Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1
Brandt, 65, gehört zu den vielbeschäftigten
Aufsichtsräten in Deutschland. Er ist obers-
ter Aufseher bei RWE und ProSiebenSat.1
und sitzt im Kontrollgremium von Siemens.
Seine Mandate bei Lufthansa, Osram und
Innogy hat er niedergelegt. Bis 2014 war
Brandt 13 Jahre lang Finanzchef bei SAP.

SPIEGEL: Herr Brandt, seit Monaten ist
RWE das Ziel von Klimaaktivisten. Der
Hambacher Forst, den Sie für die Braun-
kohlegewinnung roden wollten, wurde be-
setzt. Vor wenigen Wochen protestierten
Tausende Schüler gegen die Umweltpolitik
des Konzerns. Belastet Sie das?
Brandt: Natürlich, aber junge Menschen
haben das Recht, ihre Meinung zu äußern
und zu demonstrieren. Ich habe nur dann
ein Störgefühl, wenn es in Gewalt ausartet,
wie beim G-20-Gipfel in Hamburg. Dage-
gen muss der Rechtsstaat vorgehen und si-
cherstellen, dass so etwas nicht passiert.
SPIEGEL:Im Hambacher Forst eskalierte
die Lage, ein junger Aktivist starb, Ihre
Mitarbeiter wurden angegriffen. Wäre es
nicht Ihr Job als Aufsichtsratschef gewesen,
einzugreifen und den Dialog mit den Ak-
tivisten und der Politik zu suchen?
Brandt:Nein, dieser Dialog ist allein die
Aufgabe des Vorstands. Als Unternehmen
müssen Sie mit einer Stimme sprechen.
Der gesamte Aufsichtsrat hat sich aber in-
tensiv mit RWE-Chef Rolf Martin Schmitz
ausgetauscht, um ein Gefühl zu bekom-
men, ob wir seine Position und Vorgehens-
weise in der Auseinandersetzung unter-
stützen können. Das war der Fall.
SPIEGEL: Bei der Hauptversammlung wa-
ren Sie als Versammlungsleiter direkt mit
Forderungen von Aktivisten wie »Fridays
for Future« konfrontiert.
Brandt:Bei RWE nutzen Aktivisten die
Bühne der Hauptversammlung seit Jahren
sehr intensiv. Das ist ihr gutes Recht, wenn
sie Aktien besitzen, und deshalb ist das
auch in Ordnung. Als Luisa Neubauer von
»Fridays for Future« bei der letzten Haupt-
versammlung geredet hat, gab es Unruhe,
andere Aktionäre riefen »Aufhören«. Ich
habe darum gebeten, dass man Frau Neu-
bauer ausreden lässt.
SPIEGEL: Das hört sich nicht danach an,
als könnten Sie mit der Position von »Fri-
days for Future« inhaltlich etwas anfangen.


Brandt:Ich verstehe, dass sich junge Men-
schen um die Zukunft des Planeten sorgen.
Aber man muss auch ein Unternehmen
wie RWE verstehen. Wir müssen uns am
Machbaren orientieren.
SPIEGEL: Inwiefern?
Brandt:Es gab eine Kohlekommission, in
der alle Interessengruppen vertreten wa-
ren. Sie hat eine Empfehlung erarbeitet,
bis wann man aus der Kohle aussteigen
sollte. Um die Empfehlung umzusetzen,
fehlen bisher aber die Gesetze. Man kann
von keinem Unternehmen verlangen,
ohne rechtliche Grundlage und ohne kla-
re Spielregeln Kraftwerke einfach zu
schließen.
SPIEGEL: Ohne den Druck von Aktivisten
hätte die Politik wahrscheinlich nicht ein-
mal über den Kohleausstieg nachgedacht.
Verbündet sich die Politik heute schneller
mit Umweltgruppen wie »Fridays for Fu-
ture« oder der Deutschen Umwelthilfe?
Brandt:War das nicht schon immer so?
Denken Sie an den Atomausstieg. Erst
wurden Laufzeiten verlängert, dann kam
der Schwenk zum Verbot. So reagiert
Politik eben. NGOs sind im Umgang mit
Politik aber auch professioneller geworden.
SPIEGEL: NGOs schließen sich zum Teil
mit aktivistischen Investoren zusammen,
besetzen die gleichen Themen, um Druck
aufzubauen. Wie gehen Sie damit um?
Brandt: Ich würde das nicht überbewerten.
Die Ziele mögen gleich sein, aber jede der
beiden Gruppen hat andere Interessen und
eine eigene Rolle.
SPIEGEL: Wie sehen die aus?
Brandt: Der Chef der Investmentgesell-
schaft Blackrock, Laurence Fink, hat kürz-
lich zahlreiche Unternehmen angeschrie-
ben und sie darauf hingewiesen, wie wich-
tig es ist, auf ihren »purpose«, also auf ihre
Bestimmung zu achten. Er argumentiert
mit den großen Vermögen, die in den
nächsten Jahren weitergegeben werden,
und damit, dass die jüngere Generation
einen anderen Blick auf Unternehmen hat.
Da entwickelt sich offensichtlich etwas,
und das ganz unabhängig von den NGOs.
SPIEGEL:Der Chemiekonzern Bayer ist
in wichtigen Nachhaltigkeitsindizes der
Börse nicht mehr gelistet, weil Umwelt-
gruppen das Thema »Glyphosat« immer
wieder auf die Agenda gesetzt haben. Die

Investoren haben das als Imagerisiko ein-
geschätzt und ihr Geld abgezogen.
Brandt:Wenn es aus Sicht von Aktionären
Risiken gibt, deren finanzielle Auswirkun-
gen schwer abschätzbar sind, orientieren
sie sich anders. Das halte ich für normal.
SPIEGEL: Es gibt zunehmend aktivistische
Investoren wie den US-Fonds Elliott. Sie
kaufen sich bei Unternehmen ein und ver-
suchen mit Druck, zum Beispiel über öf-
fentliche Briefe an den Vorstand, Einfluss
auf die Unternehmenspolitik zu gewinnen.
Halten Sie das auch für normal?
Brandt:Nein, aber man sollte es als Un-
ternehmen so weit nicht kommen lassen.
SPIEGEL: Wie soll das gehen?
Brandt:Indem man von vornherein mit
diesen Investoren redet und möglichst früh
erkennt, welche Probleme sie sehen.
SPIEGEL: Die Forderungen sind immer
gleich: bessere Performance, eine Steige-
rung des Aktienkurses, Verkauf vermeint-
lich unrentabler Unternehmensteile.
Brandt:Ich vermag daran nichts Schlim-
mes zu entdecken. Das sind berechtigte
Forderungen. Die Frage ist, zu welchen
Maßnahmen aktivistische Investoren grei-
fen, wenn sie ihre Forderungen nicht er-
füllt sehen. Aber auch da bin ich der Mei-
nung, dass Unternehmen, die früh das Ge-
spräch suchen, mehr erreichen können als
solche, die sich verweigern.
SPIEGEL:Die EU will mehr Aktionärs -
demokratie und hat eine neue Richtlinie
verabschiedet, die Anlegern das Recht ein-
räumt, über die Vergütung des Vorstands
abzustimmen. Finden Sie das falsch?
Brandt:Ich kann mich damit anfreunden,
dass Aktionäre darüber abstimmen, ob sie
das vom Aufsichtsrat gewählte Modell der
Vorstandsvergütung teilen. Wenn es aber
tatsächlich so weit kommen sollte, dass die
Hauptversammlung das Recht erhält, die
Gehälter von Vorständen im Nachhinein
zu reduzieren, dann geht das an unserem
System vorbei. Das lehne ich ab.
SPIEGEL:Wo liegen Ihre Bedenken?
Brandt:Die Frage der Vorstandsvergütung
ist originäre Aufgabe des Aufsichtsrates.
SPIEGEL:Eine sehr formale Betrachtung.
Brandt: Nein, die ist auch inhaltlich be-
gründet. Ein Aufsichtsrat hat bessere In-
formationen als Aktionäre. Deshalb kann
er komplexe Fragen besser beurteilen.

62 DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019

Wirtschaft

»Ohne Gesetze kann man


Kraft werke nicht abschalten«


KonzerneMulti-Aufsichtsrat Werner Brandt über die Auseinandersetzung mit Umweltgruppen bei RWE,
den Umgang mit aktivistischen Investoren und die Mitsprache von Anlegern bei Vorstandsgehältern
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