Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

Krieg im Kopf


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* darunter verstehen die Bundeswehrmediziner die Summe aus Neuerkrankungen
und Wiedervorstellungen; Quelle: Bundeswehr

2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019

Bundeswehrsoldaten
im Auslandseinsatz

PTBS-Behandlungskontakte*

100


1875


2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018

J


ahrelang hatte Armin Harzer sich
geritzt, mit einem Messer und mit
Scherben. Die Narben, feine weiße
Linien, reihen sich in kleinem Ab-
stand, an Armen und Beinen, Diagramme
des Schmerzes. Eine Weile ließ er es blei-
ben, jetzt tut er es wieder.
Manchmal öffnet er auch auf seinem
Computer Bilder, lange hatte er sie eigens
in einem Ordner namens »Leichen« ab-
gespeichert. Er schaut dann die Fotos an.
Die von den Frauen mit aufgeschlitzten
Kehlen aus Massengräbern im Kosovo.
Die von den deutschen Kameraden, die
in Afghanistan starben, als ihr Hubschrau-
ber abstürzte.
»In solchen Momenten spüre ich mich«,
sagt Armin Harzer.
Wenn er sich spürt, geht es ihm
kurz besser. Das Ritzen und die Fo-
tos, sie übertünchen den Seelen-
schmerz. Weil er wieder dort ist, wo
er sich auskennt: im Einsatz. Wo er
Menschen getötet hat, gefallene Ka-
meraden sah, Verwesung roch. Heu-
te noch zittert seine Stimme, wenn
er davon erzählt. Harzer geht es
schlecht, seit zehn Jahren schon.
Im Bundeswehrkrankenhaus Ber-
lin hockt Kapitänleutnant Jörg
Beckers vor einem blinkenden Ge-
rät, er soll dem Licht mit den Augen
folgen; seine Augen fixieren die
Leuchtdioden. Auch er leidet an den
Bildern im Kopf, den Erinnerungen.
Ihm hilft die Therapie.
Beckers und Harzer kennen sich
nicht, sie waren beide Soldaten im
Auslandseinsatz. Und beide leiden
an einer psychischen Störung nach
belastenden Kriegsereignissen, wer-
den jeweils weiterbeschäftigt bei der
Bundeswehr, in Jobs, die ihnen nicht
mehr wehtun sollen. Beide Männer
haben für den SPIEGELihre Ärzte
von der Schweigepflicht entbunden.
Beckers ist dabei, sein Trauma ab-
zuschütteln, Harzer wird es nicht los.
Wohl keine Kriegsverletzung ist
so schwer zu behandeln wie dieses
Seelenleid: die posttraumatische
Belastungsstörung, PTBS. Sie kann
Menschen befallen, die Schreck -
liches erlebt haben. Das ist oft der
Fall bei Soldaten, die Todesangst


fühlten. Und vielen von ihnen bringen
auch die besten Therapien kaum Linde-
rung.
Der Bund Deutscher Einsatzveteranen
geht davon aus, dass die Hälfte der Ein-
satzheimkehrer mindestens ein potenziell
traumatisierendes Ereignis erlebt haben,
einige davon entwickeln eine PTBS. Laut
Bundeswehr war dies bei zwei Prozent der
2009 im Rahmen der ISAF-Mission in Af-
ghanistan eingesetzten Truppen der Fall.
Nicht alle nehmen medizinische Hilfe in
Anspruch.
Mehr als 1300 PTBS-Neuerkrankungen
zählte die Bundeswehr zwischen 2011 und
2017 – davor gab es noch keine Statistik.
Niemand weiß, wie viele Soldaten das
Trauma irgendwann hinter sich lassen. Für

eine vollständige Heilung gebe es keine
»belastbaren Kriterien in der wissenschaft-
lichen Literatur«, heißt es bei der Bundes-
wehr, daher fehle das Datenmaterial.
Und wie viele Betroffene werden die
Dämonen nicht mehr los, bleiben chro-
nisch traumatisiert? Auch darüber gibt es
keine guten Zahlen. Klar ist nur, wie viele
der erkrankten Soldaten in den vergange-
nen zehn Jahren ihrer Seelenqual selbst
ein Ende machten, auf die rigorose Art:
Fünf Menschen brachten sich um. Wobei
»Suizide nach Entlassung aus dem Dienst
nicht erfasst werden«, heißt es bei der Bun-
deswehr.
Laut einer Studie der Bundeswehr aus
dem Jahr 2013 erkranken Einsatzsoldaten
deutlich häufiger an einer PTBS als ihre
Kameraden, die nie in einen Einsatz
geschickt wurden, sie haben auch öf-
ter Angststörungen wie Agorapho-
bie (»Platzangst«), sie rauchen und
trinken mehr als Zivilisten.
Viele Betroffene erleiden Flash -
backs und Albträume, sie schlafen
generell schlecht, sind reizbar und
aggressiv, können sich nur schwer
konzentrieren, innere Unruhe und
Ängste treiben sie um. Schwermut
befällt die Erkrankten, bis hin zur
Depression.
Wer an einer PTBS leidet, dem
kann es passieren, dass ihn das nor-
male Leben überfordert. Auch wenn
es so beschaulich daherkommt wie
Armin Harzers Welt: ein Dorf mit
schieferbeschlagenen Hausfassaden,
mit Viehweiden und Kopfstein -
pflaster. Ex-Fallschirmjäger Harzer
heißt eigentlich anders, und auch
sein Wohnort soll hier nicht genannt
werden. Er muss sich schützen; es
darf nicht noch schlimmer kommen
für ihn.
Harzer, 56, ist der Typ Mensch,
den man spät bemerkt, wenn über-
haupt, so still und ruhig bewegt er
sich; kurz nur schaut er auf, wenn
er spricht. Dann klingt er meist an-
gespannt.
Die kommende Nacht wird hart
für ihn, das weiß Harzer. Wenn er
viel über das Erlebte und die PTBS
redet, kommen die Monster, dann
wacht er schreiend auf, schlägt um

Wissenschaft

DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019 93


Bordschütze Harzer in Dubrovnik 1997
»Da hältst du auf alles drauf, was sich bewegt«

Tiefe Wunden

PsychiatrieDer eine Mann hat Menschen getötet und kommt nicht darüber hinweg. Der
andere glaubt, er sei schuld am Tod von Kameraden. Beide waren Soldaten im

Auslandseinsatz, nun wüten Dämonen in ihrer Seele. Wie wird man ein schweres Trauma los?

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