Deutsch Perfekt - 10.2019

(Romina) #1
Foto: bpk/Bayerische Staatsbibliothek

Fotos:


Der junge König
spart an allem,
auch bei sich.
Aber an einem
spart er nie:
an der Kunst.

Deutsch perfekt 10 / 2019

den folgenden Jahren wird er immer wie-
der nach Rom fahren, wo er eine eigene
Villa kauft und viele Künstler mit Geld
unterstützt.
Für München hat Ludwigs Enthusi-
asmus enorme Konsequenzen. Schon
als Kronprinz ist er ständiger Gast in der
Lokalbaukommission – und er nimmt
Einfluss. Ludwig will der Haupt- und Re-
sidenzstadt des jungen Königreiches ita-
lienisches Flair geben. Er stoppt manche
Pläne des Baumeisters seines Vaters, Carl
von Fischer, und lässt lieber seinen Privat-
architekten, Leo von Klenze, planen. 1816
beginnen die Bauarbeiten für das erste
Gebäude am neu konstruierten Königs-
platz auf Basis von Klenzes Plänen: die
Glyptothek, ein Museum für
antike Skulpturen.
Als Ludwig nach dem Tod
seines Vaters im Oktober 1825
im Alter von 39 Jahren König
wird, hat Bayern hohe Schul-
den. Der neue König startet
ein absolutes Sparprogramm:
Stellen werden gestrichen, die
Administration reformiert. Die Gehälter
seiner Minister reduziert er um 40 Pro-
zent. Auch bei sich selbst spart er. Ludwig
ist extrem geizig. Seine Hofküche ist be-
kannt als die schlechteste in Europa. Sei-
ne Kleidung ist einfach bis schäbig – man
sagt, dass er 60 Jahre lang den gleichen
Morgenmantel trägt. Seine Frau Therese
beschwert sich bei ihren Freundinnen
darüber, dass sie schon in der Mitte des
Monats kaum noch Geld übrig hat.
Aber an einem spart der König nie: an
der Kunst. Er sammelt und baut – von al-
lem nur das Beste. Seine Agenten reisen
viel in Europa, um Objekte für Ludwigs
Sammlungen zu finden: antike Vasen und
Skulpturen, altdeutsche Malerei, zeitge-
nössische Kunst. Für seine Sammlungen
plant er neue Museen. Nach der Glypto-
thek eröffnet 1836 die Alte Pinakothek,
dazu 1848 noch ein Museum am Königs-
platz (heute die Staatliche Antikensamm-
lung). Und er plant die Neue Pinakothek
für zeitgenössische Kunst.
Bei den Münchenern hat Ludwig mit
seinen Projekten wenig Erfolg. Seine
Museumsgebäude finden die meisten zu

monumental – die Alte Pinakothek ist 127
Meter lang und 37 Meter breit. Und viele
verstehen nicht, warum er die Pinakothe-
ken in der Maxvorstadt bauen lässt und
nicht im Zentrum. Die Maxvorstadt ist
zu dieser Zeit noch ein Ort am Stadtrand
mit wenigen Einwohnern. Aber Ludwig
erkennt das Potenzial: Die Grundstücke
dort sind billiger – und es gibt viel Platz.
Denn Ludwig liebt nicht nur die Kunst.
Er hat auch ein politisches Programm:
Kunst und Kultur sind seine Mittel, um
Bayern in Europa zu einer wichtigen Grö-
ße zu machen. Der König weiß, dass er po-
litisch, militärisch und ökonomisch nicht
mit Großmächten wie Österreich und
Preußen konkurrieren kann. Die Kunst
ist seine Nische – und das soll
man im Stadtbild sehen.
Sein vielleicht wichtigs-
tes Projekt ist die Straße, die
heute seinen Namen trägt:
die Ludwigstraße zwischen
Odeonsplatz und Schwabing.
Zu seiner Zeit ist dort eine ein-
fache Landstraße. Ludwig will
einen Boulevard – und lässt ihn bauen,
mit prächtigen Palästen und italienisch
inspirierten Fontänen. Weil sich die Bür-
ger wenig für die neuen Gebäude interes-
sieren, holt Ludwig staatliche Institutio-
nen wie die Universität dorthin.
Neben der Liebe zur Kunst verliert
Ludwig aber auch die Liebe zu den Frau-
en nie. Obwohl er mit seiner Frau Therese
neun Kinder bekommt, hat er ständig Af-
fären. 1846 kommt die irische Tänzerin
Elisabeth Rosanna Gilbert nach Mün-
chen. Sie gibt sich als Spanierin aus und
nennt sich Lola Montez. Ludwig, inzwi-
schen 60, verliebt sich in die junge Frau.
Er gibt ihr viel Geld, und hilft ihr immer
wieder, wenn sie Ärger mit der Polizei
oder anderen Bürgern hat. Bald ist die
Geduld der Münchener zu Ende. Die
Märzrevolution macht Ludwigs Lage
nicht einfacher (siehe Deutsch perfekt
3/2018). Im März 1848 dankt er ab; neuer
König wird Maximilian II., sein Sohn.
Seine Bauprojekte setzt Ludwig als
Privatmann fort. Die Neue Pinakothek
finanziert er selbst. So prägt er München
wie kein anderer. Barbara Kerbel

GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE 63

e1848 bauen die Leute des Königs
dieses Museumsgebäude, in dem heute
die Staatliche Antikensammlung ist.

stændig
, hier: ≈ immer (wieder);
oft

die Lokalbaukommission,
-nen
, Gruppe zur Beratung
über die Bauprojekte eines
Orts

Einfluss nehmen
, hier: ≈ Kontrolle haben

das Königreich, -e
, ≈ (großes) Land, in dem
ein König regiert

das/der Flair franz.
, ≈ Umgebung, die auf das
Gefühl und die Laune wirkt

der Baumeister, -
, früher Name für die
Person, die ein großes
Gebäude baute

die Sch¢lden Pl.
, Geld, das man von einer
Person oder einer Bank
geliehen hat

streichen
, hier: ≈ wegmachen

geizig
, so, dass man extrem
spart / wenig abgibt

die Hofküche, -n
, hier: Gerichte, die
den Aristokraten serviert
werden

... b“s ...
, hier: manchmal ..., und
auch ...

schäbig
, alt und kaputt

die Malerei
, Malen als Kunstform

zeitgenössisch
, hier: zu dieser Zeit
aktuell

erœffnen
, zum ersten Mal öffnen

die Antikensammlung, -en
, Museum mit Kunstge-
genständen aus der Antike

die M„xvorstadt
, heute Stadtteil von
München

der St„dtrand, ¿er
, L Stadtzentrum

erk¡nnen
, hier: verstehen

die Größe, -n
, hier: wichtiger Staat

militärisch
, hier: mit seiner Armee

die Großmacht, ¿e
, ≈ Staat, der innerhalb
einer Region starke
politische Kontrolle und
Dominanz hat

Preußen
, früher einer der deut-
schen Staaten

konkurrieren kœnnen m“t
, ähnlich stark sein wie

die Nische, -n
, hier: Disziplin, in der
man neben wenigen
anderen sehr gut ist

das St„dtbild, -er
, Aussehen einer Stadt

Schwabing
, heute Stadtteil von
München

die L„ndstraße, -n
, Straße zwischen zwei
Orten

præchtig
, sehr schön; hier: groß

s“ch ausgeben „ls
, sagen, dass man ... ist

die Ged¢ld
, hier: Akzeptanz

„bdanken
, aus einer hohen Position
weggehen

f¶rtsetzen
, hier: weitermachen

prägen
, ≈ formen
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