Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

Literaturtage. Auch er ist ein fleißiger Be-
sucher des Festivals, geht aber eher ins
Konzert als ins Theater. Für den Intendan-
ten Markus Hinterhäuser findet er, wie
Jung und Ropac, nur positive Worte, weil
der nicht nur auf das Bekannte setze.
Spielchen der Art, »was würde Thomas
Bernhard heute sagen?«, sind mit Mitter-
mayer nicht zu machen. Der Schriftsteller
ist seit 30 Jahren tot, und Mittermayer fin-
det, dass sich in dieser Zeit, einer rasenden
Zeit, zu viel verändert hat, um seriös spe-
kulieren zu können. Andere Frage: Ist
»Heldenplatz« ein seherisches Stück, das
die kommende Zeit vorausahnt? »Ich glau-
be«, sagt Mittermayer, »Bernhard war sehr,
sehr sensibel für Entwicklungen, die da-
mals noch nicht so stark an die Oberfläche
getreten waren und inzwischen ihr häss -
liches Gesicht zeigen.«


Eine realitätsgetreue Darstellung Öster-
reichs sei »Heldenplatz« jedoch nicht. Pe-
ter Fabjan, Bruder von Thomas Bernhard,
habe ihm einen guten Hinweis gegeben.
Mittermayer: »Nationalsozialismus ist für
Bernhard weniger eine politische Kategorie
gewesen, sondern mehr eine Chiffre für die
Art, wie ein System mit Menschen umgeht,
vor allem mit Schwachen und Kranken.
Eige ne Erfahrungen in einem national -
sozialistischen Internat und in der Schule
haben ihn besonders sensibel gemacht.«
Eine wertvolle Erkenntnis: Sind das Na-
zis?, ist nicht die Frage, die in dieser Zeit
weiterführt. Wie wollen Politiker mit Men-
schen umgehen oder wie gehen sie mit
Menschen um? Das ist die entscheidende
Frage für politische Diskussionen.
Es geht dann noch um Peter Handke
und seine Rivalität zu Bernhard, und dann

sagt Mittermayer, durchaus freundlich,
den Satz: »Handke hat irgendwann ge -
sagt, Bernhard schreibe nur noch wie ein
SPIEGEL-Autor.« Recherchen können
manchmal auch wehtun.
Mittermayer schiebt dann nach, »subtile
erzählerische Differenzierung« und »kraft-
volle aggressive Zuspitzung« hätten sich
bei Handke und Bernhard gegenüberge-
standen. Eine solch durchdringende Stim-
me wie die Bernhards fehle Österreich.

Der nächste Termin, nein, kein Café, kein
Restaurant, sondern ein Büro: das der Prä-
sidentin der Festspiele, Helga Rabl-Stadler,
einst Politikerin der ÖVP, einst Unter -
nehmerin und, wie man hört, mit allen
Wassern gewaschen. Am Tisch sitzt auch
Valery Tscheplanowa, die im »Jedermann«
die Buhlschaft spielt.
So wie in der Galerie von Ropac Roy
Lichtensteins Bilder leuchteten, leuchten
hier die Worte. Rabl-Stadler hat vor allem
zwei Aufgaben. Sie muss, je nach Wetter-
lage, entscheiden, ob der »Jedermann«
drinnen oder draußen aufgeführt wird,
eine durchaus schwierige Entscheidung,
die manchmal Anfeindungen nach sich
zieht. Und sie muss für ihre Festspiele wer-
ben und sie lobpreisen, was sie mit unge-
heurer Begeisterung und mimischer und
gestischer Ausdrucksstärke tut.
Moretti: wundervoll. Tscheplanowa:
wundervoll. Idomeneo: wundervoll. Und
so weiter. Valery Tscheplanowa stimmt
später ein, mit fester, klarer Schauspiele-
rinnenstimme, ein großartiges Festival, ein
großartiger Moretti. Nun reicht es aber
bald, da redet Tscheplanowa schon sehr
schön über den Regen und nennt ihn
»einen Mitspieler, der einen eigenen Kopf
hat«. Heute scheint die Sonne.
Welche Rolle spielt die aktuelle Politik
bei den Festspielen 2019? Rabl-Stadler sagt:
»Mich hat noch kein einziger Mensch auf
das Ibiza-Video angesprochen.« Die The-
men seien eher Klima und Frieden. Sie
selbst habe nichts dagegen, dass die Stücke
aus anderen Zeiten in die Gegenwart geholt
werden. Als Jochen Jung »O Gott« dachte
in »Jugend ohne Gott«, war Rabl-Stadler
»verstört und hatte beinahe Magenweh«,
aber nicht aus Entrüstung, sondern weil sie
so aufgewühlt war. Findet sie genau richtig,
das so zu machen. Später sagt sie mit Süße
in der Stimme: »Ich würde niemals eine
aktuelle Produktion kritisieren.« Was sie
fürchtet, ist Plattheit: »Ich will keinen auf
der Bühne sehen mit einer Trump-Perü-
cke.« Da kann man sich nur anschließen.
Beim Abschied lässt Rabl-Stadler die
Arme fliegen, vor Aufregung, vor Freude,
denn in einer halben Stunde beginnt die
nächste Premiere, die Oper »Médée« von
Luigi Cherubini.
Während der Ouvertüre läuft eine Art
Spielfilm. Ein Ehepaar, Jason und Medea,

DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019 105

MARCO RIEBLER / DER SPIEGEL / VG BILD-KUNST, BONN 2019

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