Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister im
Krisenmodus, hat um Verständnis für die Betrof-Krisenmodus, hat um Verständnis für die BetrofKrisenmodus, hat um Verständnis für die Betrof-
fenen der aktuellen Krisen geworben. Allerdings
ging es ihm diesmal nicht um Menschen, die
irgendwo im Land Nebenkostenrechnungen nicht
mehr bezahlen können, sondern um jene ganz
nahe an seiner Bürotür, jene im Bundeswirt-
schaftsministerium. „Es ist jetzt kein Scheiß, den
ich erzähle: Die Leute werden krank. Die haben
Burnout, die kriegen Tinnitus. Die können nicht
mehr.“ 20 Gesetze und 28 Verordnungen hätten
seine Beamten binnen weniger Monate erlassen,
so Habeck: „Die Leute, irgendwann müssen die
auch schlafen und essen.“
Falls Habeck auf Verständnis gehofft hatte
(wohl auch für sich selbst), war er das, was ihm
Kritiker ohnehin vorwerfen: naiv. Rasch hagelte
es Vergleiche mit Bäckern, mit Einzelhändlern,
mit Gastronomen, die auch alle nicht mehr könn-
ten, vor allem wegen Habecks Politik. Verständ-
nis ist im politischen Krisenalltag offenbar nicht
mehr vorgesehen; und Schwäche zuzugeben ist
eher was für Kuschelmonate.
Unversöhnlich scheinen auch andere politische
Debatten dieser Tage. Wenn etwa bekannte Wirt-
schaftsbosse und Umweltschützer aufeinander-
treffen, wirkt es oft, als habe die Zeitenwende auch
die Zeit zurückgedreht und Fronten verhärtet.
Dann donnern (meist betont männliche) Wirt-
schaftsvertreter, nun müsse erst einmal der in-
dustrielle Kern des Landes gerettet werden, die
Kapitalabflüsse hätten historische Ausmaße er-
reicht. Und dann sind da (meist, aber keineswegs
nur weibliche) Stimmen, die darauf hinweisen,
dass die größte Krise nach wie vor die Umwelt-
krise sei. Was sei eine Rezession gegen die Aus-
sicht, dass wir bald nicht mehr ausreichend
Grundwasser haben werden, heißt es etwa. Und:
Müssen wir uns nicht angesichts der Klimakrise
ohnehin auf grünes „Schrumpfen“ einstellen, wie

R


die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann
vorhersagt, weniger Autos, Flüge, Wohnungen...?
Wer soll zwischen diesen Polen vermitteln? Der
Kanzler etwa, so als Führungsaufgabe. Aber ob
Scholz nun eher die Industrie retten will oder
doch das Klima, lässt er meist unklar. Klar ist bei
ihm eigentlich nur, dass er schon immer recht hat-
te, auch bei der Energiepolitik, welche halt die Vor-
gängerregierung vermasselt habe. Das stimmt
wohl, allerdings gehörte Scholz dieser an, immer-
hin als Vizekanzler. Eine Erzählung, wie wir
Klima und Industrie zusammenbekommen sol-
len, kann er nicht dem (ohnehin offenbar über-
lasteten) Vizekanzler Habeck überlassen. Der
hofft gerade auch, dass wir mit ein bisschen Glück
und gutem Wetter über den Winter kommen.
Große Hoffnung auf politische Entspannung
kann diese Ausgabe nicht bieten, wir entschul-
digen uns vorab. In unserer Titelgeschichte be-
schreibt ein Team um Russland-Expertin Bettina
Sengling und Reporter Julian Hans, weshalb Wla-
dimir Putin zwar schwach ist, aber auch besessen
gefährlich. Meine Kollegen Steffen Gassel und Mi-
chael Streck fragen den renommierten Historiker
Niall Ferguson, ob der Kalte Krieg schon wieder in
vollem Gange sei – diesmal allerdings zwischen
China und den USA.
Unser Reporter Jan Christoph Wiechmann be-
richtet, dass der rechte Zündler Jair Bolsonaro in
Brasilien verlieren könnte. Aber ist der linke Über-
zeugungstäter Luiz Inácio Lula da Silva die besse-
re Lösung? Und in Italien ist (leider) eingetreten,
was unsere Autorin Andrea Ritter schon vorige
Woche beschrieben hat: Die gefährlichste Frau
Europas regiert nun in Rom.

Gregor Peter Schmitz, Chefredakteur


Liebe Leserin, lieber Leser!


Herzlich Ihr


EDITORIAL


29.9.2022 3

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