Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1
ren Ruf entgegenzuwirken, indem sie ihre
minderjährige Kundschaft zu sozialen
Diensten außerhalb der Schulmauern an-
halten. Aber es bleibt dabei, dass sie zum
weit überwiegenden Teil Tummelplätze
für die Kinder der wohlhabenden Interna-
tionale sind. In Eton stehen 73 »armen«
Schülern mehr als 1200 gut bis sehr gut
betuchte gegenüber, die aus ihrer Verach-
tung für andere oft keinen Hehl machen.
Im Schuljahr 2017/18 nahm das Internat
51 Millionen Pfund an Gebühren ein, dazu
kommen in der Regel weitere Millionen
für Extras wie Schulausflüge und Musik-
stunden. Zudem besitzt Eton College
knapp 400 größtenteils historische Gebäu-

de, Stiftungskapital, Wertpapiere sowie
175 000 Kunstwerke und Antiquitäten.
Umso erstaunlicher ist, dass das Inter-
nat wie die meisten anderen seiner Art nur
massiv reduzierte Unternehmenssteuern
an den britischen Staat abführen muss.
Umsatzsteuer auf die Jahresgebühren er-
hebt der Fiskus erst gar nicht. Als »Chari-
ties« (Wohltätigkeitsorganisationen) genie-
ßen die Privatunternehmen Steuerprivile-
gien, die sich zu Milliarden summieren,
weil sie dafür im großen Stil mit staatlichen
Schulen in ihrer Nachbarschaft »kooperie-
ren«. Eine Regelung, die in vielen Fällen
nur auf dem Papier existiert. Während die
Privaten somit immer weiter florieren,
können sich die seit Jahren kaputtgespar-
ten Staatsschulen mittlerweile nicht mal

mehr das Nötigste leisten. Für September
haben sie in ihrer Not zu einem Protest-
marsch auf Westminister geblasen.
Über die Ungerechtigkeit wunderte sich
einst sogar der ehemalige Bildungsminis-
ter Michael Gove, der heute in Johnsons
Regierung einen harten Brexit vorbereitet.
Die staatlich geförderten Privatschulen
verfügten über Einrichtungen wie Fünf-
sternehotels, schrieb er 2017 in einer
Kolumne für die »Times«. Die Gebühren
pro Schüler betrügen überall mehr als
30 000 Pfund und lägen damit deutlich
höher als das Jahresgehalt der meisten Bri-
ten. »Aber zu meiner fortgesetzten Über-
raschung betrachten wir die Erziehung der

Kinder von Plutokraten und Oligarchen
als gemeinnützige Aktivität.«
Gove ist nicht der Erste, dem das aufge-
fallen ist. In den vergangenen Jahrzehnten
gab es wiederholt Versuche, das System
aufzubrechen. Sie alle scheiterten eher
früher als später. Das auch deshalb, weil
an den entscheidenden Schaltstellen des
Staates die Profiteure des Status quo gro-
tesk überrepräsentiert sind. Während nur
einer von 15 Briten eine Privatschule be-
sucht hat, wurden nach Angaben des Sut-
ton Trust 65 Prozent aller oberen Richter,
59 Prozent der Staatssekretäre und 29 Pro-
zent der Abgeordneten elitär erzogen. Und
weil auch fast die Hälfte aller Zeitungs -
kolumnisten aus dem System stammt, hält
sich mediale Kritik an den Verhältnissen

in Grenzen. Frauen sind in allen Bereichen
deutlich unterrepräsentiert.
Den vorerst letzten Versuch, die schrei-
ende Ungleichheit im Bildungssystem zu be-
seitigen, unternahm Ex-Regierungschefin
Theresa May, die auf eine staatliche Schule
gegangen war. In deren ersten Kabinett sa-
ßen »nur« 30 Prozent ehemalige Privatschü-
ler und damit so wenige wie seit sieben Jahr-
zehnten nicht mehr. Im Wahlprogramm ih-
rer konservativen Partei befand sich 2017
der Satz: »Die größte Ungerechtigkeit im
heutigen Großbritannien ist, dass Ihr Leben
zum größten Teil nicht von Ihrem Streben
und Ihrem Talent bestimmt wird, sondern
davon, wo Sie herkommen, wer Ihre Eltern
sind und welche Schule Sie be-
sucht haben. Das ist falsch.«
Die darauffolgende Wahl
geriet für May jedoch zum
Desaster. Von da an war sie
in einen innerparteilichen
Grabenkrieg um den Brexit
verwickelt – von Bildungs -
reformen war ernsthaft nie
wieder etwas zu hören.
Und so verstetigt sich im
Großbritannien des 21. Jahr-
hunderts immer weiter ein
System, das mit Bildungsge-
rechtigkeit und Chancen-
gleichheit praktisch nichts zu
tun hat. Während viele ge-
winnorientierte Eliteschulen
inzwischen sogar im großen
Stil Filialen in China, Singa-
pur, Dubai oder den Vereinig-
ten Arabischen Emiraten
gründen, um auch dort den
Kindern der Reichen nur das
Allerbeste zu bieten, klingt
daheim auf der Insel das Man-
tra von der sozialen Mobilität
nur noch hohl. Tatsächlich
werden die Grenzen zwi-
schen ganz unten und ganz
oben nach unabhängigen Un-
tersuchungen immer un-
durchlässiger.
»Heute hat ein Kind weniger Chancen,
durch die Klassenbarrieren zu brechen
als seine 1950 geborenen Großeltern«,
schreibt Robert Verkaik in seinem Buch
»Posh Boys«. »Die subtilen Netzwerke
der privat Ausgebildeten haben ein sich
selbst verstetigendes System der Vorteils-
nahme und der sozialen Immobilität ge-
schaffen.« Verkaik nennt das »Erziehungs-
Apartheid«.
So ist es nicht überraschend, dass auch
im Vereinigten Königreich die Wut auf
»die Eliten« besorgniserregende Ausmaße
angenommen hat. Eine Wut, die vor drei
Jahren zu dem Ergebnis des EU-Referen-
dums beitrug – einem Ergebnis, mit dem
David Cameron, die politische Klasse, die
britische Wirtschaft, ein Großteil der Me-

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JÖRG SCHINDLER


Wall of Fame im Eton-Museum: Lebenslang Elite
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