Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

Riham war fünf Jahre alt und kannte nichts anderes als den Krieg.
Bis zum Nachmittag des 24. Juli, als ein Luftangriff auf die Stadt
Ariha ihr Haus traf. Sie überlebte die Bomben, hing zusammen
mit ihrer kleinen Schwester an der Bruchkante des Gebäudes, ver-
suchte, das Mädchen festzuhalten. Bevor Retter sie erreichten,
stürzten beide ab. Riham starb, die Jüngere überlebte schwer ver-
letzt. Das Video der Kinder ging in sozialen Medien um die Welt.
Es war einer der seltenen Momente, in denen das Sterben in
Nordsyrien wieder ein Gesicht bekam. Ansonsten werden die seit
April wieder aufgenommenen Luftangriffe auf Dörfer und Städte,
Streubombenabwürfe auf Wohnviertel, Attacken auf Krankenhäu-
ser, Schulen, Märkte durch syrische und russische Jets im Westen
mit tatenloser Empörung hingenommen. Mehr als 400 Zivilisten
starben bisher bei den Luftangriffen. »Wollen Sie wieder nur mit
den Schultern zucken?«, warf der Uno-Nothilfekoordinator Mark


Lowcock den Mitgliedern des Weltsicherheitsrats vor, »während
das Massaker vor unseren Augen weitergeht?«
Doch warum sollten Moskau und Damaskus ihre Haltung
ändern, wenn sie seit acht Jahren nur Appelle hören? Im Septem-
ber hätte es eine Chance gegeben, den mehr als drei Millionen
Menschen in Idlib durch eine Waffenruhe den Fortgang des Krie-
ges zu ersparen. Doch die Türkei und Russland haben beide ande-
re Prioritäten. Erdoğans Regierung war nicht willens, die in Idlib
militärisch dominierenden Dschihadisten der ehemaligen Nusra-
Front zu bekämpfen (was die Mehrheit der Bevölkerung dort
begrüßt hätte). Der türkische Präsident braucht eine loyale Trup-
pe für den Kampf gegen die Kurden. Die Russen wiederum schi-
cken Flugzeuge und Bodentruppen, machen sich so als Assads
Schutzmacht unentbehrlich. Für die Menschen in Idlib bedeutet
dies jetzt: neuen Terror aus der Luft. Christoph Reuter

Kommentar

Tatenlose Empörung


Wie das Assad-Regime in der letzten syrischen Rebellenhochburg Idlib die Bevölkerung terrorisiert

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Ausland


»Man hat uns das Gefühl gegeben, in jeder Hinsicht Elite zu sein.« ‣S. 80

DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019

Von einer Heuschreckenplage werden die Jemenitendurchschnittlich alle sechs Jahre heimgesucht, wie dieser
Tage die Hauptstadt Sanaa. Ergiebige Regenfälle begünstigen die Vermehrung der Schädlinge, und der
Krieg, der seit vier Jahren anhält, behindert die Regierung bei der Bekämpfung der Plage. 80 Prozent der
Ernte gelten als beschädigt. Ein großer Teil der Bevölkerung hungert heute schon.

MOHAMMED HUWAIS / AFP
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