Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

A


ls A$AP Rocky den Saal betritt,
geht er ein paar Meter mit lässi-
gen Schritten und guckt kurz ins
Publikum, wo auch seine Mutter
sitzt. Sein Blick wirkt uneindeutig: Sind
das nur seine Rehaugen? Oder ist das
Arroganz?
Es könnte ein Auftritt von vielen sein
für den 30-jährigen Rapper, dem der »Rol-
ling Stone« schon vor Jahren attestierte,
Hipster würden ihn als »King of New
York« bezeichnen. Würde er sich am


  1. Juli nicht vor einem Gericht in Stock-
    holm abspielen – und wäre dies nicht der
    Auftakt eines Prozesses gegen den Musi-
    ker, der bereits eine mittlere diplomatische
    Krise zwischen Schweden und den USA
    ausgelöst hat.
    A$AP Rocky sitzt seit Anfang Juli in
    schwedischer Untersuchungshaft, und nie-
    mand anderes als Donald Trump persön-
    lich bemüht sich seit Wochen um seine
    Freilassung. Derselbe Mann, der die
    »Black Lives Matter«-Bewegung, die sich
    gegen Unrecht an schwarzen US-Bürgern
    einsetzt, während seiner Präsident-
    schaftskampagne mal als »Problem« be-
    zeichnet hat. Der aber auch keine Ge-
    legenheit auslässt, seine Einschaltquote
    zu erhöhen.
    Jetzt, im Gerichtssaal, ist Trump weit
    weg, und A$AP Rocky, der sich auf die
    Anklagebank gesetzt hat, wirkt ruhig,
    kein bisschen vorlaut, eher klein. Die
    Staatsanwaltschaft wirft ihm und zwei
    Männern aus seiner Entourage vor, den
    19-jährigen Mustafa Jafari Ende Juni
    auf der Straße, mitten in Stockholm, zu-
    sammengeschlagen zu haben. A$AP
    Rocky war in der Stadt, weil er dort ein
    paar Tage später bei einem Festival rap-
    pen sollte. Wird er verurteilt, drohen
    ihm bis zu zwei Jahre Haft. Das Urteil soll
    am Freitag, nach Redaktionsschluss dieser
    Ausgabe, fallen.
    Anfang Juli postete A$AP Rocky auf
    seinem Instagram-Account, der fast elf
    Millionen Abonnenten hat, zwei Videos,
    die das Geschehen aus seiner Sicht zei-
    gen sollten: Darin wirkt er beschwichti-
    gend, sagt zu Jafari, der sich ihm und sei-
    nen Begleitern immer wieder zu nähern
    scheint: »Chill«, beruhig dich. Der Kampf
    um Deutungshoheit mit verwackelten
    Handyaufnahmen ging los, normal in
    Zeiten, in denen jeder sein Smartphone
    griffbereit hat – und zugleich heikel:
    Stimmt dieser Ausschnitt der Wirklich-
    keit? Oder hat ihn jemand zurechtge-
    schnitten?
    Die amerikanische Gossipseite TMZ
    veröffentlichte ungefähr zeitgleich einen
    Zusammenschnitt aus anderen Handy -
    videos, der einen anderen Eindruck ver-
    mittelt: In einem davon schleudert ein
    Mann, der der Kamera den Rücken zuwen-
    det, aber Ähnlichkeit mit A$AP Rocky hat,


jemanden, der wie Jafari aussieht, über
die Straße.
Die Videos laufen am ersten Prozesstag
rauf und runter auf der Leinwand im Ge-
richtssaal, in Zeitlupe, als Screenshots. Der
Staatsanwalt legt SMS aus A$AP Rockys
Umfeld vor: In einer heißt es, das Material
sei »cleaned up a bit«, es sei etwas gesäu-
bert worden.
An der Bushaltestelle vor dem Stock-
holmer Rathaus, ein paar Hundert
Meter vom Gerichtssaal entfernt, hängt
ein Plakat mit der Aufschrift »FREE
A$AP ROCKY ASAP«, lasst ihn frei, so
schnell es geht. Darunter ein Hashtag:
#JusticeForRocky, »Gerechtigkeit für
Rocky«. Eine Onlinepetition unter dem
gleichen Namen sammelte in den ver -
gangenen Wochen fast 650 000 Unter-
schriften.
Die Proteste im Netz sind groß – sie
wenden sich auch gegen Schweden. Nut-
zer rufen zum Boykott schwedischer Un-
ternehmen auf, des Musikstreamingdiens-
tes Spotify oder des Einrichtungshauses

Ikea etwa, ein neues Hashtag entstand,
#BoycottSweden.
Als TMZ über widrige Haftbedingun-
gen berichtete, das Wasser im Stockhol-
mer Gefängnis sei dreckig und das Essen
ungenießbar, konterte das schwedische
Boulevardblatt »Aftonbladet« und ver -
öffentlichte die Wochenspeisekarte für die
Insassen: »panierter Kabeljau mit Kartof-
felpüree«, »Rhabarberkuchen mit Vanille-
soße«.
Justin Bieber, Rod Stewart und Sean
»Diddy« Combs, früher bekannt als Puff
Daddy, setzten sich dafür ein, dass A$AP
Rocky aus der Untersuchungshaft freige-
lassen wird.
Doch es war Kim Kardashian, Unter-
nehmerin, Social-Media-Phänomen und
die Frau des so einflussreichen wie unbe-
rechenbaren Rappers Kanye West, die den
Draht zu Trump hergestellt haben soll. Ihr
Mann trug im vergangenen Jahr gern eine
rote Kappe mit »Make America Great
Again«-Aufschrift und sagte, er fühle sich
damit wie Superman. Er feierte Trump in

Tweets und traf sich mit ihm im Weißen
Haus, um über Gefängnisreformen, die
besten Flugzeuge, aber vor allem über sich
selbst zu reden. West sagte dort, er liebe
Trump. Dieser nannte West im Oval Office
ein »Genie«. Es klang, als hätten beide
sich selbst gemeint.
Am 19. Juli twitterte Trump, er habe
eben mit West über A$AP Rockys Unter-
suchungshaft gesprochen und wolle den
»sehr talentierten« Premier Schwedens,
Stefan Löfven, anrufen, um zu schauen,
wie er dem Rapper helfen könne. Er werde
auch die Kaution für A$AP Rocky zahlen.
Nach schwedischem Recht gibt es aller-
dings keine Kaution. Löfvens Büro reagier-
te nüchtern auf Trumps Tweet: In Schwe-
den seien vor dem Gesetz alle gleich. Am


  1. Juli war dann keine Rede mehr von
    »sehr talentiert«. Er sei »sehr enttäuscht«
    von Löfven, twitterte Trump, weil der
    »handlungsunfähig« sei: »Schweden hat
    unsere afroamerikanische Community in
    den Vereinigten Staaten im Stich gelas-
    sen«, »#FreeRocky«.
    A$AP Rocky kam als Rakim Mayers
    in New York zur Welt, wuchs in Harlem
    auf. Drogen und Hip-Hop prägten seine
    Kindheit, schon als 8-Jähriger will er
    sich zum ersten Mal als Rapper ver-
    sucht haben. Sein Vater dealte, landete
    deshalb im Gefängnis, als Mayers
    12 Jahre alt war, und starb, als sein Sohn
    Mitte 20 war. Als Mayers 13 Jahre alt
    war, wurde sein Bruder, der auch mit
    Drogen gedealt hatte, in der 116. Straße
    erschossen, nahe ihrer Wohnung. Mit
    seiner Mutter und seiner Schwester, die
    2016 an einer Überdosis sterben sollte,
    lebte Mayers in Obdachlosenheimen,
    vertickte erst Gras, dann Crack in der
    Bronx. Er schloss sich einer Hip-Hop-
    Crew in Harlem an, die den Namen A$AP
    Mob trägt, für ihn eine »erweiterte Fami-
    lie«. Aus Rakim Mayers wurde A$AP
    Rocky.
    Das Akronym »A$AP« in seinem
    Künstlernamen ist im Amerikanischen –
    dann mit normalem »S« statt mit dem
    Dollarzeichen »$« – die Abkürzung für
    »as soon as possible« (»so schnell wie
    möglich«) und passt zu A$AP Rockys
    schnellem Aufstieg als Rapper. Es steht
    laut A$AP Mob auch für »always strive
    and prosper«: den Leitsatz, stets nach
    Höherem zu streben – und somit für
    den amerikanischen Traum. Auf dem
    Cover des Mixtapes »Live.Love.A$AP«,
    das ihm 2011 den Durchbruch brachte,
    posiert er vor einer US-Flagge und guckt
    ein bisschen arrogant, ein bisschen wie
    auf Droge. Als wäre er von sich selbst
    berauscht.
    Zwei seiner drei Alben landeten auf
    Platz eins der Billboard-Charts. Zu sei-
    nen bekanntesten Songs gehört »Purple
    Swag«, ein Stück, das sich der berauschen-


DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019 109

Tweet des US-Präsidenten
Keine Rede mehr von »sehr talentiert«
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