Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1
kosten niedrig zu halten und damit auch
die Flugpreise«. Die ersten Jets für Ryanair
hätten ursprünglich ab April ausgeliefert
werden sollen. Daraus wurde nichts. Noch
im Mai hatte O’Leary Hoffnung, sie wür-
den Ende Oktober oder Anfang Novem-
ber kommen, mittlerweile sah er sich ge-
zwungen, den Flugplan für die kommende
Saison zusammenzustreichen, denn die
Mängelliste der 737 wird stetig länger.
Kontrolleure der FAA haben festgestellt,
dass sich der Autopilot in manchen Not -
situationen nicht schnell genug abstellen
lässt. Bestimmte Prozessoren in den Flug-
kontrollcomputern arbeiten manchmal ge-
fährlich langsam, und Boeing selbst musste
einräumen, dass wichtige Warnanzeigen
im Cockpit nie richtig funktionierten.
Andere Airlines haben die Jets schon,
sind aber auch nicht viel besser dran als
Ryanair, solange die Maschinen am Boden
stehen. Allein die US-Billigfluggesellschaft
Southwest hat 280 Maschinen geordert
und bereits 34 im Bestand. American Air-
lines und der Lufthansa-Partner United
hatten von der 737 Max 38 Jets im Einsatz
und müssen nun improvisieren. Allein bei
American Airlines fallen täglich mehr als
hundert Flüge aus wegen des Flugverbots
für die Max. Dramatisch ist die Lage der
Airline Norwegian. Das Unternehmen be-
treibt mit 18 Jets bislang die größte 737-
Max-Flotte in Europa und ist finanziell
ohnehin angespannt. Die entgangenen
Einnahmen sind immens hoch – und müs-
sen von Boeing ausgeglichen werden, sei

es in Form von Schadensersatz oder Ra-
batten für künftige Flugzeugkäufe.
Die Geschichte der Stilllegung der 737
Max ist noch nicht geschrieben, aber sie
verspricht, spannend zu werden. In der
zeitlichen Lücke zwischen dem 10. und
dem 13. März schlummern Skandale, die
noch aufzuklären sind. Was wussten die
Chinesen, die sofort nach dem Crash von
Ejere ein Start- und Landeverbot für die
Max verhängten, was die Amerikaner an-
geblich nicht gewusst haben? Warum dau-
erte es bis zum 13. März, bis sie ihren Him-
mel als eines der letzten Länder für die
Boeing schlossen?

US-Präsident Trump twitterteam Diens-
tag, dem 12. März, zwei Tage nach dem
Crash, am Vormittag die Laienweisheit:
»Flugzeuge werden viel zu komplex, um
sie zu fliegen.« Später am Tag telefonierte
er mit Boeing-Chef Dennis Muilenburg,
den er einen »Freund« nennt – und Mui-
lenburg versicherte Trump, dass die Max
sicher sei.
Trump war aber offenbar nicht ganz
überzeugt: Einerseits wollte er die 737
Max bereits am Dienstag stilllegen, wovon
ihm jedoch auch die FAA abriet, weil man
noch nicht alle Daten ausgewertet habe.
Andererseits fürchtete er eine »Panik« und
Börsenturbulenzen. In anderen Krisen -
gesprächen wiederum äußerte sich Trump
dagegen abfällig über die 737 Max: Das
Modell sei »Mist« (»it sucks«) und tauge
nichts im Vergleich zur Boeing 757 – wie
er selbst eine besitzt, als Privatjet.
Am 13. März sprach Trump mit FAA-
Chef Elwell und Verkehrsministerin Elaine
Chao und danach erneut mit Muilenburg.
Inzwischen hatte sogar die FAA genug In-
formationen, um eine Stilllegung der 737
Max zu begründen, deren Notwendigkeit
sie tags zuvor noch abgestritten hatte.
Eine einzelne Stellschraube, gefunden
im Trümmerfeld von Ejere, belegt, dass
das Höhenleitwerk die Maschine im Mo-
ment des Aufpralls mit der Nase nach
unten zwang, ganz wie bei der 737 der
Lion Air.
Es wurde beschlossen, dass die Behörde
eine Erklärung abgibt, doch Trump kam
dem zuvor. Bei einer Pressekonferenz im
Weißen Haus zu einem ganz anderen The-
ma (Drogenhandel an der US-Südgrenze)
sagte er: »Wir werden alle 737 Max 8 und
737 Max 9 und die davon betroffenen Flug-
zeuge dieser Linie mit einer Notanweisung
aus dem Verkehr ziehen.« Zur Irritation
der FAA und der gesamten Luftfahrtbran-
che fügte er hinzu, dass dies eigentlich
technisch weiterhin nicht nötig sei (»Wir
hätten es verzögern können«), und nannte
den Schritt eine eher »psychologische«
Maßnahme.
Am Mittwoch, dem 13. März, landet in
Newark, aus Oakland kommend, gegen

lieren sie Zeit, Geld und Planungssicher-
heit. Und die Airlines, die auf ihre Maschi-
nen warten, müssen womöglich ihre Ein-
satzpläne komplett neu schreiben, weil ein
Flugzeug nur noch über Amerika, aber
nicht mehr über China oder Afrika fliegen
darf. Ein gut organisiertes System versänke
im Chaos.

Der heutige Flugbetriebist von mörderi-
schen Konkurrenzkämpfen durchzogen.
Zuvorderst bekriegen sich die Hersteller,
allen voran Boeing und Airbus, die wieder-
um ihre Zulieferer treiben, schneller, besser,
billiger zu arbeiten, sodass die Industrie
immer wieder an objektive Grenzen des
Möglichen und Machbaren stößt. Die Air-
lines liefern sich Preis- und Unterbietungs-
schlachten, in deren Verlauf Flugtickets bil-
liger als Kinokarten werden können. Und
ständig gehen neue Schlachtfelder auf. In
den aufstrebenden Gesellschaften Asiens
und Afrikas nimmt die Zahl der Flugrei-
senden seit Jahren sprunghaft zu, dort wer-
den leistungsfähige, möglichst spritsparen-
de Flugzeuge gebraucht.
Die Beschaffungs- und Betriebskosten
sind in der zivilen Luftfahrt extrem. 100
Millionen Dollar für einen Kurzstrecken-
jet, 400 Millionen für einen Langstrecken-
Jumbo, das sind Investitionen, die auf
Jahrzehnte hinaus durchzurechnen sind.
Und sind die Maschinen in der Luft,
türmen sich für ihre Betreiber die laufen-
den Kosten.
Die Flugüberwachung verlangt Gebüh-
ren, es gibt allgemeine Luftverkehrsabga-
ben, Sicherheitstaxen, Flughafengebühren
für Stellplatz, Fahrgasttreppe, Busse, Ge-
päckentladung. In den USA gibt es eine
eigene 9/11-Gebühr, die angeblich zur Fi-
nanzierung der Sicherheit benutzt wird.
Der Ferienflieger Condor hat einmal aus-
gerechnet, welche Kosten am Flughafen
Frankfurt anfallen, und kam auf 90 Euro,
die pro Passagier an den Flughafen abge-
führt werden müssen.
So sparen Fluglinien schon seit Jahren
an allen Ecken: Leichtere Sitze werden ge-
sucht, Garderoben entfernt, Zeitschriften
und Zeitungen gar nicht mehr mitgenom-
men. Sogar die Sitztaschen in den Rücken-
lehnen fehlen bei manchen Airlines, damit
nichts liegen bleibt und kein Gramm zu
viel sinnlos durch die Gegend geflogen
wird, Effizienz ist alles. Eine Ryanair-Ste-
wardess in Deutschland erhält ein monat-
liches Grundgehalt 1400 Euro.

Die 737 Max ist fürBilligairlines die ideale
Maschine und wurde auch speziell für ihre
Bedürfnisse entwickelt. Michael O’Leary,
Chef des größten europäischen Billigfliegers
Ryanair, biss auch prompt an. Er hat 135
Jets bei Boeing fest bestellt und hält Op-
tionen für weitere 75 Flugzeuge. Die Max
»erlaube es«, sagt O’Leary, »die Betriebs-


Titel

24

ERIN SCHAFF / NYT / REDUX / LAIF

FAA-Funktionär Elwell

»Die Antwort darauf, Herr
Senator, weiß ich nicht.«
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