Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1

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D E N K N O C H M A L.


FOTO: AP


leicht zunächst Glück gehabt, zählt
aber trotzdem zur Reserve.
Im Kalten Krieg hatte die Sowjet-
union zwei Millionen Männer unter
Waffen. Im Russland von heute ist
das Ziel eine Million. Zu den 300 000
Grundwehrdienstleistenden kom-
men etwa 220000 dauerhaft ver-
pflichtete Offiziere und 400000 län-
ger dienende Zeitsoldaten. Vor allem
Letztere waren in den vergangenen
Monaten in der Ukraine im Einsatz.
Zeitsoldaten haben ein Kündigungs-
recht wie andere Arbeitnehmer
auch. Von denen, die überlebten, ha-
ben viele davon Gebrauch gemacht.
Doch nun werden sie als kampfer-
fahrene Reservisten als Erste ver-
pflichtet oder dürfen erst gar nicht
nach Hause.
Dass die russische Armee in der
Ukraine so viele Niederlagen erlitt,
hat nicht nur die Russen über-
rascht, sondern auch viele Experten

im Westen. Schließlich hatte Putin
über zwei Jahrzehnte viel Geld in
Rüstung und Ausrüstung der
Soldaten gesteckt. Teilweise wur-
de die Modernisierung sogar von
Nato-Staaten unterstützt. Deut-
sche Maschinenbauer lieferten Prä-
zisionsfräsen für Rüstungsbetrie-
be. Rheinmetall baute ein moder-
nes Gefechtsübungszentrum in
Mulino im Wolga-Gebiet.
Die Lieferung zweier Hubschrau-
berträger der Mistral-Klasse durch
Frankreich wurde 2015 in letzter Mi-
nute abgewendet. Damals wurde
auch das Austauschprogramm zwi-
schen russischen Offizieren und Of--
fizieren der Bundeswehr beendet,
die über Jahre die Militärakademien
der jeweils anderen Seite besuchten.
Die Initiatoren hatten damit die
Hoffnung verbunden, auf diese
Weise Vertrauen aufzubauen und
Grundlagen über die Rolle der

Streitkräfte in einer demokrati-
schen Gesellschaft zu vermitteln.
Manche Schwächen der russi-
schen Streitkräfte waren aber schon
früher aufgefallen. Regelmäßig seit
2013 hatte der Kreml die in Moskau
akkreditierten Militärattachés, da-
bei auch die aller OSZE-Staaten, zu
Manövern eingeladen, wie es die Re-
geln vorsehen. Die sahen dort zwar
viel Kanonendonner und Feuerkraft,
aber Fachleute erkannten schnell:
Die Ausbildung auf Bataillonsebene
war schwach. Da feuerte etwa Artil-
lerie über eine Stunde aus derselben
Stellung, erinnert sich einer, der da-
bei war. Im Ernstfall müsste sie aber
nach jedem Feuer rasch die Stellung
wechseln, da der Gegner sie lokali-
sieren und zurückschießen kann.
Wer stehen bleibt, stirbt.
„Das war eine Show-Veranstal-
tung“, erinnert sich der Beobachter.
Es fehlte an Ausbildung, und es fehl-
te an Vertrauen in die einzelnen Ein-
heiten. Einen hat die Show offenbar
trotzdem beeindruckt: den Präsi-
denten. So wurde Putin zum Opfer
seiner eigenen Propaganda bezüg-
lich der Leistungsfähigkeit der
Streitkräfte.

B


ei Zarema* melden sich jetzt
täglich Patienten, die ein Attest
wollen, um der Einberufung zu
entkommen. Die 30-Jährige arbeitet
als Ärztin in Machatschkala, der
Hauptstadt der Teilrepublik Dages-
tan am Kaspischen Meer. Eine quir-
lige Frau, die Kopftuch trägt, wie 4

Experten-Essay
In einem Essay
für stern Plus
erklärt Russland-
kennerin Tatjana
Stanowaja von
der Carnegie-
Stiftung, wie
Wladimir Putin
tickt – und war-
um die russischen
Eliten weiter zu
ihm halten (zum
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Putin wirkt wie


besessen von der


Ukraine. Mit einem


Kurswechsel


ist nicht zu rechnen

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