Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

den Wirkung von Lean widmet, einer
Droge auf Basis von verschreibungspflich-
tigem Hustensaft.
A$AP Rocky ist nicht nur ein Kind
des Gettos, sondern auch des Internets,
entsprechend sind sein Sound und seine
Texte ein überregionales Hip-Hop-Sam-
melsurium aus Alt und Neu. Er hat von
allem etwas, ist aber nichts so richtig.
Wozu auch passt, dass er meistens wirkt,
als wäre ihm ziemlich vieles ziemlich
egal. Das Verschlafene, Vernebelte, Ver-
drogte, das derzeit im Trap angesagt ist,
hatte A$AP Rocky schon zu Beginn seiner
Karriere, in seiner Art zu rappen, in
seinen Videos, in seiner Gesamterschei-
nung.
Doch der Mann mit dem Schlafzimmer-
blick war immer auch, anders kann man
es kaum sagen, ein Großmaul.
»Ich weiß, dass ich den Hip-Hop zurück-
bringen werde«, sagte er in einem Inter-
view, er sprach davon, dass Frauen bei
seinem Anblick ohnmächtig werden soll-
ten, und sagte, er wolle wie Michael Jack-
son sein, als man noch wie Michael Jack-
son sein wollte. Bescheidenheit ist nicht
sein Ding. Auf »Live.Love.A$AP« rappte
er »Das Einzige, was größer ist als mein
Ego, ist mein Spiegel«, auf seinem neues-
ten Album »Wenn ich in deinen Top Ten
bin, ist mein Name besser der erste«. Zei-
len, die auch Donald Trump gut stehen
würden.
Wie Kanye West ist A$AP Rocky eine
Stilikone. Einer seiner Songs heißt »Fa-
shion Killa«. Er zeigt sich in Paris zur Fa-
shion Week, hat Models wie Chanel Iman
gedatet und schon selbst als Model für
Dior gearbeitet.
Nur hat das Fotoshooting bei ihm die
Straße nicht ersetzt, beides existiert eher
nebeneinander her. Seit seiner Geburt
habe er sich für Mode interessiert, sagte
er. Wo er aufgewachsen sei, habe man gut
aussehen wollen, um die Armut zu kom-
pensieren. Wenn es nicht um den Luxus
und den Rausch geht, rappt A$AP Rocky
auch mal von Schlägereien (»Suddenly«)
und von Gefängnissen (»Max B«). 2011
schlug er während eines Konzerts in New
York angeblich auf einen Techniker ein,


weil ihm die Bühne nicht gefallen haben
soll. 2012 wurde er mutmaßlich festgenom-
men, nachdem er sich in Manhattan mit
zwei Leuten geschlagen hatte, die Fotos
von ihm machen wollten. 2016 kam es zu
einem Schlagabtausch in Neuseeland,
nachdem er einen Mann nicht in den Auf-
zug lassen wollte.
Als A$AP Rocky nach dem ersten
Prozesstag in Stockholm den Saal ver-
lässt, geht er ein paar Meter, guckt kurz
ins Publikum, lächelt und legt die Hand-
flächen aufeinander wie zum Dank. Die
Geste mag eher seiner Mutter gelten, die
ein Oberteil mit »A$AP Lifestyle«-Logo
anhat, aber ein grauhaariger weißer
Mann schräg hinter ihrem Sitzplatz im
Zuschauerraum, der einen Nadelstreifen-
anzug trägt, zeigt jetzt den Daumen nach
oben. Es ist Robert C. O’Brien, Topan-
walt und im vergangenen Jahr von Trump
zum »Sondergesandten des Präsidenten
für Geiselangelegenheiten« ernannt.
Geisel angelegenheiten? Bei einem Pro-
zess in Schweden?
Während des ersten Prozesstages ist
O’Brien immer wieder mit seinem Tablet
befasst, er tippt Nachrichten, in denen die
Wörter »case« und »weak« vorkommen.
Zwischendrin sagt er, an A$AP Rockys
Mutter gewandt: »Wir werden ein gutes
Restaurant finden, wir werden euch aus-
führen.« Als alle aufstehen, um den Zu-
schauerraum zu verlassen, unterhält er
sich noch kurz mit einem Journalisten
über Golf. Trump ist weit weg – und doch
so nah.
Dass der amerikanische Präsident sich
für den afroamerikanischen Rapper A$AP
Rocky einsetzt, mag irritieren – gerade in
einer Zeit, in der er demokratischen Poli-
tikerinnen nahelegt »zurückzugehen«.
Oder wenn er über den Wahlbezirk des
schwarzen Kongressabgeordneten Elijah
Cummings, der zum Teil in Baltimore liegt,
sagt, er sei »rattenverseucht«.
Es ist ein populistisches Verwirrspiel,
die Doppelmoral als Strategie, um mög-
lichst verschiedene Teile der Gesellschaft
zu erreichen. Der Fall A$AP Rocky ist für
Trump auch eine Gelegenheit, sich als Un-
terstützer der afroamerikanischen Com-

munity zu stilisieren, als jemand, der einen
Rapper unterstützt, der sonst auf Play -
listen von New Yorker Hipstern zu finden
ist; eher nicht von Trump-Fans. Zudem ist
es seit Jahren Teil der Trump-Taktik, Auf-
merksamkeit für andere Themen, neue
Brandherde zu generieren, um von sich
und den Problemen um sich herum abzu-
lenken: Reden die Leute mehr über Trump
und A$AP Rocky, sprechen sie weniger
über den Mueller-Report.
Dass Trump sich für A$AP Rocky ein-
setzt, bestätigt aber auch, wofür der US-
Präsident – neben all den Ungereimthei-
ten, den Lügen – steht: dafür, das Ameri-
kanische in der Welt über alles zu stellen
und bedingungslos zu verteidigen. Die Ce-
lebrity-Kultur, zum Beispiel. Vor allem
aber: den amerikanischen Traum, an den
die wenigsten noch glauben mögen. Wer
verkörpert ihn besser als ein junger Rap-
per, der es vom Drogendealer zum Millio-
när gebracht hat?
Mit Trumps Vorgänger Barack Obama
sind Politik und Pop so nah zusammenge-
rückt wie kaum zuvor. Zu den Unterstüt-
zern von Obama, der selbst zeitweise wie
ein Popstar strahlte, zählten Beyoncé und
ihr Mann Jay-Z, Bruce Springsteen,
Janelle Monáe und Kendrick Lamar, die
Liste ließe sich leicht fortsetzen.
Ähnlichen Glanz hätte Trump auch
gern, stattdessen ist er selbst zum Teil der
Popkultur geworden, schon lange vor sei-
ner Präsidentschaft ließen ihn die Macher
der »Simpsons« auftreten. Auch im Fami-
lienfilm »Kevin – Allein in New York«
spielt er mit. Popmusiker für seine Sache
zu finden ist für Trump dagegen so gut wie
unmöglich: Zu seiner Amtseinführung
spielten lediglich ein paar Countrymusiker
und die Rockband 3 Doors Down, ein pop-
kultureller Hauch von nichts, verglichen
mit einer der erfolgreichsten Musikerinnen
unserer Zeit, der Obama-Supporterin
Beyoncé.
Die Verbindung zu Kanye West und
nun zu A$AP Rocky ist für Trump eine
Chance: seinen Populismus popkompa -
tibel zu machen. Jurek Skrobala
Twitter: @skrobala

110 DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019


ANGELA WEISS / AFP COURT ILLUSTRATION BY ANNA HARVARD / AP
Influencerin Kardashian, Angeklagter A$AP Rocky im Gerichtssaal: Ein Kind des Gettos – aber auch des Internets
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