Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

E


igentlich ist der TuS Weinböhla in
Sachsen stolz auf seinen Kunstrasen-
platz, der vor drei Jahren gebaut
wurde. Mehr als 800 000 Euro hat die An-
lage gekostet. Der Verein musste einen
Kredit aufnehmen, um den Eigenanteil zu
finanzieren. Gut angelegtes Geld, fand Ver-
einsvorstand Lothar Kaden: »16 Mann-
schaften trainieren dort.«
Nun allerdings beschleichen Kaden
Zweifel an dem Investment. Über den Fuß-
ballverband erfuhr er von Plänen in Brüs-
sel. Die EU gehe gegen Mikroplastik vor.
Schon bald könne sein Platz geschlossen
werden. »Das wäre eine bodenlose Frech-
heit«, schimpft er.
Aufruhr herrscht nicht nur im Elbtal,
sondern im gesamten Amateurfußball.
Überall haben Vereine für moderne Kunst-
rasenplätze gekämpft. Sie gelten als robust
und auch im Winter bespielbar. Rund
5000 Plätze gibt es mittlerweile, schätzt
der Deutsche Fußball-Bund (DFB). 300
kommen pro Jahr dazu.
Doch was die Sportler freut, ist nicht
gut für die Umwelt. Die Plätze sollen eine
wichtige Rolle bei der Verbreitung von
Mikro plastik spielen, winzigen Plastikteil-
chen, die Flüsse, Seen und Ozeane ver-
schmutzen. Noch ist unklar, wie gefährlich
Mikroplastik für Menschen ist. Doch Exper -
ten sind sich einig, dass Kunststoffmüll
nicht in die Umwelt gehöre.
Die EU will verhindern, dass Kunststoff
unnötig in Umlauf gebracht wird. So geht
sie gegen Plastiktüten und -strohhalme
vor – und womöglich bald auch gegen
Kunststoffgranulat auf künstlichen Fuß-
ballfeldern. Anfang des vergangenen Jah-
res hat die EU-Kommission die Europäi-
sche Chemikalienagentur beauftragt, Be-
schränkungen zu prüfen. Ob es dazu
kommt und welche Stoffe möglicherweise
verboten werden, ist aber noch offen. Frü-
hestens im kommenden Jahr will die EU
einen Vorschlag machen.
Dennoch beschwören die Sportverbän-
de bereits eine Katastrophe. Da sich viele
Vereine und Kommunen die Kosten für
Umrüstungen nicht leisten könnten, sei
»von einer Schließung vieler Sportplätze
auszugehen«, schrieben DFB und der


Deutsche Olympische Sportbund nach
Brüssel, das würde »das Breitensport -
angebot sehr negativ beeinflussen«. Not-
wendig sei eine sechsjährige Übergangs-
frist. Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU) sprang den Kickern zur Seite. Die
EU sah sich genötigt klarzustellen, dass
sie nicht daran denke, bestehende Plätze
zu schließen.
So aufgeregt Politiker und Funktionäre
reagieren, so gelassen sind Fachleute. »Ich
wette meine Brieftasche, dass dem Ama-
teurfußball nichts passiert«, sagt Joachim
Weitzel, Geschäftsführer einer Firma für
Sportstättenbau in Tornesch bei Hamburg.
Etliche Plätze hat sein Unternehmen ge-
baut, rund 1000 Kunstrasenfelder hält es
in Schuss. Zwar räumt Weitzel ein, dass
die Entstehung von Mikroplastik ein Pro-
blem sein könne. Doch wenn die Plätze
nach der DIN-Norm gebaut, mit Filter und
Drainagen ausgestattet und regelmäßig ge-
pflegt würden, sei der Austrag gering.
Ohnehin stehe nicht der ganze Rasen
in der Kritik, sondern nur das Infill, eine
Art Einstreu, das die Halme, die in ein
Träger gewebe eingebracht sind, stützen
und Sportler vor Verletzungen schützen
soll. Da aber gebe es Alternativen, zum
Beispiel Kork-Infill. »Das klappt hervor-
ragend«, sagt Weitzel. In der Erprobung
sei auch ein kompostierbares Kunststoff-
granulat.
Dass Alternativen funktionieren, zeigt
sich in Hamburg, wo nur noch Anlagen
mit Quarzsand errichtet werden. Berlin
hingegen setzt vorrangig auf Kunstrasen,
der ohne Infill auskommt. Schleswig-Hol-
stein und Baden-Württemberg unterstüt-

zen laut ihren Förderrichtlinien keine Neu-
bauten mit Kunststoffgranulat mehr.
Dass die Plätze überhaupt ins Visier der
Brüsseler Bürokraten geraten sind, geht
offenbar auch auf eine Studie des Fraun-
hofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits-
und Energietechnik in Oberhausen zurück.
Dessen Wissenschaftler waren der Frage
nachgegangen, woher das Mikroplastik
stammt. Eine wesentliche Quelle: »Ver -
wehungen von Sport- und Spielplätzen.«
Bis zu 11 000 Tonnen kämen allein in
Deutschland zusammen, berechneten sie.
Die Rechnung wirft Fragen auf. Dem-
nach müssten pro Platz und Jahr bis zu
drei Tonnen in die Umwelt gelangen. Das
erschien zumindest der Kunstrasenindus-
trie deutlich zu hoch. Polytan, der füh -
rende Hersteller, teilte mit, er gehe »von
etwa einem Zehntel der publizierten Men-
ge aus«.
Selbst Studienautor Jürgen Bertling ka-
men inzwischen Bedenken. In einem Brief
unter anderem an Industrievertreter räumt
er jedenfalls ein, dass es »Anhaltspunkte«
gebe, »dass die in Deutschland dominie-
renden Kunstrasentypen deutlich geringe-
re Emissionen« verursachten.
Um künftig zu einer »ganzheitlichen Be-
wertung« zu kommen, schlägt er der Bran-
che vor, eine neue Studie zu verfassen –
an der sich Betriebe und Kommunen mit
jeweils bis zu 20 000 Euro beteiligen soll-
ten. Sobald sich mindestens zehn Geldge-
ber gefunden hätten, würden die Wissen-
schaftler loslegen. Das Interesse an der Un-
tersuchung sei groß, sagt er.
Ob sich die EU allerdings gnädiger stim-
men lässt, wenn Fraunhofer gemeinsam
mit der Industrie im zweiten Anlauf einen
geringeren Mikroplastik-Ausstoß ermitteln
würde, ist fraglich. Denn in Brüssel gibt
es Pläne, auch gegen Mikroplastik in Kos-
metika vorzugehen, obwohl deren Anteil
an der Verschmutzung angeblich wesent-
lich geringer ist. Michael Fröhlingsdorf

DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019 89

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Kork


UmweltWeil die EU gegen
Mikroplastik vorgeht, fürchten
viele Fußballklubs, ihre Kunst -
rasenplätze schließen zu müssen.
Ist die Panik berechtigt?

VALERIA WITTERS / WITTERS
Sportler auf Kunstrasen mit Sand- und Kork-Infill in Hamburg: »Das klappt hervorragend«

Es gibt Anhaltspunkte,
dass die Anlagen in
Deutschland geringere
Emissionen verursachen.
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