Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1
ber, dass Partner und Kinder der Soldaten
von der Bundeswehr schlecht einbezogen
würden bei der Therapie.
Immerhin gibt es inzwischen ein Co -
mic büchlein der Bundeswehr mit dem
eigentümlich niedlichen Titel »Schattige
Plätzchen – Mein Papa hat PTBS!«, das
Kindern die Krankheit erklärt. Darin be-
schreibt ein kleiner Junge, wie sein Vater
stundenlang vor dem ausgeschalteten
Fernseher hockt.
Weil Psychotherapien so wenig wirken
bei Armin Harzer, nimmt er Medikamente.
Fürs Gemüt Antidepressiva, ein Schlafmit-
tel für die Nacht, früher auch das Ben-
zodiazepin Tavor gegen die Angst. Tavor
macht abhängig, Harzer nahm manchmal
fünf Milligramm am Tag, doppelt so viel
wie die empfohlene Tagesdosis.
Er hat inzwischen eine neue, zivile Psy-
chotherapeutin, die »solche asiatischen
Sachen« macht, erzählt Harzer. Die Frau
ist Ärztin, arbeitet aber auch alternativ-
medizinisch: mit Kinesiologie, einer Me-
thode, die den Zusammenhang von Kör-
per, Geist und Seele bei der Entstehung
und Behandlung von Krankheiten betont.

Es gibt keine qualitativ hochwertigen Stu-
dien, die belegen, dass Kinesiologie funk-
tioniert, und das ist auch kein Geheimnis,
aber was soll Harzer machen, es hilft ja
nichts.
Jetzt sitzt Harzer der Kinesiologin ge-
genüber; er soll mit den Händen bestimm-
te Punkte auf seinem Körper berühren, im
Gesicht, seinen Scheitel, die Brust. Dabei
wiederholt er immer wieder den Satz: »Ich
bin okay, so wie ich bin.«
Seine Psychotherapeutin sagt, dass
bei Harzer das Trauma in Afghanistan zu
seiner schweren Kindheit dazukomme
und dass er es deshalb so schwer habe,
mit seinen Aggressionen umzugehen. Da-
rüber ausführlich zu reden tue ihm nicht
gut.
Jörg Beckers nimmt derzeit nur ein
Schlafmedikament, keine Antidepressiva.
»Ich komme ohne besser klar«, sagt er, wie-
der zurück aus Berlin, in seinem Wohn-
zimmer mit der rot getünchten Wand, der
blumig weißen Ikea-Kugelleuchte und
dem Ikea-Wandbild von der Hängebrücke
im Nebel. Beckers’ Frau Anke sagt: »Man
merkt zwar, wie sehr ihn die Therapie be-
ansprucht, aber die Kurve zeigt klar nach
oben.«
Beckers hat den Wald direkt hinterm
Haus. Er geht oft mit dem Mountainbike


auf Tour. Mit seinen beiden Töchtern,
14 und 12 Jahre alt, versteht er sich wieder
gut.
Am Abend sitzen die Beckersens im
Restaurant. Vater und Töchter necken sich.
Die 14-Jährige, Maja, ist demnächst ein
Jahr mit ihrem Freund zusammen, als Ge-
schenk für ihn hat sie Karten für ein Kon-
zert besorgt. Gangsta-Rap.
Beckers wird Tochter und Freund be-
gleiten. »Die Musik ist nicht ganz mein
Geschmack, aber so was gehört zum Vater -
sein dazu«, sagt er, er lächelt, es geht ihm
gut an diesem Abend, in dieser Familie.
Ein paar Monate später ist Schluss mit
Majas Freund. Sie leidet an Angstzustän-
den, kann nicht mehr in die Schule gehen.
Ständig befürchtet das Mädchen, dass ihm
oder seinen Angehörigen etwas passiert,
dass sie eine schlimme Krankheit haben
könnten.
Jörg Beckers ist überzeugt, dass seine
PTBS ein Auslöser für Majas Zustand ist;
die Therapeutin, die seine Tochter be -
handelt, glaubt das auch. »Es dauert Mo-
nate, bis man einen stationären Platz an
einer Klinik für sein Kind bekommt«, sagt
Beckers.
Die Bundeswehr kümmert sich um ihre
traumatisierten Soldaten, aber was, wenn
Ehefrauen, Söhne, Töchter in den Strudel
des Leids geraten? »Die Familien leiden
sehr oft mit. Deshalb brauchen sie Betreu-
ung«, sagt Bundeswehrarzt Zimmermann.
»Und es besteht mehr Bedarf für Ange -
hörige.«
Das nächste Treffen mit Armin Harzer
fällt in eine Behandlungsphase am Bundes -
wehrkrankenhaus Hamburg. Harzer sitzt
im Feuervogel, einem Restaurant im Stadt-
teil Wandsbek, Mitpatienten haben es ihm
empfohlen. So richtig Appetit hat Harzer
aber seit Jahren nicht. »Es gibt eigentlich
nichts mehr, was an mir normal funktio-
niert«, sagt er. »Wenn ich könnte, würde
ich zurück nach Afghanistan. Aber dafür
bin ich zu krank.«
Nach dem Mittagessen geht Harzer in
ein Einkaufszentrum. Viele Menschen mit
kreuzenden Laufwegen. Viele Geräusche.
Eigentlich wollte Harzer nur ein Eis
essen, irgendwas Süßes, aber gerade über-
fordert ihn alles. Harzer dreht sich nach
allen Seiten um, geht hierhin, dorthin,
dreht wieder um. Findet beim Sprechen
nicht den Satz, der ihn jetzt da rausholen
könnte.
Er sagt, er wolle im Einkaufszentrum
bleiben. Ist aber sichtlich froh, als er nach
einem Milchshake wieder draußen auf
dem Bordstein steht, dort, wo mehr Luft
zum Atmen und mehr Platz zum Gehen
ist.
Morgen fährt er nach Hause. Harzer
sagt, er freue sich auf seine Familie.
Christoph Wöhrle

C


himären sind Monster: lüsterne Zen-
tauren, Werwölfe mit glühenden Au-
gen, Medusen mit züngelndem Haar.
Kein Wunder, dass da die jüngste Nach-
richt aus Japan Unbehagen auslöst: Der
Stammzellforscher Hiromitsu Nakauchi
wird dort Chimären aus Mensch und Tier
erschaffen dürfen. Manch einer sieht da
einen modernen Frankenstein am Werk.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauter-
bach spricht von einem »klaren ethischen
Megaverstoß«. Ist die Angst berechtigt?
Zunächst: Die Herstellung von Misch-
wesen ist eigentlich nichts Ungewöhnli-
ches. Jeder Obstbauer, der ein Birnenreis
auf einen Apfelbaum pfropft, erschafft,
biologisch betrachtet, eine Chimäre. Doch
was die Natur bei Pflanzen zulässt, dem
verweigert sie sich bei Tieren. Das Gewebe
einer Spezies wird vom Immunsystem der
anderen abgestoßen.
Aber es gibt Wege, die Hindernisse zu
überwinden. So zählt die Herstellung soge-
nannter transgener Mäuse in den Biolaboren
zu den Routineverfahren. Als Zwischen-
schritt werden dabei oft die Zellen zweier
genetisch verschiedener Tiere zu einem Em-
bryo verschmolzen. Ein Immunsystem gibt

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Wer kümmert sich, wenn
Ehefrauen, Söhne,
Töchter in den Strudel
des Leids geraten?

Mensch im


Tier


BiotechnikEin Wissenschaftler
will Schweine mit menschlichen
Bauchspeicheldrüsen erschaffen.
Chimären machen Angst – dabei
gehören sie zum Alltag im Labor.

TIMOTHY ARCHIBALD

Stammzellforscher Nakauchi
Leid von Diabeteskranken lindern
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