Nowaja Gase-
ta Europa“ haben allein in den

M

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Abschied: Ein
junger Rekrut schaut
in Moskau durchs
Fenster des Busses,
der ihn zu seiner
Einheit bringt

Im Rahmen der
Teilmobilmachung
einberufene Reser-
visten in einem
Wehramt westlich
von Moskau (r.)

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