Der Spiegel - 03.08.2019

(Nora) #1
Gabrysch, 43, hat seit Juni Deutschlands
erste und einzige Professur für Klimawan-
del und Gesundheit inne. Sie arbeitet an
der Berliner Charité und am Potsdam-
Institut für Klimafolgenforschung.

SPIEGEL:Frau Professor Gabrysch, wie
ungesund ist der Klimawandel?
Gabrysch:Die britische Medizin-Fachzeit-
schrift »The Lancet« hat es so formuliert:
»Der Klimawandel ist die größte Bedrohung
für die globale Gesundheit des 21. Jahrhun-
derts.« Dem schließe ich mich an. Leider ist
die Schwere dieser Diagnose noch nicht rich-
tig verstanden worden in der Gesellschaft.
Die Klimakrise ist ein Thema, das erste Prio-
rität haben muss. Wir haben es hier
nicht mit einer leichten Grippe zu
tun, wie manche vielleicht mei-
nen, sondern mit einem plane-
taren medizinischen Notfall.
SPIEGEL:Welche Gesundheits-
folgen sehen Sie für Menschen
in Deutschland?
Gabrysch:Bei den künftig häufi-
geren Hitzewellen kann es zu Flüssig-
keitsmangel und Hitzschlag kommen, und
insbesondere für Ältere und chronisch
Kranke kann die Hitze lebensgefährlich
werden. Laut Robert Koch-Institut hat der
sogenannte Jahrhundertsommer von 2018
allein in Berlin rund 490 Menschenleben
gefordert.
SPIEGEL:Ist die Hitze das einzige Pro-
blem?
Gabrysch:Keineswegs. Durch die Erwär-
mung erhöht sich indirekt die Konzentra-
tion von Luftschadstoffen, und die Pollen-
saison verlängert sich, was Asthmatiker
und Allergiker belastet. Waldbrände, Dür-
ren und Überschwemmungen haben
natürlich auch negative gesundheit-
liche Auswirkungen. Insgesamt aber
kommen wir in Deutschland mit der
Hitze wahrscheinlich noch irgend-
wie klar, wenn wir uns als Gesell-
schaft gut organisieren. Das ist in an-
deren Ländern ganz anders.
SPIEGEL:Nämlich?
Gabrysch:In manchen Gegenden
Südasiens, etwa in Indien, ist es jetzt
schon oft so heiß, dass man da tags-
über kaum noch rauskann. Und die
Zahl dieser extrem heißen Tage wird
dort wegen des Klimawandels zu-
nehmen. Das verursacht enorme
Probleme, auch für die Arbeitspro-
duktivität, zum Beispiel in Landwirt-


schaft und Baugewerbe. Außerdem ist die
Ernährungssicherheit in Gefahr.
SPIEGEL:Weil ganze Ernten ausfallen kön-
nen?
Gabrysch:Die Landwirtschaft ist davon ab-
hängig, dass die Wetterbedingungen vorher-
sehbar sind. Durch den Klimawandel haben
wir es aber häufiger mit Extremwetter zu
tun, mal kommt der Regen zu früh, mal zu
spät, mal regnet es zu viel, mal zu wenig.
Und wenn die Ernten nicht mehr sicher sind,
leiden darunter vor allem die Armen und
insbesondere die Kinder. Unterernährung
in der frühen Kindheit hat massive gesund-
heitliche Folgen. Der Klimawandel ver-
schärft die weltweite Ungerechtigkeit, denn
jene, die am wenigsten beigetragen
haben zum Ausstoß von Treib-
hausgasen, werden am stärksten
von den Folgen getroffen.
SPIEGEL:Welche Temperatur
kann ein Mensch noch aus -
halten?
Gabrysch:Das ist sehr verschie-
den. In London nimmt die Sterb-
lichkeit schon bei geringeren Tempe-
raturen zu als in Delhi. Menschen können
sich an höhere Temperaturen gewöhnen,
aber es gibt physiologische Grenzen. Die
Körperkerntemperatur soll ja bei 37 Grad
bleiben. Spätestens wenn die Umgebungs-
temperatur darüber liegt, muss der Körper
schwitzen, um sich abzukühlen. Der
Schweiß verdunstet und kühlt aber nur,
wenn die Luftfeuchtigkeit nicht zu hoch
ist. Auch als gesunder Mensch kann man
deswegen ab einer gewissen Temperatur
und Luftfeuchtigkeit nicht lange draußen
bleiben, geschweige denn körperliche Ar-
beit leisten, ohne bald zu kollabieren.

SPIEGEL:Welche weiteren Gesundheits-
folgen bringen Sie mit dem Klimawandel
in Verbindung?
Gabrysch:Unsere Gesundheit hängt von
einer stabilen Umwelt, von einem gesun-
den Planeten ab. Als Menschen brauchen
wir saubere Luft, sauberes Wasser, gesun-
de Nahrung. Das haben jetzt schon nicht
alle, und durch den Klimawandel wird die-
ser Mangel verschärft. Wenn Ernten aus-
bleiben, drohen Millionen Menschen Hun-
ger und Unterernährung. Die Moskitos,
die Malaria übertragen, verändern ihre
Brutgebiete. Es gibt auch psychische Fol-
gen; wer sein Haus hat wegschwimmen se-
hen, ist davon vermutlich langfristig trau-
matisiert. Die sozialen Konsequenzen kön-
nen noch gravierender sein. Wenn Wasser
oder Nahrung knapp werden, dann be-
günstigt das Verteilungskonflikte bis hin
zu kriegerischen Auseinandersetzungen.
Gesundheitssysteme können versagen,
Epidemien ausbrechen. Die Klimakrise
könnte außerdem eine neue Dimension
von Flüchtlingsbewegungen bringen.
SPIEGEL:Wie wollen Sie diese Krise lin-
dern helfen?
Gabrysch:Ich will mich jedenfalls nicht
nur mit den furchtbaren Auswirkungen
des Klimawandels auf die Gesundheit be-
fassen. Ich will auch zu Lösungen forschen.
Und da sehe ich, vielleicht zu Ihrer Über-
raschung, durchaus Grund zur Hoffnung.
Die Maßnahmen, mit denen wir die Kli-
makrise bewältigen können, lösen nämlich
gleichzeitig eine ganze Reihe von anderen
Gesundheitsproblemen.
SPIEGEL:Zum Beispiel?
Gabrysch:Wenn wir unsere Städte fahr-
rad- und fußgängerfreundlicher machen,
mit mehr Grünflächen und gutem
Nahverkehr, blasen wir nicht nur
weniger CO
²
in die Atmosphäre.
Wir haben gleichzeitig sauberere
Luft, bewegen uns mehr, haben
weniger Atemwegserkrankungen,
weniger Übergewicht, weniger Dia-
betes und Herzkreislaufkrankhei-
ten. Wenn wir die ökologische
Landwirtschaft fördern und den
Überkonsum von Fleisch reduzie-
ren, profitieren davon Menschen,
Tiere und die Umwelt. All das ist
eine Riesenherausforderung, aber
auch eine Riesenchance. Für Klima
und Gesundheit gilt: Prävention
ist besser und viel günstiger als
Therapie.

Wissenschaft

98 DER SPIEGEL Nr. 32 / 3. 8. 2019

»Jeder kann etwas ändern«


KlimaHitzetote, Hungernde, Flutopfer – die Epidemiologin Sabine Gabrysch warnt vor drastischen
Auswirkungen der Erderwärmung. Aber noch könne die Menschheit umsteuern.

JOCHEN SAND
Medizinerin Gabrysch
»Für Ältere kann die Hitze lebensgefährlich sein«

490
Hitzetote
gab es allein in Berlin
im Sommer 2018
Schätzung des
Robert Koch-Instituts
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