Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1
und sitzt in diesem Moment bei den Salz-
burger Festspielen in der Premiere von
Ödön von Horváths Stück »Jugend ohne
Gott«. Horváth hat diesen Text 1937 ver-
öffentlicht, er handelt auch davon, wie aus
Jugendlichen Faschisten werden.
Jung kennt das Stück, ihn hat nicht ent-
setzt, dass es um Faschismus geht. Das
wollte er sehen, aber er kann es schwer er-

A


ls der Lehrer auf die Bühne tritt,
als er die Frage stellt, was er
Adolf Hitler zu verdanken habe,
als er sich und dem Publikum die
Antwort gibt, »alles«, da denkt im Zu-
schauerraum Jochen Jung: »O Gott, jetzt
fangen die auch schon damit an.«
Jung ist Verleger, führt in Salzburg den
feinen literarischen Verlag Jung und Jung


tragen, wenn ältere Stoffe überdeutlich in
die Gegenwart verlegt werden, und dann
noch mit mahnendem Zeigefinger. Da
fühlt er sich für dumm verkauft.
Genau das ist passiert. Der Lehrer,
gespielt vom Dortmunder »Tatort«-Kom-
missar Jörg Hartmann, sitzt anfangs im
Publikum, einer von uns also, geht auf die
Bühne, in Kleidung unserer Zeit, hält dort

102


Sommergäste


TheaterAuf den ersten Blick wirkt bei den Salzburger Festspielen alles wie immer: Die Schauspiel-


und Opernwelt gibt sich die Ehre, die Kaffeehäuser sind voll. Doch Österreich hat
sich verändert. Ein Sittengemälde zwischen Ibiza-Affäre und Neuwahlen. Von Dirk Kurbjuweit

Szene aus Ödön von Horváths »Jugend ohne Gott«: Keine Schablone für aktuelle Diskussionen
Free download pdf