Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

3 von 30 Tagen besuche er keine Veran-
staltung, sagt Ropac.
Er hält sich viel in New York und Paris
auf, weshalb er halb von außen auf sein
Land schaut. »Meine Haltung zu Öster-
reich ist von der französischen geprägt«,
erzählt er, »und die ist zu Recht sehr kri-
tisch. Auch wenn man viel im Ausland ist,
bleibt dieses Land wie eine bleierne Weste
an einem hängen.« Die politischen Ver-
hältnisse seien »so schlimm, dass es der
Kunst kaum noch gelingt, sie einzufangen
und zu konterkarieren«.
Dann hebt er zu einem großen Loblied
auf das Niveau der Festspiele an. »In künst-
lerischer Hinsicht ist Salzburg Paris gar nicht
so unähnlich. Man hat nicht die größten
Künstler hervorgebracht, aber es gelingt im-
mer wieder, sie einzuladen.« Er nennt den
Spanier Pablo Picasso, der in Paris gearbei-
tet hat. Dann zählt er die Sänger und Sän-
gerinnen auf, die in Salzburg reüssierten,
angefangen bei Anna Netrebko. Nun freut
er sich auf neue Entdeckungen, vor allem
auf Elena Stichina, die in der Premiere von
»Médée« morgen die Titelrolle singen wird.
Im Festival sieht Ropac insgesamt »ein
Wunder von Salzburg«, weitgehend ent-
koppelt vom trüben Rest.
Der trübe Rest befasst sich in diesen Ta-
gen mit »Grauslichkeit«. Dieses Wort ver-
wendet der ehemalige Bundeskanzler Se-
bastian Kurz (ÖVP) und meint damit das,
was der bayerische Politikerkollege Horst
Seehofer einst »Schmutzeleien« genannt
hat. In Österreich läuft der Wahlkampf an,
und er ist von miesen Unterstellungen aus
dem privaten Bereich geprägt, zudem von
einer Schredderaffäre. Ein Mitarbeiter von
Kurz hat nach dessen Abwahl Festplatten
vernichten lassen. Dessen Vorgänger,
Christian Kern von der SPÖ, soll das auch
gemacht haben. Man schimpft, droht mit
Klage.
Es wäre allerdings nicht gerecht, Öster-
reich als »failing state«, als scheiternden
Staat, einzuordnen. Im Gegenteil, der
Staat hat sich seit der Ibiza-Affäre als ro-
bust erwiesen. Strache musste die Regie-
rung verlassen, dann wurde Kurz abge-
wählt, der Strache in die Regierung geholt
hatte. Und nun ist eine Übergangsregie-
rung aus Experten im Amt, die sich als
handlungsfähig erweist. Gerade hat der
Nationalrat ein Rauchverbot für Gaststät-
ten beschlossen.
Der Dienstag beginnt im Café Bazar.
Alte Tische, alte Stühle, altes Holz an den
Wänden, alte Kronleuchter und ein riesi-
ger alter Zeitungsständer, der ganz und
gar behängt ist mit Zeitungen. Ein Christ-
baum für Leser, täglich Weihnachten.
Die österreichischen Zeitungen berich-
ten weiter groß vom »Reisswolf-Gate«,
der »Schredder-Schlammschlacht«. Ein
Gesellschaftsreporter der »Kronen Zei-
tung« behauptet, er habe einen Blick auf


Tobias Moretti erhascht, auf einer Moto
Guzzi davonbrausend.
Mittags steht wieder eine Verabredung
in der Blauen Gans an, diesmal mit Jochen
Jung. Er ist schon da, liest Zeitung. Jung,
ein Mann mit einem weißen Rauschebart,
wurde in Deutschland geboren und ist seit
40 Jahren auch Österreicher.

Die Stärke der Rechtenin Deutschland,
Österreich und anderswo, das Ibiza-Video,
»eine richtige Katastrophe«, das treibt ihn
alles stark um, aber dafür braucht er das
Theater nicht. Er weiß nicht, was er dort ler-
nen könne, was er nicht schon in der Zeitung
gelesen habe. Man könnte ergänzen, so thea-
tralisch, wie sich manche Politiker dieser Tage
aufführen, Trump, Johnson, Strache, da muss
kein Theater mehr etwas verdeutlichen oder
zuspitzen. Da liegt alles auf der Hand.

Zurück ins Café Bazar, der Terminplan
ist voll. Hier gehört jetzt eine kleine Vor-
bemerkung hin. Wer über Kultur und
Politik in Österreich schreiben will, steht
vor der Grundsatzfrage, ob er Thomas
Bernhard einbezieht oder nicht. Das
Problem ist, dass die Antwort allzu oft
»Ja« heißt. Es ist üblich geworden. Ande-
rerseits ist die Versuchung wirklich sehr
groß. Bernhards Stück »Heldenplatz« aus
dem Jahr 1988 gilt als Schablone für die
aktuellen Verhältnisse. Im Mittelpunkt ste-
hen hier der Professor Josef Schuster und
seine Familie, für die Österreich noch im-
mer stark vom Nationalsozialismus ge-
prägt ist.
Manfred Mittermayer gibt als Beruf
Thomas-Bernhard-Experte an. Er hat zwei
Biografien geschrieben, ist Hochschulleh-
rer und einer der Intendanten der Rauriser

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