Der_Stern_-_29_September_2022

(EriveltonMoraes) #1
Die Investigativredakteure Manka Heise
und Christian Esser recherchieren seit Jahren
schon zum Fall Tesla. Hannah Schwär
fügte ihre eigenen Recherchen und die der
Kollegen zu diesem Text zusammen FOTO: GOOGLE EARTH

geblich „zwei bis drei Liter“ der Farbmi-


schung auf die Straße vor der Halle. Die


Werksfeuerwehr verteilte daraufhin Bin-


demittel. Was in diesen beiden Tagen ge-


nau geschah, weiß jedoch nur Tesla.


André Bähler erfuhr erst durch Zufall von


den ausgelaufenen Chemikalien. Als er die


Untere Wasserbehörde um Aufklärung bat,


berief diese sich auf die Aussagen von Tes-


la: Laut der Werksfeuerwehr sei kein Mate-


rial in die Kanalisation gelangt, eine Ge-


fährdung des Grundwassers habe zu keiner


Zeit bestanden. Das steht jedoch augen-


scheinlich im Widerspruch zu einem Foto


des Einsatzorts, auf dem der Gullydeckel


und der angrenzende Erdstreifen mit roter


Flüssigkeit eingefärbt sind.


Bähler wollte wissen, auf welcher


Grundlage die Behörde den Vorfall als un-


gefährlich einstuft. Die Antwort: Man


habe eine „organoleptische Beprobung“


des Erdbodens vorgenommen. Heißt: Die


Prüfer bewerteten das betroffene Erdreich


nach Konsistenz, Farbe und Geruch. Ein


Sinnestest, wie man ihn auch bei einem


abgelaufenen Joghurt machen würde.


Dabei habe man „keine Auffälligkeiten“


festgestellt.


Das Problem an solchen Schnupper-


tests: Sie sind subjektiv und nicht mess-


bar. „Es gibt auch giftige Stoffe, die man


nicht riechen kann“, sagt Bähler. Das Vor-


gehen beunruhige ihn zutiefst. „Die


Grundhaltung der Behörde ist: Wir kön-


nen nicht alles kontrollieren. Wir müssen


Tesla auch vertrauen“, sagt Bähler. Der


Vorfall rund um die Lackiererei sei bis


heute nicht richtig aufgeklärt worden.


Man könne daher nicht ausschließen, dass


giftige Stoffe ins Grundwasser gelangt
seien. Zudem müsse er feststellen, dass es
bis zum Chemikalien-Vorfall im April we-
der einen Alarmierungsplan noch eine
Meldekette für solche Havarien gegeben
habe. „Das ist inakzeptabel, immerhin
handelt es sich um ein Trinkwasser-
schutzgebiet“, sagt Bähler.
Im Büro der Unteren Wasserbehörde und
des Landrats scheint man seine Einwände
nicht ernst zu nehmen. Mehr noch: Bähler
wird regelrecht abgekanzelt. Das zeigt ein
interner Briefwechsel, in dem er über
Wochen auf offene Fragen hinweist. „Ihre
Ausführungen sind in fachlicher Hinsicht
so dermaßen daneben“, schreibt ein Mit-
arbeiter aus dem Büro des Landrates. Er
wolle Bähler „höflichst um Mitteilung bit-
ten, ob Sie beabsichtigen, diesen Kinder-
garten irgendwann zu beenden“.
Das Brandenburger Umweltministe-
rium bestätigte, dass unbefestigte Flächen
existieren – auch in der Nähe der Lackie-
rerei. Es sei nicht bekannt, ob Tesla die
Absicht habe, die Flächen zu versiegeln.
Grundsätzlich habe das Unternehmen
neben der behördlichen Überwachung
„eine Pflicht zur Eigenüberwachung“.
Die Untere Wasserbehörde verwies eben-
falls auf „die gängige Praxis“ der Selbst-

kontrolle. Der Vorfall sei zwar „bedauer-
lich“. Man könne aber versichern, dass
„die vorgesehenen Sicherungsmaßnah-
men zur Verhinderung einer Verschmut-
zung des Grundwassers durch wasserge-
fährdende Stoffe gegriffen haben“. Tesla
ließ eine Anfrage zu den Vorwürfen un-
beantwortet.
„Die Behörden kontrollieren Tesla kaum.
Zum einen, weil sie nicht genug Leute
haben, aber auch, weil die Politik dieses
Projekt unbedingt will“, sagt Christiane
Schröder vom Nabu. In Potsdam ist es kein
Geheimnis, dass die Regierung den Druck
nach unten weitergibt. Im Gegenteil: Man
rühmt sich sogar mit dem Tesla-Tempo.
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD)
versprach schon in der Anbahnungsphase
des Projekts in einem Brief an Tesla eine
„umgehende und schnelle Bearbeitung“
des Genehmigungsverfahrens.
Der Anwohner Steffen Schorcht steigt
Mitte September noch einmal auf eine
Anhöhe neben dem Tesla-Gelände und
blickt hinab auf den Koloss, der ihm so vie-
le Sorgen bereitet: „Hier wird mit der Was-
serversorgung und der Gesundheit der
Menschen gespielt.“ Es sei eine Sache, dass
Tesla sich nicht um den Umweltschutz
schere. Aber dass die Landesregierung und
lokale Behörden Nachlässigkeiten durch-
gehen lassen? „Das ist ein Behördenversa-
gen“, sagt Schorcht. 2

Luftbild des Tesla-
Geländes. Nur andert-
halb Kilometer
entfernt befinden sich
Trinkwasserbrunnen
(siehe roter Kreis)

Nach einem Unfall
in der Lackiererei
liefen im April
Chemikalien aus

DIE LANDESREGIERUNG


MÖCHTE DAS


WERK – UNBEDINGT


42 29.9.2022

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