Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

teressiert? Mir geht es nicht darum, sie zu
kontrollieren. Aber die Spieler müssen ehr-
lich zu mir sein. In so einem vertrauens-
vollen Verhältnis kann ich ihnen am bes-
ten helfen, sich zu entwickeln.
SPIEGEL:Sie sind als Trainer des Jahres
2018 ausgezeichnet worden. Diese Woche
haben Sie Ihren Vertrag mit Werder bis
2023 verlängert. Will sich der Verein da-
mit eine hohe Ablöse sichern, falls Sie frü-
her zu einem anderen Klub wechseln?
Kohfeldt:Das spielt in den jetzigen Über-
legungen eigentlich keine Rolle. Es wäre
auch fatal für beide Seiten, sich allein aus
diesem Grund so langfristig zu binden.
Eine viel größere Rolle spielt unsere ge-
meinsame Motivation. Wir wollen hier die
Flutlichter für internationale Spiele wieder
anknipsen, dafür müssen wir aber mit
begrenzten Ressourcen alle Möglichkeiten
nutzen, die wir beeinflussen können. Kon-
tinuität ist wichtig für eine positive Ent-
wicklung. Auch das gehört zu den Hinter-
gründen der Vertragsverlängerung.
SPIEGEL:Ab dieser Saison können Trainer
für Fehlverhalten gelbe und rote Karten
bekommen. Was halten Sie davon?
Kohfeldt:Ich bin überzeugt, dass es das
Verhältnis zwischen Trainern und Schieds-
richtern belasten wird. Alles, was an der
Bank passiert, entsteht aus Emotionen, die
der Spielverlauf mit sich bringt. Mehr
Kommunikation hätte positive Auswirkun-
gen an den Bänken, aber die neue Rege-
lung wird für weniger Kommunikation sor-
gen und manche Situation eher anheizen.
Für die Schiedsrichter wird es schwieriger.
Sie müssen immer genau unterscheiden,
welche Traineremotionen gelten der eige-
nen Mannschaft, welche einer unglückli-
chen Spielführung der Schiedsrichter. Und
alle Emotionen können sich die Trainer
auch nicht nehmen lassen. Sie gehören zu
einem guten Coaching dazu.
SPIEGEL:Ende Januar sind Sie im Spiel
gegen Eintracht Frankfurt vom Schieds-
richter auf die Tribüne geschickt worden.
Kohfeldt:Nicht zu Unrecht, auch wenn
ich niemanden beleidigt habe. Aber es gab
damals eine Handspielentscheidung, die
aus meiner Sicht ungerecht war, und dann
hatte ich Schwierigkeiten, mich im Zaum
zu halten. Frankfurt war für mich ein
Schlüsselerlebnis: Ich habe mich zu sehr
von meinen Emotionen leiten lassen. Ich
sehe es sonst als meine Stärke an, auch in
Stresssituationen rationale Entscheidun-
gen zu treffen. Das ist mir in dem Spiel
nicht gelungen, und so konnte ich auch der
Mannschaft nicht mehr helfen.
SPIEGEL:Jürgen Klopp hat mal gesagt,
dass er sich über Bilder erschreckt hat, auf
denen er einen Schiedsrichter mit wutver-
zerrtem Gesicht anbrüllt. Kennen Sie das?
Kohfeldt:Ja, es gibt auch so ein Foto von
mir, das fand ich auch nicht schön. Aber
mit dieser Phase bin ich durch. Ich versu-


che, mich jetzt mehr in die Schiedsrichter
hineinzuversetzen, suche auch mal ein ru-
higes Gespräch nach dem Spiel, um ihre
Sichtweise zu kennen. Ich will meine Ener-
gie nicht in diesen kleinen Konflikten ver-
schwenden, sondern darauf richten, dass
wir Spiele gewinnen.
SPIEGEL:Das Pokalhalbfinale hat Werder
nach einem umstrittenen Elfmeter für den
FC Bayern verloren. Obwohl es in diesem
Fall verständlich gewesen wäre, haben Sie
dem Schiedsrichter keinen Vorwurf ge-
macht.
Kohfeldt:Ich hatte die Videobilder schon
gesehen, bevor Robert Lewandowski den
Elfmeter ausgeführt hat. Und ich wusste,
dass das nie und nimmer ein Foul war. Wir
haben an diesem Abend sehr gelitten, aber
der Schiedsrichter auch. Darum habe ich
mir gleich nach dem Spiel gesagt: Den
Frust lädst du jetzt nicht bei ihm ab.
SPIEGEL:Wie sind Sie Ihrer Mannschaft
in der Kabine begegnet?
Kohfeldt:Die Spieler saßen alle da mit lee-
rem Blick, keiner hat etwas gesagt. Wir
hatten eine unglaublich gute Pokalrunde
gespielt, mit schweren Auswärtsduellen in
Dortmund und auf Schalke. Gegen die
Bayern waren wir so nah dran, das wich-
tigste Spiel im deutschen Fußball zu er -
reichen. Wir hatten monatelang in der
Kabine eine Flipchart stehen, da stand ein-
fach nur »Berlin« drauf, der Finalort. Der
Traum wurde uns genommen, durch eine
Fehlentscheidung. Und dann stehst du da
und musst die richtigen Worte finden. Das
war für mich der heftigste Moment meiner
bisherigen Trainerkarriere.
SPIEGEL:Was haben Sie gesagt?
Kohfeldt:Natürlich habe ich gesagt, dass
ich sehr traurig bin, was offensichtlich war,
weil ich mit den Tränen kämpfen musste.
Aber ich habe auch betont, wie stolz ich
darüber bin, was dieses Team geleistet hat.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin im-

mer stolz, Trainer von Werder Bremen zu
sein. Das ist mein Herzensverein. Aber in
diesem Moment war ich stolz, Trainer von
genau diesen Jungs zu sein, die vor mir
saßen und gerade ihren ganzen Mut, ihre
Leidenschaft und Spielfreude auf dem Ra-
sen gelassen hatten und völlig ausgepumpt,
leer und ohne Lohn vor mir saßen und die
letzten zwei Stunden verarbeiten mussten.
SPIEGEL:Woran merken Sie, dass Sie den
richtigen Ton getroffen haben?
Kohfeldt:Ich glaube, dass die Jungs dank-
bar waren für die Worte. Ich denke, es war
in diesem Moment richtig, viele Emotionen
zuzulassen. Bei einigen hat die Verarbeitung
noch Tage gedauert. Langfristig wird uns
solch eine Erfahrung weiterhelfen. Nur kurz
danach hat Claudio Pizarro mir mitgeteilt,
dass er noch eine Saison weiterspielen wird.
Viele von uns haben die Überzeugung: Das
war nicht der tragische Abschluss einer Ent-
wicklung, das war erst der Anfang!
SPIEGEL:Sie sind seit Ihrer Kindheit Wer-
der-Fan. Was ist für Sie das Besondere an
dem Verein?
Kohfeldt:Der Begriff »Werder-Familie«
wurde zwar schon oft strapaziert, macht
uns aber auch zu einem einzigartigen Klub
in der Bundesliga. Die handelnden Perso-
nen sind hier intern sehr kritisch miteinan-
der, aber es läuft nichts unter einer gewissen
Respektsebene ab. Mir sagen andere Trai-
nerkollegen, wie gut ich es in Bremen habe.
Die merken, wie eng Frank Baumann und
ich zusammenarbeiten. Wir haben offenbar
ein ungewöhnlich gutes Verhältnis.
SPIEGEL:Es kann sein, dass der Sportchef
Baumann Sie irgendwann feuert.
Kohfeldt:Das hat er schon mal getan,
2016, als er Viktor Skripnik entlassen hat


  • und mit ihm die Co-Trainer Torsten
    Frings und mich. Entschuldigen Sie den
    Ausdruck, aber das war ein Scheißgefühl.
    Menschen, mit denen man zwei Jahre lang
    jeden Tag zu tun hatte, sieht man plötzlich


DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019 87


MARVIN IBO GÜNGÖR / GES-SPORTFOTO
Werder-Kapitän Kruse im April (vorn): »Er war enorm wichtig für uns«
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