Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

nicht mehr. Schlüssel abgeben, und das
war’s. Das trifft dich richtig hart.
SPIEGEL:Könnten Sie sich auch mit einem
anderen Verein identifizieren?
Kohfeldt:Ja, auch wenn ein Teil meines
Herzens immer in Bremen bleiben würde.
Und ich finde, das widerspricht sich auch
nicht. Wenn ich irgendwann – wenn es nach
mir geht, in ferner Zukunft – zu Verein XY
wechseln würde, könnte ich mich nicht hin-
stellen und sagen: Ich habe immer schon
in der Bettwäsche dieses Vereins geschlafen.
Aber natürlich gibt es auch Klubs, die für
mich, aus der Ferne betrachtet, für gewisse
Werte stehen, unabhängig von einzelnen
Mannschaften und Trainern.
SPIEGEL:Jetzt müssen Sie aber auch kon-
kret werden.
Kohfeldt:Ich will keine Namen nen-
nen. Aber ich bin jemand, der guten
Offensivfußball mag, der wirkliche
Emotionen schätzt und gern eine
starke Verbindung zum Publikum
hat. Aber ich möchte keine Speku-
lationen anheizen. Wenn Spieler mit
einem Vereinswechsel kokettieren,
finde ich das schon grenzwertig. Für
Trainer finde ich das verwerflich.
SPIEGEL:Wie finden Sie eigentlich
den umstrittenen neuen Stadionna-
men »Wohninvest Weserstadion«?
Kohfeldt:Smart. Das Hauptziel war,
den Namen Weserstadion zu erhal-
ten. Und wir haben einen Partner
gefunden, der das ermöglicht hat.
Darum ist das eine gute Lösung.
SPIEGEL:Ist der Verein so sehr auf
das Geld angewiesen?
Kohfeldt:Man darf nicht vergessen:
Werder hat hier viele Millionen Euro
in den Umbau des Stadions gesteckt,
das heute mit seiner Lage und der
Nähe zwischen Tribünen und Spiel-
feld zu den atmosphärisch außerge-
wöhnlichsten Stadien Euro pas zählt. Die
Stadt und die ganze Region profitieren da-
von, dass wir diesen Standort zu einem ho-
hen Preis wettbewerbsfähig halten. Aber
wir finanzieren das im Alleingang, anders
als an vielen anderen Standorten.
SPIEGEL:Wünschen Sie sich mehr Unter-
stützung von der Stadt Bremen?
Kohfeldt:Ich würde mir schon wünschen,
dass die Aufbruchstimmung rund um Wer-
der dazu führt, dass die Stadt ihrem Aus-
hängeschild mehr Rückendeckung für einen
Wettbewerb gibt, von dem sie selbst sehr
stark finanziell profitiert. Ich habe Verständ-
nis dafür, dass Bremen andere Baustellen
hat: Schulen, Kindergärten, Infrastruktur.
Aber daran kann man doch viel besser ar-
beiten, wenn wir als Erstligist zugleich posi -
tive Effekte für die Stadt auslösen. Und für
unseren Erfolg ist ein modernes Leistungs-
zentrum extrem wichtig. Wenn wir da nicht
schnell große Schritte machen, gefährdet
das Bremen als Erst ligastandort.


SPIEGEL:Ist das nicht ein etwas düsteres
Szenario?
Kohfeldt:Wir ziehen uns da drüben in
Gebäuden von 1977 um. Als U-23-Trainer
habe ich in der dritten Liga Videoanalysen
gemacht, da saßen die Jungs auf dem Bo-
den, und der Kapitän musste das Kabel
vom Beamer festhalten. Wir haben nicht
genug Plätze, nicht genug Umkleidekabi-
nen für die Jugendmannschaften. Wie sol-
len wir uns da langfristig mit Leipzig und
Hoffenheim messen?
SPIEGEL:Sie fürchten den Anschluss an
reichere Vereine zu verlieren. Klubs wie
Manchester City, Paris Saint-Germain,
Bayern München dominieren ihre Ligen.
Ist der Fußball als offener sportlicher Wett-
kampf kaputt?

Kohfeldt:Für mich ist es schon noch ein
Unterschied, ob sich ein Verein wie Bayern
München über sportlichen Erfolg hoch -
gearbeitet hat oder ob ein großer Geld -
geber einen Verein kauft und astronomi-
sche Summen zur Verfügung stellt. Aber
natürlich stellt sich die Frage, inwieweit es
in diesem System überhaupt noch möglich
ist, durch gute Vereinsarbeit, durch gute
Trainerarbeit seine Position zu verändern.
Da habe ich meine Zweifel.
SPIEGEL:Zur modernen Fußballwelt ge-
hören auch zwielichtige Berater. Müssen
Sie sich vor denen schützen?
Kohfeldt:Es gibt schon ein paar, mit denen
man umgehen können muss. Manchmal
stehen Spieler vor mir, die plötzlich Ab-
sprachen infrage stellen, eine andere Posi-
tion für die richtige halten oder aus heite-
rem Himmel wechseln wollen. Da frage
ich: Hast du gestern mit deinem Berater
telefoniert, oder was ist los? Es gibt aber
auch eine Menge guter Berater, und das

ist die Mehrheit. Das nutze ich als Trainer
auch mal und rufe an, weil wir gemeinsam
die Karriere des Spielers im Sinn haben.
SPIEGEL:Sie hatten Max Kruse zum Mann-
schaftskapitän ernannt, sagten, er könne
sich in Bremen etwas ganz Besonderes auf-
bauen. Jetzt spielt er für Fenerbahçe Istan-
bul. Fragen Sie sich, warum?
Kohfeldt:Nein. Max wird gute Gründe
für den Wechsel gehabt haben, aber ich
kenne sie nicht – also bewerte ich das nicht.
SPIEGEL:Verbuchen Sie es als Ihren Erfolg,
dass Kruse in Bremen wieder sportlich
Gesprächsthema war und nicht mit Disco -
besuchen Schlagzeilen machte?
Kohfeldt:Dass es zwischen Max und mir
in der vergangenen Saison gut geklappt
hat, lag sicher auch an klar definierten
Grenzen bei gleichzeitig höchstmög-
licher persönlicher Freiheit. Die
Grenzen galt es nicht zu überschrei-
ten, und daran musste ich ihn selten
erinnern. Da ging es um seine Le-
bensweise, aber auch um seine Rolle
auf dem Platz. Max ist ein Spieler,
der alles dem Erfolg unterordnet, er
war letztes Jahr enorm wichtig für
uns. Aber jetzt ist eine neue Saison,
mit neuen Spielern.
SPIEGEL:Inwiefern haben Fußballer
und Trainer eine Vorbildfunktion in
der Gesellschaft?
Kohfeldt:Wir sollten Grundwerte
der Gesellschaft nicht verletzen, wir
sollten Fairness und respektvollen
Wettkampf vorleben. Wir wollen un-
bedingt gewinnen, unbedingt! Aber
über gewisse Grenzen gehen wir
nicht hinaus, und wenn es vorbei ist,
geben wir uns die Hand.
SPIEGEL:Sollten sich Fußballer öf-
fentlich politisch positionieren?
Kohfeldt:Das ist ein ganz sensibles
Thema, weil sie damit unheimlich
viele Menschen beeinflussen können und
entsprechende Verantwortung tragen. Ich
mische mich deswegen wenig bis gar nicht
in politische Debatten ein. Ich würde mich
zum Beispiel nicht zu einer Bundestags-
wahl äußern. Ich finde es dagegen aber gut,
wie sich Christian Streich, der Trainer des
SC Freiburg, zu gesellschaftlichen Themen
äußert.
SPIEGEL:Herr Streich ist aber schon sehr
nah an der Tagespolitik, wenn er sich auf
einer Vereinspressekonferenz dafür ein-
setzt, dass Flüchtlinge aufgenommen und
integriert werden.
Kohfeldt:Stimmt, ich bin überzeugt, dass
er sich auch damit sehr beschäftigt. Ich
würde mich nicht sicher genug in der The-
matik fühlen, um das auf so einer Bühne
zu besprechen. Auch wenn sich in dem
Fall seine Meinung mit meiner deckt.
SPIEGEL:Herr Kohfeldt, wir danken Ihnen
für dieses Gespräch.

88


Sport

LACI PERENYI
Trainer Kohfeldt
»Ich musste mit den Tränen kämpfen«
Free download pdf