Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1

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D E N K N O C H M A L.


Komplette Staffeln 1–18

stern-Korrespondentin
Bettina Sengling erlebte
ein verstörend ruhiges
Moskau. Julian Hans
sprach von Deutschland aus mit Menschen
FOTOS: AP; EKATERINA SHTUKINA/IMAGO in verschiedenen Regionen Russlands


vergangenen zwei Jahren ihre mehr-
jährige Dienstzeit als Zeitsoldaten
beendet. Sie brauchten keine länge-
re Auffrischung ihrer Ausbildung
vor dem Kampfeinsatz. Aber das wä-
ren gerade einmal genug Truppen,
um die ausgedünnten Einheiten in
der Ukraine wieder aufzufüllen,
eine Rotation der erschöpften Kräf--
te auszuführen und auf der ausge-
dehnten Front die eigene Verteidi-
gungsfähigkeit herzustellen, sagt
Reiner Schwalb, Brigadegeneral a.D.
der Bundeswehr und bis 2018 Ver-
teidigungsattaché an der deutschen
Botschaft in Moskau. „Russland
wird nicht in der Lage sein, größere
Angriffe führen zu können“, so
Schwalb. Dazu fehlten den Russen
an der Ukraine-Front Kampf- und
Schützenpanzer in ausreichender
Zahl. Putin müsste Gerät von der
Nato-Grenze abziehen. „Wird der
Kreml dies tun und auch alle teuren

Präzisionswaffen in der Ukraine
einsetzen? Ich glaube nicht. Die hält
man lieber in Reserve, sollte es doch
zu einem Krieg mit der Nato kom-
men.“ Die jetzige Mobilisierung die-
ne primär dazu, die für Russland
immer schlechter werdende militä-
rische Lage zu stabilisieren.

A


uch mit Männern wie dem
Schuhmacher Maxim*, Mitarbei-
ter in der Fabrik von Aljona La-
sowskaja östlich von Moskau. Nie
hätte er gedacht, dass er in diesem
Krieg kämpfen soll, denn geeignet ist
er dazu nicht mit 41 Jahren, und Mi-
litärdienst hat er nie geleistet.
Vergangene Woche bekam Maxim
einen Anruf aus der Stadtverwal-
tung. Er solle sich im Wehramt sei-
ner Heimatstadt einfinden, sagte
man ihm. Man müsse seine Doku-
mente überprüfen. „Er vertraut den
Behörden und wollte alles richtig

machen“, erzählt seine Arbeitgebe-
rin. Natürlich ging er am nächsten
Morgen hin.
Im Wehramt überprüfte niemand
seine Dokumente, stattdessen hän-
digte man ihm gleich einen Einbe-
rufungsbescheid aus. Maxim unter-
schrieb, kehrte nach Hause zurück,
packte seine Tasche, verabschiede-
te sich von seiner Frau und seinem
Kind. Ein Bus brachte ihn in die
Nachbarstadt Kowrow, 270 Kilome-
ter östlich von Moskau. Dort lebt er
jetzt in einer Kaserne. Er lernt schie-
ßen. Seine Frau fuhr hin und holte
seine Zivilkleidung ab. „Er ist völlig
geschockt“, erzählt Lasowskaja.
Sie versucht nun, Maxim mithil-
fe von Juristen vor dem Einsatz an
der Front zu retten. „Die Menschen
in unserem Land kennen ihre Rech-
te nicht und haben Angst, sich gegen
das System zu stellen“, sagt sie.
Von allein hätte Maxim sich nie
gewehrt, erklärt Lasowskaja. Er ist
Patriot, glaubt an den Krieg und ver-
traut seiner Regierung. Er glaube
auch daran, dass ein Mann kämp-
fen und eben auch sterben müsse,
wenn die Heimat es verlangt. „Wir
sind mit diesen Gedanken aufge-
wachsen“, sagt seine Chefin. „Hier
ist das normal.“ 2

Manche zahlten


bislang Schmier-


geld, um in die


Armee zu kommen

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