Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

19 Uhr zum vorerst letzten Mal eine mit
Passagieren besetzte 737 Max. In den USA
bricht eine Debatte los, ob die FAA, ob
Trump, ob Boeing drei Tage lang die Flug-
sicherheit fahrlässig gefährdet habe.


Die Fakten sagen:346 Menschen sind tot,
auf unnatürliche Weise gestorben. 157 von
ihnen kamen beim Aufschlag auf einer
welligen, kargen Ebene unweit des Horns
von Afrika ums Leben, in Äthiopien, sechs
Minuten Flug von Addis Abeba entfernt,
am Rand des Hochlands von Abessinien.
Den anderen 189, die gut vier Monate zu-
vor ihr Leben verloren, am Morgen des



  1. Oktober, war ein Fischer namens Kan-
    ta ganz nah, der noch vor Sonnenaufgang
    sein offenes Holzboot bestiegen hatte, um
    Garnelen zu fangen.
    Sein Boot hatte die Nacht über am Ufer
    des Citarum gelegen, in einem der zahlrei-
    chen, flachen Mündungsarme des Flusses,
    am Rand des indonesischen Badeorts Tan-
    jung Pakis. Kanta, 51 Jahre alt, fischt, seit-
    dem er ein Junge ist, er lernte das Hand-
    werk von seinem Vater. Zusammen mit
    seinem Kompagnon Sakir fuhr er am Un-
    glücksmorgen hinaus aufs Meer.


Als die Sonne sich über den Horizont
schob, war sie nur zu erahnen, der Tag
war diesig, die Sicht schlecht. Eine Stunde
später rollte plötzlich ein einzelner, harter,
lauter Schlag übers Meer. Anwohner von
Tanjung Pakis vergleichen das Geräusch
im Gespräch mit einem Silvesterkracher,
der in einem Bambusrohr explodiert. Da-
nach kehrte sofort wieder Stille ein, als
wäre nichts gewesen. Keine Schreie waren
zu hören, keine Hilferufe. Der Fischer Kan-
ta steuerte in die Richtung, aus der der
Knall gekommen war, er fragte sich, ob
vielleicht bei den Ölbohrungen, die vor
der Küste stattfinden, etwas schiefgegan-
gen war. Er fand keine Antworten, ent-
deckte nur ein paar Rettungswesten, die
auf dem Meer trieben. Was geschehen war,
erfuhr Kanta erst später.
Und mit ihm erfuhr es die Welt. Dass
wieder Menschen gestorben waren an
Bord einer Boeing 737 Max, 189 Men-
schen, die nicht wussten, dass die Maschi-
ne, in der sie starben, an den drei Tagen
zuvor schon mehrmals auffällig geworden
war. Die Sensoren für den Anstellwinkel,
die Höhen- und Geschwindigkeitsmesser
funktionierten nicht, wie sie sollen. Jedes

Mal wurde die Maschine neu gecheckt,
jedes Mal behoben die Mechaniker die
Probleme, die ihnen die Piloten beschrie-
ben, jedes Mal wurde diese Boeing 737
Max wieder fürs Fliegen freigegeben.
Am 10. November hört eine breite
Öffentlichkeit erstmals von der Existenz
einer Software namens MCAS. Am 13.
November sagt Dennis Muilenburg von
Boeing auf dem Fox Business Kanal im
Fernsehen, die 737 Max sei ein »sehr si-
cheres« Flugzeug, und Boeing stelle »alle
Informationen zur Verfügung, die nötig
sind, um unsere Flugzeuge sicher zu flie-
gen«. Am 10. März um 8.44 Uhr schlägt
Ethiopian Airlines 302 eine zehn Meter
tiefe Grube in Ejere.
Uwe Buse, Dinah Deckstein, Marco Evers,
Ullrich Fichtner, Maik Großekathöfer,
Guido Mingels, Martin U. Müller,
Marc Pitzke, Gerald Traufetter

DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019 25


ACHMAD IBRAHIM / AP

Geldbörse eines Opfers im Meer vor Java 2018

Die Fakten sagen: 346 Menschen sind tot, gestorben auf unnatürliche Weise.


Animation
Boeings Aufstieg

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