Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

»Büblein«. »Schröder war der, der
am Gitter des Kanzleramts gerüt-
telt hat«, sagt Wulff, »ich der, der
nach den Öffnungszeiten gefragt
hätte.«
Im Frühjahr 2006 lernte er auf
einer Delegationsreise nach Süd-
afrika Bettina Körner kennen, die
in der PR-Abteilung des Reifenher-
stellers Continental arbeitete. Kurz
darauf trennte er sich von seiner
damaligen Frau Christiane, mit der
er eine Tochter hat, nach 18 Jahren
Ehe. Zwei Jahre später, im März
2008, heiratete er Bettina, die ei-
nen Sohn aus einer anderen Bezie-
hung mit in die Ehe brachte. Im sel-
ben Jahr bekamen sie ihren ge-
meinsamen Sohn.
»Bettina hat das, was Christian
nicht bei sich gefunden hat, das
Lachen und die Spontanität«, sagt
Wulffs Freund, der Unternehmer
Dirk Roßmann.
Wulff wendet sich dem Mann
von der Berufsgenossenschaft zu.
»In Deutschland ist man eigentlich über-
versichert«, sagt er. »Aber was man unbe-
dingt braucht, ist eine Berufsunfähigkeits-
versicherung. Das empfehle ich auch mei-
nen Kindern.«
Wie wichtig Versicherungen sind, weiß
Wulff von Helmut Kohl. Er war 34 Jahre
alt und gerade Vater geworden, als Kohl ihn
zu sich rief. »Jetzt hören Sie mal auf anzu-
geben, Wulff«, sagte Kohl, »Sie haben jetzt
ein Kind, gehen zu Ihrem Versicherungsfiffi
und schließen ’ne Ausbildungsversicherung
ab. Das kostet Sie 30 Mark im Monat, da
können Sie zwar nicht mehr so viel Eis mit
Sahne essen, aber das machen Sie jetzt mal.
Wenn Ihre Tochter 18 ist, hat sie 10 000
Mark und kann ihr Studium finanzieren.«
Wulff machte das wirklich.
Da fällt ihm noch so eine Versicherungs-
sache ein, die für Leute wichtig ist, die wie
er ein Haus besitzen. Einer seiner Mandan-
ten musste kürzlich sein Haus verkaufen,
erzählt Wulff, weil er für die Pflege eines
Kindes aufkommen musste, das in seinen
Gartenteich gefallen und danach hirngeschä-
digt war. Der Teich sei nicht ausreichend ge-
sichert gewesen. Hätte sein Mandant eine
Grundeigentümerhaftpflichtversicherung
gehabt, sagt Wulff, hätte er sein Haus nicht
verkaufen müssen. »Diese Versicherung«,
sagt Wulff, »brauchen Sie unbedingt.«
Er lächelt und schaut einen an.
»Als Sie Schröder kennengelernt haben,
gab’s immer guten Rotwein, bei mir lernen
Sie, welche Versicherungen Sie brauchen.
Das passt ja ins Bild.«


Bünde. An: 17.30 Uhr. Ab: 17.32 Uhr.

»Bünde ist ja die Zigarrenstadt«, sagt
Wulff. »Mal gucken, ob da auf dem Bahn-
hofsschild noch Zigarrenstadt steht.«


Wulff ist Nichtraucher, er kann es nicht
leiden, ein Zimmer mit kaltem Rauch zu
betreten, aber einmal, als er noch nieder-
sächsischer Oppositionsführer war, zog er
in der Zigarrenfabrik Arnold André in Kö-
nigslutter an einer Zigarre, fürs Foto. Es
war als Wertschätzung für die Leute ge-
dacht, die dort arbeiten. »Wenn ich die Mi-
racoli-Produktion von Kraft besucht hätte«,
sagt Wulff, »hätte ich auch Spaghetti mit
Kräutersoße und Parmesankäse gegessen.«
Als er sich Jahre später in der Debatte über
das Nichtraucherschutzgesetz für eine Öff-
nungsklausel für Raucherkneipen in Nieder-
sachsen einsetzte, tauchte das Foto mit der
Zigarre wieder auf, als Symbol eines ver-
meintlich käuflichen Ministerpräsidenten.
Es ist nicht das einzige Mal in seinem
Leben, dass es sich gerächt hat, wenn er
mal locker sein wollte. Er erinnert sich
noch an ein »Potpourri von Bildern«, das
die »Welt am Sonntag« von ihm zusam-
menstellte: Wulff mit Indianerfedern, ein
Foto, das entstand, weil er in der Staats-
kanzlei in Hannover den Häuptling der
Karl-May-Spiele zu Gast hatte, der ihn
zum Ehrenhäuptling ernannte. Oder beim
Karneval mit abgeschnittener Krawatte
oder mit Bussis von beiden Seiten. »Ich
hab ja alles gemacht, aber gern«, sagt Wulff.
Nachdem er sich von seiner ersten Frau
getrennt hatte, pflegte er ein enges Ver-
hältnis zum Boulevard, in der Hoffnung
auf geneigte Berichte. Es wurde ihm zum
Verhängnis. Als er dem damaligen »Bild«-
Chefredakteur Kai Diekmann auf die Mail-
box sprach, um die Berichte gegen sich zu
stoppen, war nichts mehr zu retten.
2010 trat Wulff als Kandidat der Regie-
rungskoalition gegen Joachim Gauck an.
Der damalige SPD-Parteichef Sigmar

Gabriel sagte: »Joachim Gauck
bringt ein Leben mit in seine Kan-
didatur und in sein Amt, und der
Kandidat der Koalition bringt
eine politische Laufbahn mit.«
Ein respektloser Satz, den Ga-
briel später, nach Wulffs Sturz, be-
reute. In gewisser Weise war der
Sturz für Wulff allerdings auch
eine Chance: Er machte aus einer
Laufbahn ein Leben.
Als Altbundespräsident steht
Wulff weiter für die Idee von der
»bunten Republik Deutschland«.
Er besucht das Ernst-Abbe-Gym-
nasium in Neukölln, in dem mehr
als 90 Prozent der Schüler einen
Migrationshintergrund haben, er
verbringt den Abend des Fasten-
brechens mit Stipendiaten der
Deutschlandstiftung Integration
und trifft dort junge Männer und
Frauen, die sich an seine Sätze
zum Islam und zu Deutschland er-
innern wie an eine gewonnene
Fußballweltmeisterschaft. Er setzt
sich für die Pressefreiheit und den Rechts-
staat ein, der ihm einen fairen Prozess er-
möglicht hat, er verehrt den jüdischen Ma-
ler Felix Nussbaum, der von den National-
sozialisten in Auschwitz ermordet wurde.
Er schwärmt für das Grundgesetz, vor al-
lem für Artikel 1, den er für den »vielleicht
schönsten Satz der deutschen Sprache«
hält: »Die Würde des Menschen ist unan-
tastbar.«
Die Berichterstattung, die zu seinem
Rücktritt führte, empfindet er als würdelos.
Seither versucht er, sich vor den Medien
zu schützen. Er klagt immer wieder, gegen
die »Bunte«, gegen die »aktuelle«, gegen
die »Neue Post«, die sich noch immer für
sein Privatleben interessieren, vor allem
für das seiner Frau Bettina. Besonders hat
ihn ein Foto in der »Neuen Post« geärgert,
das ihn auf dem Parkplatz eines Super-
markts in Großburgwedel hinter einem
voll bepackten Einkaufswagen zeigt, und
über dem stand: »Wer Bettina liebt, der
schiebt.« Man könne darauf sehen, sagt
Wulff, »ob ich mein Toilettenpapier drei-
lagig oder vierlagig kaufe«. Wulff klagte
bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe,
aber er verlor. Er führt weiter Prozesse,
vor allem will er erreichen, dass sein Haus
in Großburgwedel nicht fotografiert wer-
den darf. Auch darüber soll der Bundes-
gerichtshof demnächst entscheiden.
»Meine Theorie ist ja, dass ich mit sech-
zig gerade Halbzeit habe«, sagt Wulff. »Ich
meine das in dem Sinne, dass mein Leben
bis zum 30. Lebensjahr fremdbestimmt
war. Ich wurde dauernd bewertet, beur-
teilt, vom Ausbilder, von der Staatsanwäl-
tin, vom Jugendrichter, vom Zivilrichter,
im Staatsexamen. 30 Jahre lang habe ich
gedient, erst als Anwalt war ich mein eige-

DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019 51

SEAN GALLUP / GETTY IMAGES
Staatsoberhaupt Wulff bei Rücktrittsrede, Ehefrau 2012
»Mach ’ne Ich-Aussage«
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