Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1

Was bei Beckers so gut wirkt, ist Gift für
Armin Harzer. Als die Ärzte ihn zum ersten
Mal einer EMDR unterziehen wollten,
habe er Flashbacks und Panik bekommen,
erzählt Harzer. Es heißt, die Methode sollte
erst nach einer »Stabilisierungsphase« an-
gewendet werden. Weil es zu viel sein kann,
die Dämonen zu wecken. Bloß dauert diese
Stabilisierungsphase bei Harzer schon zehn
Jahre. So richtig geholfen habe ihm bislang
keine einzige Behandlung, sagt er.


Harzer versuchte es anders, mit tiefen-
psychologischem Ansatz, kramte seine
Kindheit aus den Erinnerungen hervor,
sprach mit Therapeuten über seine Zeit
als Heimkind und über sein späteres Le-
ben in einer Pflegefamilie. Ein Aufwach-
sen mit wenig Liebe.
»Je traumatischer die Kindheit, desto
größer das Risiko, später nach einem trau-
matischen Erlebnis eine PTBS zu entwi-
ckeln«, sagt Mediziner Zimmermann.

Die Stimulation durch die geleiteten
Augenbewegung bei EMDR führt zu
einer Aktivierung beider Gehirnhälften.
Es ist nicht genau bekannt, warum das
hilft; Forscher wissen nicht alles über die
Vorgänge, die eine PTBS in Körper und
Geist auslöst.
Studien kommen zu dem Ergebnis, dass
Erkrankte erhöhte Spiegel der Stoffe Do-
pamin und Noradrenalin aufweisen, die
sich auf Angstkonditionierung und Angst-
gedächtnis auswirken können. Die Anpas-
sungsfähigkeit der Herzfrequenz ist bei
PTBS-Kranken beeinträchtigt, das Organ
schlägt wie eine Maschine, bubumm, bu-
bumm, bubumm. Es variiert nicht mehr
so wie bei gesunden Menschen.
Der wichtigste hemmende Botenstoff
im Gehirn, Gamma-Aminobuttersäure,
und Glutamat, ein erregender Botenstoff,
sind nicht mehr austariert. Oft geht eine
PTBS mit anderen psychischen Erkran -
kungen oder Symptomen einher, man
spricht von »comorbid auftretenden
Krankheitsbildern«.
Armin Harzer steht vor seinem Haus.
Er streicht den Zaun leuchtend blau.
Drinnen will er ein neues Bad einbauen,
überall renovieren. Für ihn sei es am bes-
ten, wenn er sich am Tag körperlich so
»kaputtmacht«, dass er abends müde ins
Bett falle. Nur dann schlafe er einiger -
maßen.
Er wisse, erzählt Harzer, wie man im
Wald überlebt. Wie man aus ein paar glü-
henden Kohlen und einer Schaufel im Win-
ter »eine warme Nacht« machen kann.
Wie man schießt.
Einem seiner Kinder ein Küsschen zu
geben, das fällt ihm schwer. Zärtlichkeiten
können sich anfühlen wie Hiebe, Umar-
mungen die Luft abschnüren wie eine zu
eng geratene schusssichere Weste.
Einige Betroffene verlässt die Libido,
andere wirken im Umgang gefühlskalt.
Harzer schreibt seit Jahren an seiner Le-
bensgeschichte. Darin heißt es unter dem
Bild eines getöteten Afghanen – er sagt,
er sei dabei gewesen, als es aufgenommen
wurde –: »So ist nun mal die Realität im
Krieg. Oft sehen auch unsere Kameraden
so aus!«
Man kann sich auch im Frieden verfolgt
fühlen, Harzer geht das so. Er sei sicher,
sagt er, dass sein Telefon überwacht wurde.
Und da sei ein Mann im dunklen Kombi,
der ihn und seine Familie beschatte. »Un-
ter meinem Auto hing schon ein Paket mit
anderthalb Kilo Sprengstoff«, berichtet er,
fast flüsternd. Außerdem verschwänden
immer wieder Dokumente aus seiner
Krankenakte.
Das lässt sich nicht überprüfen oder be-
legen. Seine Psychotherapeutin hält die
Aussagen für glaubhaft.
Harzers Freundin liest alles über PTBS,
was sie zu sehen bekommt. Sie klagt darü-

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NORA KLEIN / DER SPIEGEL
Familie Beckers: »Tu was, oder ich gehe«
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