Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1
115

A


uf dem Umschlag wird dieses Buch ein wenig angebe-
risch zu einem »unverzichtbaren Beitrag« erklärt, un-
verzichtbar dafür, die Debatte um das koloniale Erbe
in deutschen Museen zu versachlichen. »Im Schatten Hum-
boldts« des amerikanischen Historikers H. Glenn Penny will
sogar noch mehr, es will die »tragische« Geschichte der deut-
schen Ethnologie erzählen und zugleich einen Ausweg aus
der Tragödie aufzeigen.
Lange hieß die »Ethnologie« in Deutschland »Völkerkun-
de«, und ebenso lange wurde nicht darüber geredet, dass die
Deutschen in ihren zahlreichen einschlägigen Museen Dinge
horten, die ohne koloniale Ver -
brechen nie ihre Herkunftsländer
verlassen hätten. Nun reden viele,
aber offenbar nicht nach dem Ge-
schmack von Penny.
Ausgelöst hatte den Streit um
das museale Erbe die Kunsthisto-
rikerin Bénédicte Savoy im Som-
mer 2017. Es war ein Streit, der
auch das wiedererrichtete Stadt-
schloss in Verruf brachte. Denn
dort sollen ausgewählte Stücke des
Berliner Ethnologischen Museums
ausgestellt werden und mit ihrer
Strahlkraft die deutsche Weltoffen-
heit beschwören. Das war der Plan.
Dann aber verglich Savoy die
Sammlung wegen ihrer Ursprünge
mit strahlendem Atommüll, das
ganze Projekt mit Tschernobyl und
trat aus dem Beirat aus, in den sie
berufen worden war.
Penny dagegen hält die Geschich-
te offenbar nicht für toxisch, son-
dern eben nur für tragisch, das ist
ein Unterschied. Es ist aber keine
Versachlichung, sondern eine Ver-
flachung, eine Verharmlosung. Und
er erzählt in seinem Buch nicht nur
eine Geschichte der deutschen Ethnologie, sondern viele davon,
regelrechte Storys. Den ersten Direktor des »Königlichen Mu-
seums für Völkerkunde« in Berlin, Adolf Bastian, lässt er als
Forscherabenteurer unter anderem durch Südamerika reisen,
»... und als in Panik geratene Matrosen und Passagiere nach
Dingen suchten, die sie vom überladenen Boot werfen konnten,
saß er drohend auf seiner Kiste mit Axtköpfen und hielt sie
mit seinem Revolver auf Distanz«. Er schildert, wie das Berliner
Museum überquoll und sich die Ratten darüber freuten.
Auch einem von Bastians Kollegen, dem Österreicher Felix
von Luschan, widmet er sich ausführlicher. Von 1885 bis 1910


H. Glenn Penny: »Im Schatten Humboldts. Eine tragische Geschichte der deut-
schen Ethnologie«. C. H. Beck; 288 Seiten; 26,95 Euro.

arbeitete Luschan im Berliner Völkerkundemuseum, zuletzt
als Direktor der Abteilungen Afrika und Ozeanien.
Gehörte Luschan aus heutiger Sicht zu den Guten, weil er
die Theorie ablehnte, es gäbe verschiedene menschliche Ras-
sen? Weil er sich gegen die Gräueltaten in den Kolonien aus-
sprach? Oder war er ein Böser, weil er von den Gräueln pro-
fitierte? Kolonialtruppen wies er in Deutsch-Südwestafrika
an, nach jedem Gefecht Schädel der Besiegten einzusammeln.
Bevor die Überreste zu ihm nach Berlin geschickt wurden,
mussten internierte Herero-Frauen das Fleisch abkratzen.
Fieberhaft sammelte er nicht nur Gebeine, er versuchte
jahrelang außerdem, möglichst viele der wertvollen Bronze-
tafeln und Elfenbeinschnitzereien aus Benin zu ergattern.
1897 hatten die Briten das afrikanische Königreich überfallen,
hatten angefangen, die einzigartigen Schätze dieser Kultur
zu plündern und sie zu verramschen – hundertzentnerweise.
Luschan kaufte, handelte, wurde eine zentrale Figur in diesem
Geschäft. In Deutschland finden sich heute mehr dieser Schät-
ze als in Großbritannien, auch in andere Länder gelangte
einiges, nur in Afrika blieb kaum etwas zurück.
Immer mehr Experten fordern, ethnologisches Raubgut zu
restituieren, Penny aber schreibt: »Rückgabe ist nur ein kleiner
Teil der Antwort.« Ausführlich zitiert er einen Museumsmann
aus Denver, der zur Rückgabe von Museumsgut an die Urein-
wohner Amerikas bereit gewesen
sei – und gelernt habe, dass »einige
der härtesten Kämpfeinnerhalbei-
nes Stammes« stattgefunden hätten.
Das Fazit des Mannes: Rückgabe
sei ein »verworrenes Gewebe«.
Was Penny mit den Zitaten sagen
will? Vielleicht, dass man es nicht
übertreiben sollte mit dem »naiven
Enthusiasmus«, den auch sein Kron-
zeuge zuerst an den Tag gelegt habe.
Der Historiker geht noch weiter.
Er legt dem 1924 verstorbenen Felix
von Luschan Worte in den Mund,
lässt ihn auf eine Frage antworten,
die doch erst in unserer Gegenwart
aufkam, »warum jemand aus Afri-
ka, Nigeria oder Benin-Stadt heute
nach Deutschland reisen muss, um
einen großen Teil des kulturellen Er-
bes des Königreich Benin zu sehen«.
Sein Luschan entgegnet: »Sie müs-
senes tun, weil britische Soldaten
sie erbeuteten, wichtiger noch: Sie
könnenes tun, weil deutsche Völ-
kerkundler so viel davon retteten.«
Penny fürchtet, im Stadtschloss
werde eine »seelenlose Schau-
sammlung« entstehen, er propa-
giert als Ausweg die engere Zusammenarbeit mit »indigenen
Mitwirkenden« und eine Wiederbelebung dessen, was schon
die frühen deutschen Völkerkundler vor allem angestrebt
hätten, nämlich die Geschichte der Menschheit zu erforschen,
Fragen des Menschseins zu klären. Das Ethnologische Muse-
um in Berlin verfügt über einen riesigen Bestand, eine halbe
Million Objekte. Doch die Debatten um Kolonialismus und
Rückgabe tragen laut Penny dazu bei, deren Potenzial und
»unglaubliche Bedeutung« für »unser Verständnis von Welt-
geschichte zu verdunkeln«. Gehört das etwa auch in seine
»tragische Geschichte der deutschen Ethnologie«?
Für jedes Artefakt sollte – ganz sachlich – geklärt werden,
unter welchen Umständen es nach Europa kam. Dann kann
man weiterreden. Ulrike Knöfel

Nicht toxisch,


nur tragisch


SachbuchkritikDer Amerikaner H. Glenn Penny
will den Ruf der deutschen Ethnologie retten –
und damit auch den des Berliner Stadtschlosses.

Kultur

ETHNOLOGISCHES MUSEUM / SMB / BPK
Forscher Luschan im Urzeitkostüm 1878
Kritiker der Gräuel, es sei denn, sie nutzten ihm
Free download pdf