Deutsch Perfekt - 10.2019

(Romina) #1

Illustration: Andril Olynik/iStock.com


Das Wort
Tschüss ist bei
vielen Münche-
nern tabu – sie
sagen lieber
Pfiat di.

Ein typisches bairisches Wort dafür wäre
aber das Schalerl. Münchenerisch ist also
eine Form des Bairischen, die besonders
nah am Hochdeutschen ist.
Dem Münchener Dialekt geht es aber
nicht gut. Nur noch wenige, vor allem äl-
tere Leute sprechen ihn „Ohne wirklich
effektive Anstrengungen ist die Gefahr
groß, dass der Dialekt in den nächsten
20 bis 50 Jahren ausstirbt“, warnt Horst
Münzinger. Der Vorsitzende des Förder-
vereins Bairische Sprache und Dialekte
tut viel dafür, dass die Münchener Dialekt
sprechen. „Wir haben vor drei Jahren be-
gonnen, in Kindergärten und Schulen in
München Bairischkurse anzubieten. Aber
das ist nur ein Tropfen auf dem heißen
Stein“, sagt er. Sprachwissen-
schaftler Rowley ist positiver:
„In München leben noch jede
Menge Leute, die den bairi-
schen Dialekt sprechen“, sagt
er. Aber auch er gibt zu: „Trotz-
dem sind sie in der Minderheit.
Durch Zuzug und durch den
Sprachwechsel der jungen Ge-
neration gibt es enorm viele Menschen,
die Standarddeutsch sprechen.“
Für Menschen, die aus dem Ausland
oder aus anderen Teilen Deutschlands
nach München kommen, ist das natürlich
praktisch. „Wenn alle nur reines Bairisch
sprechen würden, würde ich wahrschein-
lich nicht hier wohnen“, sagt Raida. Es ist
für Besucher der Stadt außerdem einfa-
cher, wenn auf der Speisekarte Brötchen
statt Semmel oder Reibekuchen statt Reiber-
datschi steht.
Trotzdem finden es Experten schade,
dass der Dialekt langsam verschwindet.
„Wenn man in der bayerischen Landes-
hauptstadt keine bairische Sprache mehr
hört, gibt es nur noch weiß-blaue Kli-
schees“, erklärt Münzinger. „Es ist ein gro-
ßer Kulturverlust, wenn niemand mehr
Dialekt spricht. Da geht eine 1500 Jahre
alte Tradition verloren“, sagt auch Rowley.
Laut Münzinger wurde und wird das
Münchenerische in den Schulen und
Kindergärten sogar diskriminiert. „Kinder
sollen dort Standarddeutsch sprechen.
Lehrer verbessern sie, wenn sie Dialekt
benutzen. Es ist zum Beispiel ein Fehler,

wenn sie der Butter und nicht die Butter
schreiben oder sagen. Aber der Butter ist
im Bairischen korrekt“, erzählt er.
Deshalb möchte Münzinger, dass der
Staat etwas für den Dialekt tut: „Klare An-
sagen und Druck müssen von der Politik
kommen“, sagt er. Rowley glaubt dagegen
nicht, dass Politiker einen großen Unter-
schied machen können. Viel wichtiger ist
es seiner Meinung nach, welches Prestige
ein Dialekt hat. „Solange Münchener eine
bayerische Identität haben und stolz sind,
Bayern zu sein, solange werden wichtige
Merkmale des Dialekts bleiben. Deshalb
bin ich insgesamt optimistisch“, sagt er.
Der bairische Dialekt hat in Deutsch-
land auch einen guten Ruf – laut Um-
fragen ist er die populärste
Mundart zwischen Alpen und
Nordsee. 26 Prozent der Deut-
schen sagen, dass Bairisch ihr
Lieblingsdialekt ist. Auch fürs
Flirten kann es gut sein, Mün-
chener Dialekt zu sprechen:
Für 42 Prozent der Deutschen
ist Bairisch am sexyesten.
Denn das bairische „I mog di“ klingt für
viele einfach schöner als das standard-
deutsche „Ich mag dich“.
Matthias Reck wohnt fast sein ganzes
Leben in München. Heute spricht der
32-Jährige den Dialekt. Aber als Kind war
das anders: „Ab dem Kindergarten habe
ich nicht mehr Bairisch geredet, weil ich
von Lehrern und Mitschülern beeinflusst
wurde. Später im Beruf ist der Dialekt
aber zurückgekommen“, erzählt er. Schon
seine Eltern sprachen Münchenerisch. Es
war ihnen aber nicht sehr wichtig, dass
ihre Kinder es können.
Heute hat Reck selbst zwei kleine
Kinder. „Ich finde es wichtig, dass sie den
Dialekt wenigstens verstehen. Ob sie ihn
sprechen oder nicht, ist dann ihre eigene
Sache.“ Trotzdem passt der Vater auf, dass
sie bestimmte bairische Wörter benutzen.
„Ich sage zu meiner Tochter öfter bewusst
Pfiat di und möchte, dass sie es wiederholt.
Das Wort Tschüss war nämlich auch schon
bei meinen Eltern tabu.“ Das Münchene-
rische könnte also noch eine Chance ha-
ben. Dass es bald verschwinden wird, ist
noch nicht sicher. Guillaume Horst

nah
, L weit weg

die [nstrengung, -en
, hier: Aktion: Dafür
braucht man Ressourcen.
Man will mit ihr einen spezi-
ellen Effekt erreichen.

aussterben
, hier: (bald) keine
Sprecher mehr haben

w„rnen
, hier: sagen, dass etwas
Unangenehmes passieren
wird

der Vorsitzende, -n
, Person, die einen Verein
oder ein Meeting leitet

der Fœrderverein Bairische
Sprache ¢nd Dial¡kte
, Verein mit dem Ziel,
die Bairische Sprache zu
pflegen und zu helfen, dass
sie viele Sprecher hat

(pflegen
, hier: oft sprechen, damit
etwas bleibt)

der Tr¶pfen auf dem
heißen Stein
, m Sache, von der es
viel zu wenig gibt, und die
deshalb auch keinen großen
Effekt hat

jede M¡nge
, m sehr viele

zugeben
, hier: ehrlich sagen

“n der M“nderheit sein
, hier: ≈ weniger sein
(als der andere Teil vom
Ganzen)

der Zuzug
, von: zuziehen ≈ hier:
neu an einen Ort kommen,
um dort zu leben

die Generation, -en
, hier: alle Menschen, die
ungefähr gleich alt sind

en¶rm
, hier: ≈ sehr; extrem

rein
, hier: ≈ nur; nichts
anderes als

der Reibekuchen, -
, flache, runde Kartof-
fel-Ei-Mischung, die in Fett
gebraten wird

(das F¡tt
, hier: organische Sub-
stanz, z. B. Öl, Butter ...)

verschw“nden
, hier: nicht mehr da sein;
aufhören zu existieren

weiß-blau
, Landesfarben von
Bayern; hier: m so, dass
man nur Aspekte meint, die
es in München fast nicht
mehr gibt

der Kulturverlust, -e
, ≈ Verlieren von einem
wichtigen Teil der Kultur

verloren gehen
, hier: aufhören, da zu
sein

sogar
, ≈ auch

die [nsage, -n
, hier: Absicht, etwas für
den Dialekt zu tun

der Dr¢ck
, hier: Aktionen, mit
denen man erreichen will,
dass etwas getan wird

dagegen
, hier: aber

seiner Meinung nach
, ≈ wie er meint

sol„nge ..., sol„nge
, hier: ≈ wenn (noch) ...,
dann ...

das M¡rkmal, -e
, spezielles Charakte-
ristikum

der Ruf
, hier: öffentliche
Meinung über eine Sache
oder Person

laut }mfragen
, wie Umfragen gezeigt
haben

die M¢ndart, -en
, ≈ Dialekt

kl“ngen
, hier: ≈ zu hören sein;
einen Effekt haben

... beeinflussen , ≈ einen
Effekt haben auf ...

(Das) “st ihre eigene
S„che.
, (Das) sollen sie selbst
entscheiden.

œfter
, ≈ manchmal; immer
wieder

bew¢sst
, hier: gut überlegt;
gewollt

Deutsch perfekt 10 / 2019 SPRACHFEATURE 41
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