Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

tieren, ohne diese gleich in die rechte Ecke
zu stellen. Aber wer aus politischen Grün-
den Hass sät oder gar zu Gewalt aufruft
oder diese anwendet, für den gibt es keine
Entschuldigung.
SPIEGEL:Zeigen die jüngsten Taten, dass
Rechtsextremismus ein bundesweites Phä-
nomen ist und kein primär ostdeutsches?
Bouffier:Sie können sicher sein, dass die
Politik das Thema überall gleich ernst
nimmt. Mir scheint allerdings das Selbst-
bewusstsein der Szene in Teilen der ost-
deutschen Bundesländer größer zu sein.
Denken Sie beispielsweise an die Auf -
märsche von NPD, Kameradschaften und
Neonazis.
SPIEGEL: Bundesinnenminister Horst
Seehofer will nach dem Frankfurter Mord -
anschlag die Sicherheit an Bahnhöfen
erhöhen. Ist das sinnvoll oder Symbol -
politik?
Bouffier:Ich begrüße den Vorstoß. Bei
5600 Bahnhöfen wird man zwar nüchtern
sagen müssen, dass absolute Sicherheit


eine Illusion ist. Wenn sich ein psychisch
gestörter Mensch eine so furchtbare Tat
vornimmt, wird dies schwer zu verhindern
sein. Trotzdem müssen wir Schutzlücken
möglichst finden und schließen. Wenn
Horst Seehofer mehr Polizeipräsenz oder
Schleusen an Bahnhöfen für nötig hält,
werde ich das sicher positiv begleiten.
SPIEGEL:Egal was es kostet?
Bouffier:Beim Thema Sicherheit sollte
man nicht engstirnig erscheinen und nur
fragen, wie lange etwas dauert und was es
kostet. Allerdings muss man immer prüfen:
Lässt sich das praktisch umsetzen? Ein
Beispiel: Können wir die enge Taktung
unseres Bahnverkehrs auch bei schärferen

Sicherheitsvorkehrungen aufrechter-
halten? Wenn die Züge nur im
Schritttempo einrollen, dauert alles
länger, und die Akzeptanz schwindet.
Wir möchten doch, dass die Leute
mehr mit dem Zug reisen und weni-
ger mit Auto oder Flugzeug, insbe-
sondere aus Klimaschutzgründen.
SPIEGEL:Die CDU hat nach Auffas-
sung Ihrer eigenen Parteivorsitzen-
den die Klimapolitik sehr vernach-
lässigt. Jetzt kommen im Tages- und
Wochenrhythmus Vorschläge aus der
Union. Finden Sie das glaubwürdig?
Bouffier:Man kann natürlich darü-
ber diskutieren, ob wir genug getan
haben. Es stimmt so nicht, dass wir
nichts für das Klima getan hätten.
Warum haben wir denn den Kohle-
kompromiss geschlossen? Wir sind
das einzige Land, das in so kurzer
Zeit aus Kohle- und Atomkraft aus-
steigt. Dabei geht es allein um Kli-
maschutz.
SPIEGEL:Bayerns Ministerpräsident
Markus Söder will den Kohleausstieg
vorziehen. Ihm reicht der Kompro-
miss nicht.
Bouffier:Wir sollten jetzt erst einmal
durchsetzen, was wir beschlossen ha-
ben. Das wird schon schwierig genug.
Es nutzt ja nichts, wenn wir aus der
Kohle aussteigen und dann Kohle-
strom aus Polen beziehen müssen.
Wir dürfen die Schraube nicht über-
drehen.
SPIEGEL: Ist es da sinnvoll, alle zwei
Tage mit neuen Ideen auf den Markt
zu gehen?
Bouffier:CDU und CSU wollen ein
gemeinsames Programm vorlegen,
und darauf setze ich. Im Übrigen sind
nicht alle Vorschläge wirklich neu.
SPIEGEL:Sollte der Klimaschutz als Staats-
ziel ins Grundgesetz kommen?
Bouffier:Ich hielte das für sinnvoll. Man
muss den entsprechenden Artikel nur
sorgfältig formulieren. Es gibt ja die Sorge,
dass das Grundgesetz entwertet wird,
wenn wir alle möglichen Ziele aufnehmen.
Die Gefahr sehe ich beim Klimaschutz
nicht.
SPIEGEL:Und was soll das bringen?
Bouffier:Allein die Aufnahme ins Grund-
gesetz reicht nicht. Wir müssen auch prak-
tisch weiterkommen und insbesondere
schneller werden, wenn wir den Verkehr
von der Straße auf die Schiene bringen.
Wir brauchen in Deutschland zurzeit
30 Jahre, um eine neue Bahnstrecke zu
bauen. Das ist viel zu lang. Eine Veranke-
rung des Klimaschutzes im Grundgesetz
könnte in Gerichtsverfahren ein Argument
sein, das es leichter macht, solche Projekte
schneller umzusetzen.
Interview: Melanie Amann, Ralf Neukirch

DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019 37


BORIS ROESSLER / DPA / PICTURE ALLIANCE
Politiker Bouffier: »Nicht engstirnig erscheinen«

»Gegen völlig unauffällige
Personen kommen Sie
mit neuen Vorschriften
nicht weiter.«
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