Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

stationiert sein. Die beiden Schiffe und das
Flugzeug sind zwar fest in internationale
Missionen eingebunden, könnten aber bei
Bedarf kurzfristig abgezogen werden.
Während die Deutschen weiter abwar-
ten, haben die Briten bereits ihre Marine
mobilisiert. Neben der Fregatte »HMS
Montrose« soll nun auch der Zerstörer
»HMS Duncan« britische Schiffe durch die
Meerenge zwischen Iran und Oman be-
gleiten. Einst beherrschte Großbritannien
bekanntlich die Meere, doch derzeit ist
nur etwa die Hälfte der großen britischen
Kriegsschiffe – sieben Fregatten und drei
Zerstörer – überhaupt einsetzbar, der Rest
ist in Wartung.
Trotz der offenbar geplanten Teilnahme
an der »Operation Sentinel« scheint John-
son sich allerdings noch nicht ganz aus
dem europäischen Konsens zu verabschie-
den. Der britische Premier hält weiterhin
am Atomabkommen mit Iran fest – trotz
des massiven Drucks aus Washington.
Doch Johnson gilt als unberechenbar.
Der neue britische Premier hat gerade
im Verhältnis zu Iran in der Vergangenheit
gravierende Fehler gemacht. So behaup-
tete er als Außenminister 2017 fälschlicher-
weise, die verhaftete britisch-iranische
Doppelstaatsbürgerin Nazanin Zaghari-
Ratcliffe habe in Iran Journalismus unter-
richtet. Damit stützte er iranische Vorwür-
fe, sie habe »Propaganda« verbreitet und
gefährdete Zaghari-Ratcliffe zusätzlich.
Tatsächlich war sie 2016 während ihres
Urlaubs in Iran verhaftet worden. Sie ist
dort noch immer in Haft.
Teheran hat bereits gedroht, dass es
die Stationierung weiterer Kriegsschiffe
am Golf als Provokation auffassen würde.
Im Moment sendet es höchst unterschied-
liche Botschaften. Einerseits präsentieren
die Revolutionswächter stolz martialische
Videoaufnahmen ihres Überfalls auf die
»Stena Impero«, andererseits machen
hochrangige Regierungsvertreter neue Ver-
handlungsvorschläge. So schlug der irani-
sche Außenminister Mohammad Javad
Zarif im Juli vor, dass Iran vorzeitig ein
zusätzliches Protokoll ratifizieren könnte,
das die Inspektionen seiner Nuklear -
installationen ausweiten würde. Teheran
versucht anscheinend, die US-Position
auszuloten.
Die USA verstärkten indes ihre Position
des Drucks am Mittwoch damit, dass sie
gegen Zarif Sanktionen erließen. Der
Außenminister, der als einer der Architek-
ten des Atomabkommens gilt, sei das
»Gesicht des Regimes«, hieß es in Wa-
shington. Die Europäer kündigten
umgehend an, weiter mit Zarif zusammen-
arbeiten zu wollen.
Konstantin von Hammerstein,
Christiane Hoffmann, Susanne Koelbl,
Raniah Salloum


Nasr gilt als einer der führenden Exper-
ten für Iran und den schiitischen Islam. Er
wurde im Jahr 1960 in Teheran geboren
und emigrierte mit seinen Eltern nach der
iranischen Revolution in den Westen. Er
beriet die Regierung Obama. Heute lehrt
er Politik an der Johns-Hopkins-Universität
in Washington.

SPIEGEL:Herr Nasr, erleben wir gerade
den Beginn eines neuen Krieges im Nahen
Osten zwischen den USA und Iran?
Nasr: Die Gefahr besteht, vor allem
weil beide Seiten nicht miteinander reden.
Es gibt viel Raum für Missverständnisse.
Anders als bei Nordkorea oder China
hat US-Präsident Donald Trump im
Fall Iran eine vergleichsweise stabile
poli tische Lage in eine enorm gefährliche
verwandelt. Gleichzeitig hat er mit
seiner Stra tegie keinen Erfolg, aber auch
keinen Plan B. Das macht ihn – ein
gutes Jahr vor der Präsidentschaftswahl –
politisch verwundbar. Die Irankrise of -
fenbart aber auch, wie schwach und in -
effektiv die Europäer sind. Schon jetzt

Das Gespräch führte der Redakteur René Pfister.

ist der Schaden für die europäische Außen-
politik enorm.
SPIEGEL: Warum das?
Nasr: Die Europäer zeigen gerade, dass
sie vollständig der amerikanischen Außen-
politik folgen. In Iran gibt es die weit -
verbreitete Sicht, dass die Europäer eine
finstere Rolle gespielt haben, indem sie
einerseits Iran dazu gebracht haben, sich
an das Nuklearabkommen zu halten, und
gleichzeitig dafür sorgten, dass die Ameri-
kaner Druck aufbauen konnten.
SPIEGEL: Die Europäer haben die Ent-
scheidung Trumps, aus dem Nuklear -
abkommen auszusteigen, kritisiert. Der
deutsche Außenminister Heiko Maas ist
im Juni nach Teheran geflogen, um mit
Iran im Gespräch zu bleiben.
Nasr: Die Europäer haben viel Kraft und
Zeit investiert, um das Abkommen zu ver-
handeln. Nachdem die USA ausgestiegen
waren, haben sie versprochen, zumindest
den Versuch zu unternehmen, es zu retten.
Aber sie haben den USA nichts entge -
gengesetzt, im Gegenteil: Sie haben sich
entschieden, dem amerikanischen Druck
nachzugeben. Vor Kurzem hat Großbri-
tannien auf einer zweifelhaften rechtlichen
Basis einen Tanker mit iranischem Öl vor
Gibraltar festgesetzt. Das hat den Iranern
nur bestätigt, was sie schon lange dachten:
dass die Europäer der verlängerte Arm der
US-Außenpolitik sind und dabei helfen,
eine Krise zu verschärfen, die erst durch
den Ausstieg der USA aus dem Abkom-
men entstanden ist.
SPIEGEL: Halten Sie den neuen britischen
Premierminister, Boris Johnson, für einen
Gefolgsmann Trumps?
Nasr: Die Briten könnten Trump gar nicht
mehr unterstützen, als sie es im Moment
tun. Der einzige Schritt, den Johnson noch
nicht getan hat, ist, offiziell aus dem Ab-
kommen auszusteigen. Das hätte enorme
Weiterungen, weil es den Bruch Großbri-
tanniens mit der EU unterstreichen würde.
Nun fordern die Briten Unterstützung in
der Krise (um den festgesetzten britischen
Tanker »Stena Impero«–Red.) und bitten
die europäischen Partner, sich einer Militär-

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Ausland

»Die Iraner trauen


Trump nicht«


SPIEGEL-GesprächDer Nahostexperte und ehemalige


Regierungsberater Vali Nasr warnt vor der Gefahr eines neuen
Krieges im Nahen Osten und fordert die Europäer

dazu auf, sich der amerikanischen Iranpolitik zu widersetzen.


KAVEH SARDARI
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