Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1
SPIEGEL: Manchmal liegen die Fakten auf
der Hand. Als die VW-Aktionäre feststell-
ten, dass der Konzern Behörden, Verbrau-
cher und Anteilseigner in der Dieselaffäre
jahrelang betrogen hatte, erhielt der dafür
verantwortliche Vorstandschef Martin
Winterkorn ein Jahresgehalt von mehr als
15 Millionen Euro. Können Sie verstehen,
dass sich Aktionäre dagegen wehren,
wenn es der Aufsichtsrat schon nicht tut?
Brandt: Ja, das verstehe ich. Aber ich halte
nichts davon, mit Extrembeispielen zu ar-
gumentieren. Die gibt es. Das ist nicht gut.
Aber das gilt nicht für die gesamte deut-
sche Wirtschaft. Da wird insgesamt ein
sehr guter Job gemacht – und das in Zeiten
mit großen Herausforderungen.
SPIEGEL:Welche sind das?
Brandt: Viele. Die Spannungen mit den
USA, Sanktionen. Der Handelskrieg zwi-
schen China und Amerika, bei dem man
viele Fehler machen kann, je nachdem, auf
welche Seite man sich stellt. Die Digitali-
sierung, die Bedrohung durch Cyberkrimi-
nalität und der Klimawandel. Das sind
schwierige Aufgaben, die Sie als Unterneh-

men nur bewältigen können, wenn Sie sich
auf ihr Kerngeschäft konzentrieren. Au-
ßerdem brauchen wir europäische Cham-
pions, um im globalen Wettbewerb gegen
die USA und Asien nicht unterzugehen.
SPIEGEL:Mit dieser Forderung hat sich
schon Bundeswirtschaftsminister Peter
Altmaier viel Ärger eingehandelt.
Brandt: Aber deswegen ist sie ja nicht
falsch. Wir brauchen Unternehmen, die
global mithalten können. Dazu muss auch
das EU-Wettbewerbsrecht neu bewertet
werden. Eine Fusion wie die der Alstom-
und der Siemens-Eisenbahnsparte ...
SPIEGEL: ... aus der ein in der EU domi-
nanter Marktführer für Hochgeschwindig-
keitszüge hervorgegangen wäre ...
Brandt:... hätte die EU-Wettbewerbskom-
missarin nicht verbieten sollen.
SPIEGEL:Sie wollen das EU-Kartellrecht
ändern und Verbraucherrechte stutzen?
Brandt:Nein, ausdrücklich nicht. Aber in
Deutschland kennen wir das Instrument
der Ministererlaubnis, mit der eine Ent-
scheidung des Kartellamts aus wichtigen
Gründen überstimmt werden kann. So

etwas brauchten wir auch auf europäischer
Ebene, um die Hürde in besonderen Ein-
zelfällen mal überspringen zu können.
SPIEGEL: Bislang schafft es die EU nicht
einmal, sich auf ein gemeinsames Vorge-
hen bei der Rettung von Flüchtlingen im
Mittelmeer zu einigen. Siemens-Chef Joe
Kaeser hat dazu kürzlich sehr dezidiert
Stellung bezogen. Halten Sie es für richtig,
wenn sich Unternehmenslenker zu poli -
tischen Themen äußern?
Brandt:Sie sind Vorbilder, haben eine
wichtige gesellschaftliche Aufgabe und soll-
ten diese auch als Privatperson wahr -
nehmen.
SPIEGEL: Joe Kaeser hat daraufhin sogar
eine Morddrohung erhalten. Das bestärkt
womöglich jene, die sich lieber wegducken.
Sollten stattdessen mehr Manager seinem
Beispiel folgen?
Brandt: Auf jeden Fall. Aber das ist letzt-
lich immer eine Entscheidung, die jeder
für sich selbst treffen muss.
Interview: Frank Dohmen, Martin Hesse
Mail: [email protected]

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MARKUS HINTZEN / DER SPIEGEL DAVID KLAMMER / LAIF


Manager Brandt, Protestierende auf RWE-Gelände: »Junge Menschen haben das Recht zu demonstrieren«
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