Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1

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D U D E N K S T,


D U K E N N S T D I S N E Y +?


nen. „Putin ist so besessen von der
Ukraine, dass er bereit ist, seine
eigenen Anhänger zu opfern, um das
Land zu unterwerfen“, schreibt die
renommierte Russland-Expertin
Tatjana Stanowaja von der Carne-
gie-Stiftung für Internationalen
Frieden in einem Essay für den stern.
„Zum ersten Mal in seinen 22 Jahren
an der Macht ist er bereit, alles aufs
Spiel zu setzen.“ Putins nukleare
Drohgebärden müsse der Westen
daher sehr ernst nehmen.

D


er im Westen weit verbreiteten
Ansicht, die Teilmobilmachung
sei ein Ausdruck von Putins Ver-
zweiflung angesichts der desaströ-
sen Performance seiner Streitkräf--
te in der Ukraine, tritt Stanowaja
entgegen. „Putins Sicht der Dinge
hat sich kaum geändert: Er glaubt
noch immer, dass die Geschichte
und das Volk auf seiner Seite sind,
dass die Ukraine ‚Russland gehört‘
und dass der Westen es nicht wagen
wird, sein Land militärisch heraus-
zufordern. Für ihn gibt es keinen
Grund zur Panik.“ Unter der Regime-
Elite mache sich dieser Tage sogar
„ein Gefühl der Erleichterung“ breit.
„Seit vergangener Woche kommt es
diesen Leuten wieder wahrschein-
licher vor, dass Russland gewinnt.
Bei ihnen hat Putins Entscheidung
seine Position gestärkt und Klarheit
gebracht nach mehreren Monaten
der Zweifel und Bedenken. Um sich
sicher zu fühlen, müssen die Eliten
Putin als starken Mann betrachten,

der in der Lage ist zu führen, der die
Kontrolle behält und die Risiken im
Griff hat.“ Dass Putins Strategie ihr
Land in eine atomare Konfrontation
mit der Nato führen könnte, spiele
für seinen inneren Kreis aktuell
kaum eine Rolle.
Das Gesetz erlaubt es, nahezu je-
den einzuziehen. Als Reservisten
gelten nicht nur alle, die den Grund-
wehrdienst geleistet oder wie Anton
die Militärfakultät besucht haben.
Selbst Männer, die aus gesundheit-
lichen Gründen vom Wehrdienst
befreit wurden, können zum Dienst
herangezogen werden. Und auch
solche, die aus Gewissensgründen
Ersatzdienst geleistet haben.
300 000 werden jedes Jahr zum
Grundwehrdienst einberufen, je
150 000 im Frühjahr und im Herbst.
Nächster Termin ist der 1. Oktober.
Wer bis zu seinem 27. Lebensjahr
nicht einberufen wurde, hat viel-

gen der Sanktionen kann die Firma
die Ware nicht mehr direkt bezah-
len. „Und jetzt muss ich mich auch
noch um unsere Mitarbeiter sorgen“,
sagt Lasowskaja. Ihr Mann ist gera-
de nach Kirgistan ausgereist.
Vielerorts regt sich Widerstand.
Seit Putins Rede zur Mobilmachung
wurden mehr als 2000 Menschen bei
Protesten überall im Land festge-
nommen. Selbst in Regionen, wo sich
sonst kaum Opposition regt, gab es
Demonstrationen, etwa in der Kau-
kasus-Republik Dagestan. In deren
Hauptstadt schrien Frauen: „Unsere
Kinder sind kein Dünger!“ und „Das
ist nicht unser Krieg!“. Bei Chassa-
wjurt versperrten Autofahrer eine
Landstraße. Vergebens versuchten
Polizisten mit Schüssen in die Luft,
die Menge auseinanderzutreiben. Auf
dem Hauptplatz im ostsibirischen
Jakutsk umringten tanzende Frauen
eine Gruppe hilfloser Polizisten.
Seit Kriegsbeginn brannten
54 Wehrämter und Verwaltungsge-
bäude landesweit, 17 davon in den
Tagen seit Ausrufung der Mobilma-
chung, zählte das Nachrichtenportal
Mediazona. Allein am vergangenen
Sonntag brachen Feuer in Wehräm-
tern in den Gebieten bei Kaliningrad,
Sankt Petersburg und in Mordowien
in Zentralrussland aus. Am Montag-
morgen schoss ein junger Mann in
einem Dorf unweit von Irkutsk in
Sibirien den Chef der Einberufungs-
kommission nieder.
Mit einem Kurswechsel des Kreml
ist alldem zum Trotz nicht zu rech-

Mit Gottes Segen
an die Front:
Ein orthodoxer
Geistlicher
benetzt junge
Rekruten in
Wolgograd mit
Weihwasser (o.l.)

Exodus: Am Mos-
kauer Flughafen
Wnukowo stehen
Ausreisewillige
Schlange. Nur
wenige Länder
lassen Russen vi-
safrei einreisen.
Die Flüge dorthin
sind trotz astro-
nomischer Preise
nahezu aus-
gebucht (o.r.)
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