Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

mal sind ja auch die Kunden schuld, wenn
Waren verderben.
Da ist zum Beispiel die Sache mit der
Banane. »Wer einen Bund mit vier, fünf
oder sechs Bananen im Regal vorfindet,
trennt gern eine ab, warum auch immer,
und legt sie zurück«, sagt Kaufhauschef
Strangemann. Doch kaum jemand kauft
einzelne Bananen, die bleiben deshalb oft
liegen, bis sie braun werden.
Strangemann sagt, er sei selbst schon
in seine Mülltonnen gestiegen, auch mit
Anzug und Krawatte, »so bin ich immer
angezogen, selbst zu Hause beim Rasen-
mähen«. Er habe Äpfel gerettet und sie an
Pferde verfüttert.
Dass Strangemann Menschen beim
Containern unterstützt, ist eigentlich keine
große Tat. Er erweitert damit nur den
Kreis der Leute, die seinen Abfall abholen
dürfen, von Müllmännern auf Konsu -
menten.
Allerdings: Andere Händler tun das
nicht. Wer sich bei Lidl, Aldi, Rewe oder
der Großbäckerei Kamps erkundigt, wie
sie zum Containern stehen, erhält zu-
nächst eine Aufzählung, was ihr Unterneh-
men alles unternehme, um zu vermeiden,
dass Lebensmittel im Müll landen.
Sie unterstützen die örtlichen Tafeln
oder verarbeiten Brötchen zu Tierfutter.


Aldi Süd vertreibt neuerdings Frischmilch,
auf deren Packung ein laxerer Umgang mit
dem Mindesthaltbarkeitsdatum propagiert
wird: »Riech mich! Probier mich! Ich bin
häufig länger gut!« Manche aber verhin-
dern das Containern nach Kräften, wie sie
selbst zugeben. Lidl, Rewe und Aldi Süd
stellen ihre Tonnen in Bereiche, die nicht
öffentlich zugänglich sind. Aldi Nord will
sich zum Containern nicht äußern.
Im Juni nahm sich die Justizminister-
konferenz des Phänomens an. Die Mehr-
heit entschied sich gegen eine Legalisie-
rung. Sie hätte »komplizierte juristische
Folgefragen aufgeworfen«, etwa ob auch
Sachbeschädigungen und Hausfriedens-
brüche straffrei bleiben könnten, so argu-
mentierten die Minister. Auch »hygie -
nische und ethische Gründe« sprächen
dagegen. Allerdings könne ein Verfahren
wegen Diebstahls von Müll bereits jetzt
von den Staatsanwaltschaften eingestellt
werden.
Daran haben auch Anwälte wie Max
Malkus ihren Anteil.
Malkus, 29, hält Containern für legal.
Aus privaten Gründen, denn er containert
selbst. Und aus beruflichen, denn er ver-
tritt Menschen, die containern. Seine
Kanzlei sitzt im Geburtshaus des Marxis-
ten Karl Liebknecht in Leipzig, was kein

Zufall ist, sondern »ein Statement«, wie
Malkus sagt.
Derzeit vertritt er zwei Studentinnen,
die in den Medien nur mit Vornamen er-
scheinen wollen: Caro und Franzi. Voriges
Jahr wurden sie von der Polizei beim Con-
tainern erwischt, auf dem Gelände eines
Edeka-Markts in Olching nahe München.
Die Polizei informierte den Filialleiter. Der
zeigte die beiden Frauen an, zog seine
Anzeige aber später wieder zurück, laut
Edeka »aufgrund zahlreicher öffentlicher
Anfeindungen und Beleidigungen«.
Im Januar verwarnte das Amtsgericht
Fürstenfeldbruck Caro und Franzi »wegen
gemeinschaftlichen Diebstahls«. Malkus
legte Revision ein, er will weiterkämpfen,
bis zum Freispruch. Er sagt: »Es gibt nichts
Offensichtlicheres, als dass ein Gegen-
stand, den jemand in die Mülltonne wirft,
als herrenlos gilt.«
Was das Gericht den Frauen auferlegte,
ist nicht ohne Komik. Jede von ihnen soll
nicht nur 225 Euro zahlen – die Summe
ist auf Bewährung ausgeschrieben –, son-
dern auch acht Stunden gemeinnützige Ar-
beit leisten: bei der Tafel. Weil sie Lebens-
mittel gerettet haben, sollen sie dort nun
Lebensmittel retten. Alexander Kühn
Mail: [email protected]

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