Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1
91

Archäologie

»Es wurden


Menschenopfer


dargebracht«


Harald Meller, 59,
Landesarchäologe von
Sachsen-Anhalt, über
das Steinzeitheiligtum
Pömmelte zwischen
Magdeburg und Des-
sau – und was es mit
Stonehenge zu tun hat

SPIEGEL:Herr Meller, was ist so span-
nend an der Grabungsstätte Pömmelte?
Meller:Alles! Wir haben hier eine Kreis-
grabenanlage freigelegt, genau wie jene
von Stonehenge. Sie hat nahezu den iden-
tischen Durchmesser, ist aber
rein aus Holz errichtet worden.
Die Erbauer von beiden gehör-
ten der Glockenbecherkultur
an, die vor etwa 4600 Jahren
entstand. Das Beste aber ist,
dass Pömmelte bis vor Kurzem
unentdeckt war – so können
wir jetzt mit modernsten Me -
thoden graben und hoch span-
nende Funde machen. Der
Boden um Stonehenge ist allein
in den vergangenen 200 Jahren
viel zu oft umgegraben worden;
Forschung ist da kaum noch
möglich.
SPIEGEL:Und was hat Pömmel-
te nun mit Stonehenge zu tun?

Meller:Auch wenn man es heute ange-
sichts des Brexits kaum glauben mag,
Großbritannien ist keine isolierte Insel.
Schon damals unterlagen wir den gleichen
kulturellen Strömungen und standen in
enger Verbindung.
SPIEGEL:Wozu nutzten die Menschen sol-
che Rondelle aus Stein oder Holz?
Meller:Ein Henge war ein Ort, an dem
religiöse Rituale vollzogen wurden; da
wurden auch in einigen Fällen Menschen-
und Tieropfer dargebracht. Wir haben in
zwei Meter tiefen Schächten Knochen
von Frauen und Kindern gefunden, dazu
in immer gleicher Schichtung die von
Rindern, aber auch Mahlsteine. Im Osten
des Heiligtums lagen normal bestattete
Männer.
SPIEGEL:Was hat die diesjährige Grabung
ergeben?
Meller:Wir haben in direkter Umgebung
Spuren von Häusern der Erbauer von

Pömmelte ausgemacht, die kannten wir
bisher kaum. Außerdem haben wir
Skelette gefunden mit Grabbeigaben wie
Trinkschalen. Wir haben auch Belege
für eine Vorgängerkultur gesammelt, die
über zwei Jahrhunderte Seite an Seite
und offenbar in Harmonie mit den Glocken-
becherleuten lebte.
SPIEGEL:Und wie ging es weiter?
Meller:Etwa vor 4100 Jahren entstand
daraus etwas Neues – eine Kultur, die auf
einmal den Bronzeguss und die Massen-
fertigung zum Beispiel von Äxten
be herrschte. Sie baute weiterhin Kreis -
graben anlagen, aber andere. Sie forderte
keine Menschenopfer mehr – und zer -
störte die alten Rondelle absichtlich. Die-
se Kultur war es, die dann so heraus -
ragende Dinge hervorbrachte wie die be -
rühmte Himmelsscheibe von Nebra,
die jetzt in unserem Landesmuseum in
Halle zu sehen ist.
SPIEGEL:Zeigt sich diese Kul-
tur auch in Pömmelte?
Meller:Allerdings. In etwa
800 Meter Entfernung wurde
damals eine frühbronzezeit -
liche Kreisgrabenanlage errich-
tet, die wir jetzt »Schönebeck«
nennen. In deren Umgebung
wollen wir graben. Rund hun-
dert Jahre lang standen beide
nebeneinander, dann wurde
Pömmelte rituell niederge-
brannt. Für die Zeit des Neben-
einanders kann man von einer
Verbindung, von einer Art
Prozessionsstraße zwischen bei-
den ausgehen. Die suchen wir
nächstes Jahr. ME

Die Zahl der jugendlichen Raucher sinkt seit Jahren – aber die der
jungen Nikotinabhängigen steigt zumindest in den USA rapide.
Schuld daran ist vor allem eine Firma: Juul Labs aus San Francis-
co. Seit 2015 stellt sie eine E-Zigarette namens Juul her, einen
hübsch anzusehenen Verdampfer nikotinhaltiger Flüssigkeiten mit
poppig bunt gestalteten Aromen wie »Mango«, »Cool Cucumber«
oder »Menthol«. In den sozialen Netzwerken aggressiv be worben,
wurde das Produkt unter Minderjährigen ein Sensations erfolg:
Viele Millionen Highschool-Schüler »juulen« täglich; ihre Zahl ist
von 2017 bis 2018 um volle 78 Prozent gestiegen.
Dies ist in hohem Maße beunruhigend. Weil Juul extrem viel
Nikotin enthält, macht es besonders schnell abhängig. Vor allem
aus diesem Grund dürfte sich der Tabakkonzern Altria (»Marl -
boro«) unlängst mit fast 13 Milliarden Dollar an dem Start-up
beteiligt haben. Altria weiß, dass sich unter stark Nikotinsüchtigen
am leichtesten neue Raucher rekrutieren lassen.

Wie konnte das passieren? Warum ließen Eltern, Schulen,
Behörden, Ministerien und Parlamente das zu? Hat denn niemand
aus der Geschichte gelernt, dass Millionen Menschen früh sterben,
wenn die Gesellschaft Nikotinkonzernen freie Bahn lässt?
Mittlerweile beteuern Juul-Manager, keine Jugendlichen mehr
anzusprechen; die Firma konzentriere sich auf erwachsene Rau-
cher, die statt Tabak lieber eine risikoärmere E-Zigarette nutzen.
Aber wer soll ihnen das glauben? Juul ist, immerhin geringer
dosiert, seit etwa einem halben Jahr auch in Deutschland erhält-
lich. Rasch will die Firma weiter expandieren. Unterdessen geben
US-Ärzte zu bedenken, dass Juul neben Lungenschäden auch
Herzinfarkte und Schlaganfälle verursachen könnte. Suchtmedizi-
ner berichten von sehr stark abhängigen Teenies, deren soziale
Entwicklung Schaden genommen habe. San Francisco versucht
nun, den Verkauf von E-Zigaretten an Jugendliche und an erwach-
sene Raucher ganz zu unterbinden. Applaus dafür. Marco Evers

Kommentar

Nikotinbombenalarm


Die E-Zigarette Juul könnte Millionen US-Schüler abhängig machen. Warum greift niemand ein?

HENDRIK SCHMIDT / DPA


STEFFEN SCHELLHORN / PA / ZB / EUROLUFTBILD
Kreisgrabenanlage Pömmelte
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