Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

Seither ringt man in Europas Hauptstäd-
ten darum, wie auf die iranische Provoka-
tion zu antworten ist und wie sich der
Schiffsverkehr auf der Straße von Hormus
sichern lässt. Wie können Teheran Gren-
zen aufgezeigt und die eigenen Interessen
abgesichert werden, ohne gleichzeitig die
Kriegsgefahr zu verschärfen?
Und das in einem Moment, da in Lon-
don der neue Premierminister Boris John-
son übernommen hat und auf einen harten
Brexit in knapp 90 Tagen zusteuert –
wovon ihn wohl nur noch das britische
Parlament abhalten könnte.
London war bisher neben Berlin und
Paris als sogenannte E3 die treibende eu-
ropäische Kraft, um das internationale
Atomabkommen mit Iran nach dem Aus-
tritt der USA noch zu retten. Doch könnte
Johnson für Trump der unverbrüchliche
Verbündete werden, der Tony Blair im
Irakkrieg von 2003 für George Bush war?
Bereits jetzt zeigt sich, dass London
künftig noch stärker als bisher von Wa-
shington abhängen könnte und sich an den
Wünschen von Trump orientieren muss,
falls es wirklich zu einem harten Bruch
Großbritanniens mit der EU kommt.
Berlin strebt deshalb wohl bereits an,
die Spanier, möglicherweise auch Italien
und Polen, enger in die Iranverhandlungen
einzubinden. Sollte es Trump gelingen, die
Front der Europäer aufzusprengen, gibt
es kaum jemanden, der die Eskalations -
spirale mit Iran noch stoppen kann. Die
EU hat nach dem Ausstieg der USA aus
dem Atomabkommen versucht, die Iraner
dazu zu bewegen, sich weiterhin an den
Deal zu halten. Trotz ihrer Zusicherungen
konnten die Europäer die massiven wirt-
schaftlichen Einbußen der Iraner durch die
US-Sanktionen bisher nicht ausgleichen.
»Die Regierung in Teheran glaubt im-
mer noch an den Wert eines funktionie-
renden Atomabkommens«, sagt Adnan
Tabatabai, Iranexperte des deutschen
Nahost-Thinktanks Carpo. »Sie testet nun,
was realistischer ist: die Rückkehr zum
Abkommen oder darauf zu verzichten und
stattdessen mit den Amerikanern einen
Weg zu finden, um den iranischen Öl -
verkauf zu sichern.«
Deshalb verfolgen die USA und Iran
derzeit gleichermaßen eine Strategie der
Eskalation – und beide Seiten hoffen,
dass die andere Seite einlenkt, bevor es zu
einem Krieg kommt.
Für die Sicherung des Handels durch die
Hormus-Straße liegen nun zwei konkurrie-
rende Pläne auf dem Tisch: erstens die US-
geführte »Operation Sentinel«, zweitens:
eine europäische Marinemission.
Der US-Plan schien eigentlich eine
Totgeburt zu sein. Bereits im Juni hatte
ihn das Pentagon vorgeschlagen, damals
ging kein Land darauf ein. Kein Wunder:
»Sentinel« ist für mögliche Partner ein


denkbar schlechter Deal. Anders als wäh-
rend des »Tankerkriegs« in den Achtziger-
jahren, als US-Kriegsschiffe die Frachter
des kuwaitischen Verbündeten eskortier-
ten, ist »Sentinel« kein Solidaritätsbünd-
nis: Washington hat bereits klargestellt,
dass jedes Land für seine eigenen Schiffe
verantwortlich bleiben solle. Die USA wol-
len lediglich Aufklärungserkenntnisse mit
den Partnern teilen.
Die zweite Idee, eine gemeinsame euro -
päische Mission, angeführt von Frankreich
und Großbritannien, klang deutlich rea -
listischer. Die amerikanische »Opera tion
Sentinel« scheint sich nun aber gegen
die europäische Variante durchzusetzen.
Der Grund: Der Regierungswechsel in
London hat dem US-Plan neuen Auftrieb
ver liehen. Johnsons Regierung will sich
anscheinend auf ihn einlassen, das haben
britische Vertreter den USA offenbar be-
reits am 25. Juli bei einem Treffen in
Florida signalisiert. Das wäre für Trump,
der die Europäer spalten will, ein großer
Triumph. Johnson würde damit eine
Kehrtwende vollziehen – und die anderen
Europäer verprellen. Schließlich hatte
London eine EU-Marinemission zuvor
überhaupt erst ins Spiel gebracht – doch
das war noch die alte Regierung unter
Theresa May.
Viele Verbündete haben die USA für
ihren Plan nicht: Neben London will sich
an der Mission bisher nur Südkorea be -
teiligen, das im Konflikt mit Nordkorea
auf Trump angewiesen ist. Paris hat – wie
Berlin – eine Teilnahme bereits abgelehnt.
Selbst die Polen, die Trump sonst gern bei-
stehen, haben bestenfalls politische Unter-
stützung in Aussicht gestellt.
Auch am Golf ist man zurückhaltend:
Die Vereinigten Arabischen Emirate, die

laut gegen Iran mobilgemacht hatten,
rücken anscheinend von Trump ab. Ge -
rade besuchte eine emiratische Delegation
Iran, um über die Sicherheit im Persischen
Golf zu sprechen. Für die kleinen arabi-
schen Golfstaaten steht im Konflikt mit
Iran viel auf dem Spiel. Für sie ist die
Hormus-Straße die wichtigste Export -
route. Zudem haben sie keine nennens-
werte Marine oder Raketenabwehrsyste-
me, um sich zu schützen.
Den zweiten Plan, eine europäisch ge-
führte Mission, hat Johnsons Schlinger-
kurs unwahrscheinlicher gemacht. In der
Bundesregierung dürfte man erleichtert
sein, denn bei einer EU-Mission wäre poli -
tischer Streit in der Koalition garantiert:
Wichtige Vertreter der SPD-Fraktion ha-
ben sich bereits skeptisch über einen sol-
chen Einsatz geäußert.
An einer US-geführten Mission am Per-
sischen Golf wird sich die Bundesregie-
rung dagegen auf keinen Fall beteiligen.
Das steht fest, auch wenn sich die Ton -
lagen von Außenminister Heiko Maas
(SPD) und Verteidigungsministerin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer (CDU) deutlich
unterschieden. Aus Sicht der Bundesregie-
rung wäre ein solcher Einsatz nicht mit
der bisherigen Iranpolitik zu vereinbaren,
die Trumps »Strategie des maximalen
Drucks« ablehnt und am Atomabkommen
mit Iran festhalten will. Außerdem fürchtet
man, dass der Konflikt durch die US-Mis-
sion militärisch eskalieren könnte.
Es ist allerdings noch nicht sicher, dass
es nicht doch noch zu einer Anfrage aus
Paris kommt. Die Franzosen planen offen-
bar nach wie vor eine eigene Mission – im
Berliner Verteidigungsministerium hat
man entsprechende Signale aus Paris re-
gistriert. Frankreich unterhält seit zehn
Jahren einen Militärstützpunkt in Abu
Dhabi, direkt an der Meerenge von Hor-
mus, ein idealer Ausgangspunkt für einen
solchen Einsatz. Sollten die Franzosen um
Unterstützung bitten, könnte die Bundes-
regierung nur schwer ablehnen.
Verteidigungsministerin Kramp-Karren-
bauer hat bei ihrem Antrittsbesuch bei der
Nato am Mittwoch klargemacht: Damit es
zu einer deutschen Beteiligung kommen
kann, müsste auf jeden Fall der Bundestag
zustimmen. Nach geltender Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts wäre
ein Einsatz nur im Rahmen eines »Systems
kollektiver Sicherheit« zulässig. Unter wel-
chen Bedingungen eine Koali tion der Wil-
ligen unter dem Dach der EU verfassungs-
gemäß wäre, ist noch offen.
Im Moment operieren zwei deutsche
Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer, die
Korvette »Ludwigshafen am Rhein« vor
der libanesischen Küste und die Fregatte
»Hessen« in der Ägäis. Ab Ende Septem-
ber wird auch wieder ein Aufklärungsflug-
zeug vom Typ P-3C »Orion« in Dschibuti

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LI MUZI / XINHUA / IMAGO IMAGES
Politiker Johnson, Trump
»Strategie des maximalen Drucks«
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