Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

derland«-artige Episode sollte hier gedreht
werden, Max Raabe mit seinem Palast Or-
chester dazu die Musik spielen.
Clausen und seine Geschäftspartnerin
Edda Reiser hatten viele bekannte Schau-
spieler für ihren Film zusammenbekom-
men. Von Berlin, so Reiser, gehe eine gro-
ße Anziehungskraft aus, die Stadt sei auf
dem »Zenit ihrer Beliebtheit«, sagte Josef
Steinberger, damals ebenfalls einer der
Produzenten. Heute liegen Clausen und
Reiser mit ihm in einem Rechtsstreit.
Anfang Oktober 2017 schaute sich die
britische Oscarpreisträgerin Helen Mirren
die Hangars des ehemaligen Flughafens
Tempelhof an, um sich auf ihre Rolle in
»Berlin, I Love You« vorzubereiten. »Un-
glaublich«, sagte sie. »Für die Nazis war
das ein Repräsentationsbau, nun finden
hier Flüchtlinge Unterkunft und Schutz.
Für mich ist dieser Ort eine Offenbarung.«
Mirren verkörpert in einer Episode von
»Berlin, I Love You« die Mutter einer jun-
gen Britin, gespielt von Keira Knightley,
die sich für Flüchtlinge engagiert und dabei
ihr eigenes Leben aus den Augen zu ver-
lieren droht. Regie führte die iranisch-ame-
rikanische Filmemacherin Massy Tadjedin.
Mirren ging damals durch die mit dünnen
Holzwänden abgetrennten Wohneinhei-
ten, die meisten von ihnen standen leer.
Viele der Flüchtlinge waren inzwischen in
andere Unterkünfte gebracht worden. We-


nige Monate vorher platzten die Hangars
noch aus allen Nähten.
Als Mirren und Knightley die Flücht-
lingsepisode drehten, hatten die Produzen-
ten schon ein gewaltiges Problem. Der Li-
zenzgeber Benbihy verlangte von ihnen,
ein bereits zwei Jahre zuvor gedrehtes
Segment nicht in den Film aufzunehmen.

Hauptdarsteller der umstrittenen Epi-
sode ist der regimekritische chinesische
Künstler Ai Weiwei, der in seiner Heimat
unter Hausarrest stand und seit 2015 in
Berlin lebt. Als die Episode geplant wurde,
war er noch in China und sollte aus dem
Hausarrest Fernregie führen. Nach dem
ersten Teil der Dreharbeiten an der Episo-
de kam er auf freien Fuß. Einige Szenen,
die in China spielen, wurden daher später
in Berlin gefilmt.
Die Episode zeigt Ai, wie er in China in
einem Gewölbe sitzt und über Skype mit
seinem kleinen Sohn kommuniziert, der
mit seiner Mutter in Berlin lebt. Eine Alle-
gorie der Grenzen, die überwunden wer-

den. Der Zuschauer sieht den Jungen auf
dem Mauerstreifen radeln.
Man kann diese Episode für bewegend
oder für rührselig halten, Lizenzgeber Ben-
bihy jedenfalls fand sie zu politisch. Er
nennt sein Franchise »Cities of Love«, die
Filme sollen von Liebe erzählen, nicht von
den Repressionen einer Regierung. Benbi-
hy hat einen Firmensitz in Shanghai und
arbeitet an einem Porträtfilm über die ost-
chinesische Metropole.
»Ai Weiwei benutzt alles und jeden, um
ein Narrativ von China zu verbreiten, das
nicht mehr den Tatsachen entspricht, ihn
aber sehr erfolgreich gemacht hat«,
schreibt Benbihy in einer Mail an den
SPIEGEL. Westliche Medien würden diese
»Klischees ausbeuten«, um die Aufmerk-
samkeit der Menschen zu gewinnen.
Auf die Frage, ob durch den Wirbel um
die Ai-Episode Benbihys Shanghai-Projekt
gefährdet sei und chinesische Offizielle
Druck auf ihn ausgeübt hätten, erwidert
er, diese Vermutung sei »lächerlich«. Er
liebe China und werde die Entwicklung
des Landes fördern, wo er könne.
Der Name Ai Weiwei habe auch in
Deutschland dazu geführt, dass Sponsoren
des Films nicht mehr namentlich genannt
werden wollen, behaupten Clausen und
Reiser. Die Angst vor China sei sehr groß,
Reiser spricht von »Selbstzensur im Kopf«.
Der Berliner DJ-Star Paul Kalkbrenner
sei »begeistert« gewesen, an dem Film mit-
zuwirken. Doch als er erfahren habe, dass
Ai dabei sein solle, habe er seine Zusage
zurückgezogen. Kalkbrenner tritt auch in
China auf. Sein Manager bestreitet, dass
die Absage Kalkbrenners etwas mit Ai zu
tun gehabt habe.
Auch das Studio Babelsberg habe sich
zunächst an dem Film beteiligen wollen,
sagen Clausen und Reiser, dann aber da-
von Abstand genommen. Babelsberg-Ge-
schäftsführer Carl Woebcken schreibt auf
Anfrage des SPIEGEL, der Grund für den
Rückzug seien »Probleme mit den Rech-
ten und dem Titel« gewesen.
Der deutsche Verleih hat die Produzen-
ten aufgefordert, Verweise auf Ai Weiwei
von ihrer Website zu tilgen. Die wiederum
bereiten einen Dokumentarfilm über den
Streit um den Künstler vor. Eine Episode,
die gar nicht im Film ist, überschattet den
gesamten Film.
Die Auseinandersetzung um Ai und
»Berlin, I Love You« zeigt, wie kompliziert
das Filmgeschäft durch die zunehmende
Globalisierung geworden ist. Und dass das
Bestreben, weltweit Geld zu verdienen, gro-
ßen Einfluss darauf hat, welche Geschichten
erzählt werden und wie sie erzählt werden.
Es hat sein Gutes, dass Hollywood in
seinen Filmen Araber und Asiaten nicht
mehr so stereotyp zu Bösewichten stem-
peln kann wie früher. Die immer teurer
werdenden Produktionen müssen auch in

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Muss man
an Peking denken,
wenn man
in Moabit dreht?

FOTOS: ROMAN BENBIHY / BILY MEDIA (2) ; MARTIN KUNZ / BILY MEDIA (4)
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