Frankfurter Allgemeine Zeitung - 04.08.2019

(Rick Simeone) #1

  1. AUGUST 2019 NR. 31 R D3499C 4,40 EURO


HERAUSGEGEBEN VON GERALD BRAUNBERGER, WERNER D’INKA, JÜRGEN KAUBE, BERTHOLD KOHLER


Der Deutsche Boris Herrmann bringt
Greta Thunberg über den Atlantik.

Der VW-Skandal bringt die Justiz
an ihre Grenzen.

ALBTRAUM FÜR RICHTER
Nach der Tat in Frankfurt wird über
mehrKontrollen diskutiert.

SICHERHEIT AUF BAHNHÖFEN


Leben Rhein-Main Wirtschaft


2:0imSupercup: Der BVB
schnappt den Bayern
den ersten Titel weg.Sport

DER SKIPPER


Der extreme Sommer des Jahres 2018
könnte in Deutschland Tausende von
Menschen das Leben gekostet haben.
Erste Daten der Behörden zeigen,
dass in den besonders heißen Mona-
ten Juli und August die Sterblichkeit
hochschnellte. Manche Fachleute spre-
chen von etwa zehntausend zusätzli-
chen Hitzetoten.
In normalen Jahren sterben im Juli
und August relativ wenig Menschen.
Die meisten Todesfälle gibt es wäh-
rend der Grippephase im Winter. Im
vergangenen Jahr aber war die Sterb-
lichkeit im August mit 8,14 Prozent
der Jahressumme so hoch wie seit 2003
nicht mehr. Der Sommer 2003 war ex-
trem heiß, und in ganz Europa starben
zwischen 50 000 und 70 000 Men-
schen wegen hoher Temperaturen. In
Deutschland lag die Opferzahl von
2003 bei 10 000. Die damalige Hitze-
welle gilt als schwerste Naturkatastro-
phe in Europa seit der „großen Mann-
dränke“, einer verheerenden Nordsee-
Sturmflut im 14. Jahrhundert. Bei gro-
ßer Hitze können vor allem alte und
kranke Menschen, aber auch kleine
Kinder an Kreislaufkollaps oder we-
gen bestimmter Vorerkrankungen ster-
ben. Manche alten Leute trocknen
aus, weil sie keinen Durst fühlen. De-
mente vergessen zu trinken.
Das Jahr 2018 hatte einen Rekord-
sommer. Die Monate zwischen April
und August waren die heißesten seit
Beginn der regelmäßigen Messungen
im Jahr 1881. Obwohl genauere Berech-
nungen noch fehlen, sehen einige
Fachleute deshalb einen Zusammen-
hang zwischen der Hitze und der
hochschnellenden Sommersterblich-
keit, die sich jetzt aus neuen Daten der
statistischen Ämter in Bund und Län-
dern ergibt. Die zuständige Fachfrau
beim Statistischen Bundesamt, Bettina
Sommer, stellt fest: „Dass im August
2018 mehr Menschen gestorben sind
als in anderen Jahren, könnte auf die
Hitze zurückzuführen sein. Direkt be-
legen können wir das aber nicht.“
Die Sterbezahlen aus den besonders
heißen Tagen zwischen dem 23. Juli
und dem 9. August 2018 geben zusätzli-
che Hinweise. An diesen 18 Tagen star-
ben in Deutschland über 8000 Men-
schen mehr als 2017. Auch in den übri-
gen Augustwochen 2018 blieb die

Sterblichkeit über der von 2017. Der
bloße Vergleich zwischen zwei Jahren
ist zwar nur begrenzt aussagekräftig.
Weil aber die Temperaturen im Ver-
gleichsjahr 2017 nahe am langfristigen
Referenzwert lagen, ist eine Schätzung
möglich. Allerdings muss mitbedacht
werden, dass die Todeszahlen in
Deutschland ohnehin ständig wach-
sen, weil es immer mehr Alte gibt.
Wenn man diesen Alterungseffekt
herausrechnet, bleibt trotzdem ein auf-
fälliger Anstieg der Sterbeziffern im
Sommer 2018 übrig. Werner Brachat-
Schwarz vom Statistischen Landesamt
Baden-Württemberg hat für diese Zei-
tung errechnet, dass die Zahl der tem-
peraturbedingten Sterbefälle allein
während der Hitzewelle zwischen Juli
und August im Vergleich zum Vorjahr
um etwa 7100 gestiegen sein könnte.
Betrachte man den ganzen Sommer
2018, könnten etwa 10 000 Sterbefälle
„von sehr hohen Temperaturen mitver-
ursacht“ worden sein. Das entspräche
etwa der Katastrophe von 2003.
Andere sehen im statistischen Mate-
rial auch Hinweise darauf, dass der Kli-
mawandel zu höherer Sterblichkeit
führt. Der Umweltmeteorologe Andre-
as Matzarakis vom Deutschen Wetter-
dienst sagt: „Die vorliegenden Daten
könnten ein Indiz dafür sein, dass die
Sommermortalität in den letzten Jah-
ren angestiegen ist. Die Hitzeperi-
oden dauern länger und sind intensi-
ver, und das könnte am Klimawandel
liegen.“ Allerdings sei die Datenbasis
zu gering für endgültige Aussagen.
Nach Ansicht von Jürgen Kropp
vom Potsdam-Institut für Klimafolgen-
forschung sind die bisherigen Daten
„sicher nicht geeignet, Katastrophen-
szenarien abzuleiten“. Hitzewellen er-
höhten „das Sterberisiko für ältere
Menschen“, aber hohe Temperaturen
allein führten nicht zum Hitzetod. Es
komme auch auf die Luftfeuchtigkeit
an oder auf die soziale Lage. „Ist je-
mand arm und alt und lebt dazu in ei-
ner schlecht belüfteten Dachwoh-
nung, ist er einem höheren Risiko aus-
gesetzt als jemand, der sich eine Klima-
anlage leisten kann.“ Um zu klären,
ob die Sterblichkeit im Juli und Au-
gust 2018 allein auf die hohen Tempera-
turen zurückgehe, seien noch „detail-
liertere Untersuchungen“ nötig. ul.

DORTMUND LEGT LOS


Die Italienerin Elena Eder will


den E-Minizum Erfolg


machen.Wirtschaft


Einkaufen im Netz und
Onlinebanking werden bald
zur Tortur.Geld & Mehr

Fotos dpa, Picture Alliance, Reuters, Jan Roeder, Dieter Rüchel


Der Tesla-Gründer Elon Musk will das
Gehirnmit Künstlicher Intelligenz

aufrüsten. So schnell wird das nichts. Aber
der Druck steigt, menschliches Denken

den Computern anzupassen.


Feuilleton


Schon zum Jahresende könnten die
Bahnpreise im Fernverkehr deutlich
günstiger werden. Verkehrspolitiker aus
der CSU machen sich gegenüber dieser
Zeitung dafür stark, die Mehrwertsteuer
auf Zugtickets so schnell wie möglich zu
senken. Sie konkretisieren damit Vor-
schläge, die der CSU-Landesgruppen-
vorsitzende im Bundestag Alexander Do-
brindt und der bayerische Ministerpräsi-
dent Markus Söder zu Wochenbeginn
gemacht hatten. Beide hatten gesagt, die
Mehrwertsteuer auf Bahntickets solle ge-
senkt werden, um das Bahnfahren preis-
werter zu machen, ohne dafür einen kon-
kreten Zeitraum zu nennen. Söder
sprach sogar davon, die Mehrwertsteuer
für Bahntickets ganz abzuschaffen. Das
ist allerdings europarechtlich nach der
Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie nicht
ohne weiteres möglich.
Daniela Ludwig von der CSU, ver-
kehrspolitische Sprecherin der Unions-
fraktion, sagt: „Ich bin für eine Steuer-
senkung so schnell wie möglich. Warum
nicht auch schon zum Jahresende?“ Ähn-
lich sieht es Georg Nüßlein, der für die
CSU gerade das Klimakonzept der Uni-
on erarbeitet. Er spricht von einem
„denkbaren Ansatz“, der aber auch vor-
aussetze, dass die Bahn attraktiver werde.
In der CSU ist man sich einig, dass hier
sehr schnell eine Lösung möglich wäre,
die einerseits die Mobilität auf der Schie-
ne stärke, andererseits aber auch die
Handlungsfähigkeit der Bundesregie-


rung zeige. Zugleich betonen die Ver-
kehrspolitiker, das könne nur ein erster
Schritt sein, um die Bahn insgesamt mo-
derner zu machen.
Auch bei der CDU findet eine mög-
lichst rasche Mehrwertsteuersenkung
Beifall. Andreas Jung, der für seine Par-
tei federführend am Klimakonzept der
Union arbeitet, sagt: „Eine Mehrwert-
steuersenkung könnte unmittelbar umge-
setzt werden, wenn der politische Wille
da ist.“ Als frühestdenkbaren Termin
sieht Jung den 1. Januar 2020. Eine rasche
Entscheidung dürfte auch bei der SPD
nicht auf Widerstand stoßen. „Die Ent-
lastung der Bahn ist seit langem unser er-
klärtes Ziel. Wenn die Union sich die-
sem Ziel anschließt, ist das mehr als er-
freulich, und wir können hier sofort ei-
nen gemeinsamen Weg für geeignete
Maßnahmen in Angriff nehmen“, so die
Verkehrsexpertin Kirsten Lühmann.
Auch Fraktionsvize Matthias Miersch
meint, die Vorschläge würden sich „mit
unseren decken“.
Die Deutsche Bahn unterstützt den
CSU-Vorschlag ausdrücklich. Ihr Vor-
standsvorsitzender Richard Lutz ver-
sprach, den Vorteil bei einer Steuersen-
kung „auf jeden Fall“ an die Kunden wei-
terzugeben. Der Bund kann das zwar
rechtlich nicht erzwingen. Allerdings ge-
hört ihm die Bahn. Das Unternehmen
schätzt, dass ein reduzierter Mehrwert-
steuersatz jährlich mindestens fünf Mil-
lionen zusätzliche Fahrgäste bringen
könnte. Auf mehr Reisende sei man

schon jetzt vorbereitet, so ein Sprecher:
„Bereits 2015 haben wir die Ausweitung
unseres Fernverkehrsangebots beschlos-
sen.“ Die Fahrgastzahlen im Fernverkehr
sollen auf 260 Millionen pro Jahr verdop-
pelt werden. Bis Ende des Jahres erwar-
tet die Bahn, dass erstmalig in ihrer Ge-
schichte die Marke von 150 Millionen
Kunden überschritten wird.
Derzeit gilt für Bahntickets im Fern-
verkehr ein Mehrwertsteuersatz von
neunzehn Prozent. Eine Fahrkarte für
den ICE ist damit oft deutlich teurer als
ein Flugticket im Inland. Bei einer Verän-
derung der Mehrwertsteuer müssen aller-
dings die Länder einbezogen werden.
Eine Absenkung auf sieben Prozent wür-
de bedeuten, dass der Staat 400 Millio-
nen Euro weniger einnimmt. Wie das
kompensiert werden soll, dazu gibt es in
der Union unterschiedliche Vorstellun-
gen. Einige wollen das Geld im Haushalt
einsparen. Andere sehen das durch mehr
Fahrgäste bei der Bahn ausgeglichen. Er-
wogen werden aber auch höhere Flug-
preise als Ausgleich. Dafür gäbe es drei
unterschiedliche Wege.
Zum einen könnte die Kerosinsteuer
erhöht werden, wie die Grünen es vor-
schlagen. Hier sagt die Union, das würde
nichts für den Klimaschutz bringen und
erinnere an die seinerzeit von der rot-
grünen Bundesregierung eingeführte
Ökosteuer, die ihre Lenkungswirkung
verfehlt habe. Die zweite Möglichkeit
wäre aus Sicht der Union, den schon be-
stehenden Emissionshandel mit Kohlen-

dioxid-Zertifikaten „ambitionierter zu ge-
stalten“. Der dritte Weg: eine Erhöhung
der schon seit einigen Jahren bestehen-
den Ticketabgabe – derzeit sieben Euro.
CSU-Fraktionsvize Nüßlein sagt, es sei
„die Diskussion wert“, welchen Finanzie-
rungsbeitrag der Flugverkehr leisten kön-
ne. Aus der CDU heißt es, beides müsse
im Klimaschutzgesetz stehen: niedrigere
Preise bei der Bahn, höhere im Inland-
flugverkehr. In der SPD wird eine natio-
nale Sonderabgabe skeptisch gesehen,
„da diese meist nur Verkehre ins Ausland
verlagert und so nicht dem Klimaschutz
dienen“ würde, wie Verkehrsexpertin
Lühmann sagt. Dennoch könne es nicht
dabei bleiben, dass Fliegen günstiger sei
als die Bahn.
Die Koalitionsparteien arbeiten gegen-
wärtig an ihren Konzepten für mehr Kli-
maschutz. Die Koalition will Mitte Au-
gust die Vorschläge sichten und erste
Entscheidungen treffen. Am 20. Septem-
ber will das Klimakabinett dazu beraten.
Das Klimaschutzgesetz soll bis Jahres-
ende beschlossen sein.
Unterdessen haben die Grünen den
Vorschlag der CSU aufgegriffen und ei-
nen Gesetzentwurf vorgelegt, der die so-
fortige Einführung des ermäßigten
Mehrwertsteuersatzes vorsieht und
gleich nach der Sommerpause behan-
delt werden soll. „Jetzt wäre die Gele-
genheit, das gemeinsam zu machen“,
sagte der Vorsitzende des Verkehrsaus-
schusses Cem Özdemir dieser Zeitung.
F.P./boll. Seiten 6 und 22

SCHWIERIGER SHOPPEN


Illustration Getty


Zugfahren soll billiger werden


Koalitionspolitiker wollen Mehrwertsteuer rasch senken. Fliegen könnte sich verteuern


Tod im Sommer


„10 000 Opfer durch Rekordhitze 2018“


Nach dem Auslaufen des INF-Vertrags
will die amerikanische Regierung kon-
ventionelle Mittelstreckenwaffen in
Asien stationieren. Dies solle „so schnell
wie möglich“ geschehen, innerhalb von
Monaten, sagte Verteidigungsminister
Mark Esper am Samstag. Mögliche Sta-
tionierungsorte nannte er nicht. Über
derartige Dinge spreche man zuerst mit
den Verbündeten. Zur Begründung ver-
wies er darauf, dass achtzig Prozent des
chinesischen Arsenals aus Mittelstrecken-

waffen bestehe. „Es dürfte also nicht ver-
wundern, dass wir vergleichbare Kapazi-
täten wollen“, sagte Esper. In den nächs-
ten Wochen wird mit dem ersten Test ei-
nes amerikanischen Marschflugkörpers
von etwa tausend Kilometern Reichweite
gerechnet. Bis zu einer Stationierung
würden allerdings Jahre vergehen. Außer-
dem wollen die Demokraten im Kon-
gress keine weiteren Mittel dafür bewilli-
gen. Das Pentagon hatte für 2020 hun-
dert Millionen Dollar beantragt. T.G.

18 Jahre lang war unser
Autor Stammgast in Wacken.
Jetzt reicht’s ihm.Leben

Der Mensch


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In einem Einkaufszentrum in El Paso im
amerikanischen Bundesstaat Texas hat es
bei einer Schießerei am Samstag nach Po-
lizeiangaben bis zu zwanzig Opfer gege-
ben. Die Zahl der Toten dabei war zu-
nächst unklar, ebenso die Hintergründe
der Tat. Ein Verdächtiger sei festgenom-
men worden, sagte ein Polizeisprecher.
In Amerika gibt es immer wieder Zwi-
schenfälle mit Schusswaffen. Erst am
Dienstag waren zwei Menschen in Missis-
sippi in einem Supermarkt durch Schüs-
se getötet worden. F.A.S.

Politiker und Ökonomen fordern, dass
Bund, Länder und Kommunen in den
nächsten Monaten mehr Geld investie-
ren und dafür jetzt auch möglichst rasch
planen. Hintergrund ist einerseits, dass
Deutschland auf eine Konjunkturflaute
zusteuert und möglicherweise sogar Bau-
unternehmen und Handwerker bald wie-
der freie Kapazitäten haben. Anderer-
seits sind auch die Kredite günstig: Die
Zinsen sind für den Bund so niedrig,
dass er noch Geld bekommt, wenn er
sich welches leiht.bern. Seite 23


HEAVY-METAL-ABSCHIED


Amerika fordert China heraus


Regierung will Mittelstreckenwaffen in Asien stationieren


In Texas viele Opfer


bei Schießerei


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