Frankfurter Allgemeine Zeitung - 04.08.2019

(Rick Simeone) #1

  1. AUGUST 2019 NR. 31 SEITE 25 FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG


Geld&mehr


A


n einem 14. September geschah im-
mer wieder Historisches. 1812 zog
Napoleon kampflos in ein weitge-
hend zerstörtes Moskau ein.
1958 beendeten Konrad Adenauer und
Charles de Gaulle die „Erbfeindschaft“
zwischen Deutschland und Frankreich.
Zwei Jahre später gründete sich die Opec,
die Organisation erdölexportierender
Länder. 27 Jahre nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs nahmen Deutsch-
land und Polen 1972 wieder diplomati-
scher Beziehungen auf. Und 2003 ent-
schieden sich die Esten für einen EU-Bei-
tritt, am selben Tag lehnten die Schwe-
den die Einführung des Euros ab.
Was am 14. September 2019 alles Be-
deutsames geschehen wird, lässt sich na-
turgemäß nicht vorhersagen. Jedoch eine
Sache, die so gut wie alle Deutschen be-
trifft, zeichnet sich für dieses Datum be-
reits ab. Wenn alles wie vorgesehen läuft,
werden sich Millionen Menschen, die
ihre Bankgeschäfte und Einkäufe im In-
ternet erledigen, von liebgewonnenen Ge-
wohnheiten verabschieden müssen. Das
Online-Banking wird komplizierter, beim
Online-Shopping bleibt der Spaß am
schnellen Einkauf künftig auf der Stre-
cke. Fast noch schlimmer ist: Nur 41 Tage
vor Ultimo sind die wenigsten auf die ver-
flixte neue Netzwelt gut vorbereitet. Dies
gilt vor allem für Verbraucher, aber auch
Online-Händler und Banken hinken dem
Zeitplan für den 14. September gehörig
hinterher. Kein Wunder, dass vielen vor
diesem Termin graut.
Was an Umwälzungen auf alle zu-
kommt, klingt nicht historisch, sondern
zunächst harmlos und technisch: Die
zweite europäische Zahlungsdienstericht-
linie tritt in Kraft. Sie wurde von der EU
vorangetrieben und im Oktober 2015 be-
schlossen. Im Januar 2018 wurde die Pay-
ment Services Directive 2, die in der Fi-
nanzbranche nur kurz PSD2 genannt
wird, in deutsches Recht umgesetzt. Am


  1. September nun wird es richtig ernst.
    Mit ihrer europaweit einheitlichen Re-
    gelung des Zahlungsverkehrs verfolgt die
    EU im Prinzip hehre Ziele. Zum einen
    soll PSD2 den Verbrauchern beim On-
    line-Banking und bei Internetzahlungen
    größere Sicherheit geben. Zum anderen
    soll die Richtlinie Innovationen und Wett-
    bewerb unter Finanzdienstleistern för-
    dern. Kunden sind nicht mehr so sehr auf
    ihre Hausbank angewiesen, sondern kön-
    nen ihr Girokonto auch anderen vertrau-
    enswürdigen Zahlungsdienstleistern öff-
    nen. Zwar seien im Zuge von PSD2 ärger-
    lich hohe Gebühren beispielsweise bei
    Kartenzahlungen verschwunden, sagt Ma-
    ximilian Harmsen, Zahlungsexperte beim
    Beratungsunternehmen PwC. „Aber für
    die Kunden wird vieles ungemütlicher.“
    Ungemütlicher, das ist noch zurück-
    haltend ausgedrückt. Andere sprechen
    von einem Schreckgespenst, wenn es um
    PSD2 und besonders die darin geforder-
    te, sogenannte starke Kundenauthentifi-
    zierung geht. Dies bedeutet für Verbrau-
    cher, dass sie sich beim Online-Banking
    nicht länger bequem mit Pin und Pass-
    wort einloggen können, sondern sich zu-
    sätzlich mit einem weiteren Merkmal
    ausweisen müssen. Nötig sind künftig
    mindestens zwei aus den drei möglichen
    Faktoren Wissen, das nur der Kunde ha-
    ben kann (Passwort, Pin), Besitz (Smart-
    phone, Tan-Generator) und Inhärenz,
    also biometrische Merkmale wie Finger-
    abdruck, Augeniris oder Sprache. Dar-
    um wird die Methode auch Zwei-Fak-
    tor-Authentifizierung genannt.
    Schon für den Zugang aufs eigene
    Konto genügen demnächst nicht mehr
    nur Pin und Passwort, sondern der Bank-
    kunde muss sich durch ein weiteres Merk-
    mal identifizieren – in der Regel jedes
    Mal, mindestens aber alle neunzig Tage.
    Auch eine Überweisung freizugeben wird
    nicht mehr so einfach möglich sein. Das
    Verfahren mit den Transaktionsnum-
    mern (Tan) wird im Zuge von PSD2 näm-
    lich umgekrempelt. Eine altgediente Tan-
    Liste, bei der Bankkunden nach jeder Bu-
    chung eine sechsstellige Ziffernfolge ab-
    streichen und in den Computer einge-
    ben, gilt als relativ unsicher. Kriminelle
    hatten immer wieder Pin und die soge-
    nannte iTan von Kunden abgefischt. Dar-
    um muss künftig jede Tan im Zuge einer
    Überweisung eigens generiert werden.
    Viele Bankkunden müssen sich deswe-
    gen umstellen. Entweder müssen sie sich
    eine Banking-App aufs Smartphone la-
    den, die eine Tan-Übertragung ermög-
    licht. Oder sie müssen sich bei ihrer Bank
    oder Sparkasse einen Tan-Generator kau-
    fen, in den sie ihre Girokarte stecken, ei-
    nen Flickercode von der Banking-Seite
    scannen und dann eine Tan erhalten. So
    ein Zusatzgerät kostet je nach Geldinsti-
    tut zwischen neun und 35 Euro.
    Branchenexperten gehen allerdings da-
    von aus, dass solche Tan-Generatoren
    auch schon bald wieder überholt sein wer-
    den und biometrische Verfahren sich
    durchsetzen. Was Sicherheit und Nutzer-
    freundlichkeit angeht, seien Fingerab-
    druck, Iris-Scan, Gesichts- oder Spracher-
    kennung die besten Verfahren, sagt Mi-
    chael Seifert, Geschäftsführer der Soft-


warefirma Netcetera, die die Sicherheits-
verfahren für Banken und Händler entwi-
ckelt: „Wir überfordern den Kunden mit
den ganzen Sicherheitsverfahren kom-
plett und müssen alles konsequent verein-
fachen.“ Bisher bleiben laut einer PwC-
Studie 63 Prozent der Online-Banking-
Nutzer den eingeübten Methoden treu.
Nicht nur beim Online-Banking müs-
sen sich viele Verbraucher auf Neues ein-
stellen. Auch das Online-Shopping wird,
wenn am 14. September alles so läuft wie
geplant, komplizierter. Fürs Bezahlen mit
der Kreditkarte reicht es nicht länger aus,
Kartennummer, Verfallsdatum und Prüf-
ziffer einzugeben. Künftig müssen Ver-
braucher zusätzlich nachweisen, dass sie
der rechtmäßige Karteninhaber sind.

Auch hierfür ist, wie beim Online-Ban-
king, ein zweiter Faktor vonnöten, aus
der Bereich Wissen (Pin) oder Biometrie
(Fingerabdruck). Um für das neue Au-
thentifizierungsverfahren gerüstet zu
sein, müssen Verbraucher vorab ihre
Bank aufsuchen, um Girocard oder Kre-
ditkarte dafür registrieren zu lassen.
Auch wer einen Bezahldienst wie Pay-
pal nutzt, muss sich neben dem Pass-
wort künftig noch mit einem weiteren
Faktor ausweisen. Wer mit einem Smart-
phone einkauft, als dessen Besitzer er
sich wie gewohnt ausgewiesen hat, dem
genügen weiterhin nur Pin oder Pass-
wort. Apple Pay authentifiziert Einkäu-
fe flott über ein iPhone mit biometri-
scher Erkennung.

Für Online-Shopper mögen die stren-
geren Sicherheitsregeln lästig sein, für
Online-Händler sind sie ein Geschäftsrisi-
ko. Denn nichts fürchten die Shopbetrei-
ber so sehr wie Kaufabbrüche, also wenn
es den Kunden beim Bezahlen zu bunt
wird und sie einen langwierigen Vorgang
genervt beenden. In einer Umfrage des
Handelsinstitute EHI unter deutschen
Online-Händlern rechnen 82 Prozent da-
mit, dass Kunden wegen der kommenden
PSD2-Regeln Käufe vorzeitig beenden.
Tatsächlich zeigen die bisherigen Er-
fahrungen, dass sich eine Menge Kun-
den genervt abwenden, sobald sie beim
Bezahlen mit den neuen Kreditkartenre-
geln konfrontiert waren. Online-Händ-
ler, die die neueste Version des soge-
nannten 3D-Secure-Verfahrens für Kre-
ditkartenzahlungen bereits installiert ha-
ben, berichten von 40 Prozent Kaufab-
brüchen. Viele Online-Händler befürch-
ten zudem, dass sie es am Telefon oder
per Mail vermehrt mit hilfsbedürftigen
oder verärgerten Kunden zu tun bekom-
men. „Die starke Kundenauthentifizie-
rung dient zwar der Sicherheit, geht
aber zu Lasten der Nutzerfreundlich-
keit“, sagt Christoph Wenk-Fischer,
Hauptgeschäftsführer des Bundesverban-
des E-Commerce und Versandhandel.
Einige Tücken hat die EU selbst er-
kannt. Damit ihre neue Zahlungsrichtli-
nie nicht allzu kleinlich und abschre-
ckend auf die Verbraucher wirkt, hat sie
einige Ausnahmen zugelassen. Praktisch
erleichtern sie das Bezahlen, machen die
Sache zunächst aber noch schwerer ver-
ständlich. Denn Achtung, jetzt kommt’s:
Verbraucher müssen sich nämlich gar
nicht immer doppelt ausweisen.
Bei Zahlungen oder Buchungen unter
30 Euro reicht weiterhin eine einfache Au-

thentifizierung. Nach fünf Zahlungen
ohne zusätzlichen Nachweis oder wenn
sich die Einkäufe auf mehr als 100 Euro
summieren, ist jedoch wieder ein Finger-
abdruck oder anderer zweiter Faktor von-
nöten. Bei wiederkehrenden Zahlungen,
zum Beispiel für den Internetanschluss
oder fürs Zeitungsabo, müssen sich Ver-
braucher ebenfalls nicht jedes Mal aufs
Neue zweifach ausweisen. Auch eine an-
dere EU-Ausnahme ist zweckmäßig. Ver-
braucher können bei ihrer Bank Listen
von Händlern führen lassen, bei denen
sie gerne einkaufen und denen sie vertrau-
en (Whitelisting). Bezahlen die Verbrau-
cher dann ihre Einkäufe bei den von ih-
nen angegebenen Online-Shops, müssen
sie sich nicht doppelt identifizieren.
Doch hier wartet schon die nächste
Crux: Längst nicht alle Banken und Spar-
kassen erleichtern ihren Kunden das Le-
ben und bieten die Ausnahmen an, die
PSD2 erlaubt. Manche Banken werden es
ihren Kunden weiterhin so einfach wie
möglich machen wollen, andere werden
die sichersten Verfahren anbieten, die
aber weniger nutzerfreundlich sind. „Es
könnte also gut sein, dass ein Kunde
nicht bekommt, was er will, und aus Ver-
druss zu einer anderen Bank wechselt“,
sagt Michael Seifert von Netcetera.
Neue Regeln, neue Ausnahmen – alles
zusammen erscheint fürchterlich verwir-
rend. „PSD2 hat eine hohe Komplexität
und eine relativ geringe Vorlaufzeit. Da
ist es verständlich, dass nicht alles rei-
bungslos funktioniert“, sagt PwC-Exper-
te Harmsen. Darum bitten Banken und
Händler die zuständige EU-Behörde in-
ständig, den PSD2-Start zu verschieben.
So könnte verhindert werden, dass der


  1. September 2019 künftig für eine
    Schmach im Zahlungsverkehr steht.


M–DER DAX FÄLLT
Schon wieder hat der amerikani-
sche Präsident Trump den Handels-
konflikt mit China angeheizt und
neue Zölle angekündigt. Dabei
schienen die Verhandlungen zwi-
schen den Regierungen auf einem
guten Weg. Entsprechend nervös
reagierten die Anleger. Der Dax ver-
lor am Freitag mehr als drei Pro-
zent und stürzte auf 11 872 Punkte.
Der Chiphersteller Infineon war
mit einem Minus von sechs Prozent
der größte Verlierer. Auch Autower-
te waren stark betroffen, weil
Trump deutsche Fahrzeughersteller
ebenso auf dem Kieker hat. Der
Dax-Wochenverlust von 4,4 Prozent
war der größte seit Oktober 2018.

M+ ALLIANZ ERHÖHT DIVIDENDE
DerVersicherungskonzern Allianz
hat alle verblüfft. Der Gewinn ist
im zweiten Quartal unerwartet
stark gestiegen, vor allem dank ei-
nes Sonderertrags in der amerika-
nischen Lebensversicherung. Zu-
dem stellte die Allianz für 2019
eine höhere Dividende in Aussicht.
Für 2018 hatte der
größte deutsche Ver-
sicherer neun Euro
je Aktie gezahlt, ein
Euro mehr als im
Jahr zuvor.

M+ DELIVERY HERO GEWINNT
DerEssenslieferdienst Delivery
Hero hat im zweiten Quartal die Er-
wartungen des Marktes übertroffen
und seinen Umsatz auf 315 Millio-
nen Euro mehr als verdoppelt. Den
Verkauf des Geschäfts der Marke
Foodora in Australien und Europa
sowie der deutschen Lieferdienste
rechnete die Firma heraus. Der Ak-
tienkurs legte
im Laufe der
Woche um
mehr als zehn
Prozent zu.

M+UNTERHACHINGS ERFOLG
DieSpielvereinigung Unterhaching
ist erfolgreich an der Börse gestar-
tet. Klubpräsident Manni Schwabl
(Bild)durfte sich nicht nur über
den Erlös von 6,7 Millionen Euro
freuen. Der Aktienkurs des Drittli-
gaklubs, der als zweiter deutscher
Verein nach Borussia Dortmund an
die Börse ging, beendete die Wo-
che mit einem Plus von mehr als
30 Prozent.

TOPS UND FLOPS


M–DAS PFUND VERLIERT
DieBriten machen die Anleger ban-
ge. Aus Furcht vor einem chaoti-
schen Abschied aus der EU ist das
Pfund auf 1,09 Euro gefallen. Dies
war der tiefste Stand seit Frühjahr


  1. Viele Anleger be-
    fürchten, dass sich
    Premierminister
    Boris Johnson
    (Bild)für einen EU-
    Ausstieg ohne Verein-
    barung rüstet, den so-
    genannten No-Deal-
    Brexit.


M+APPLE ÜBERZEUGT
Eshätte eine richtig gute Woche
für den Technologiekonzern Apple
werden können. Der Umsatz legte
im dritten Geschäftsquartal zu, der
Gewinn ging nicht so sehr zurück
wie angenommen, das Geschäft
mit den Diensten floriert. Für Ver-
druss sorgte nur Trump. Er heizte
den Handelskon-
flikt neu an, so
dass der Apple-
Aktienkurs mit ei-
nem Minus aus
der Woche ging.

12500


11750


12000


12250


Quelle: Bloomberg / F.A.Z.-Grafik heu.


Indexpunkte


29.7.201930.7. 31.7. 1.8. 2.8.


Dax


11872


Illustration Getty


Verbraucher sollen besser vor Kriminellen geschützt


werden. Das Leben im Netz wird unbequem.


Von Thomas Klemm


Online-Shopping


wird zur Qual


Strengere Regeln für Banking und Bezahlen

Quellen: Bitcom; Statista; Mastercard/F.A.Z.-Grafik Niebel

Deutsche nutzen Onlinebanking

Onlinehandel setzt mehr um

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BG,F

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Welche zusätzliche Authentifizierung würden Sie
bevorzugen?
Eingabe einer PIN

Biometrische Bestätigung durch Fingerabdruck
auf dem Smartphone

Biometrische Bestätigung durch
Gesichtserkennung

Minderheit für mehr Regulierung

PIN-Eingabe bevorzugt

der Deutschen
befürworten die doppelte
Authentifizierung bei
Online-Zahlungen

Umsatz in Mrd. T, Deutschland

VPQN VPQU VPQR VPQO

VPQN QW QU QU QR QO

Prognose

S
P
O
R
T

A
B
S
E
IT
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