Oktoberfestzelt sich die Schickeria trifft,
fast eifersüchtig wurde: weil die Münche-
ner auf einmal mehr seine Frau und ihren
Mops erkannten als ihn. Ein Mops, der für
Tierschutz kämpft, das ging den Münche-
nern näher als Partys und Feinkost.
München ist mehr als nur tierlieb. Hier
wurde im Jahr 1841 der erste Tierschutz-
verein gegründet. Dessen Gründer Ignaz
Perner glaubte daran, dass Menschen
emotional verrohen, wenn Tiere schlecht
behandelt werden. Weniger Tierleid be-
deutet weniger Kriminalität, das war sein
Motto. Heimatlosen Tieren ein Zuhause
zu geben, ist in dieser Logik vor allem
Selbstschutz: Eine Stadt, die Tiere gut
unterbringt, bekommt dadurch die eigene
Würde. Wenn es den Tieren schlecht geht,
dann kann es niemandem gut gehen.
Manchmal ist München
sogar tierlieber, als es den
Tieren lieb wäre. Igeln zum
Beispiel. Sobald es draußen
kalt wird, bringen die Mün-
chener die Igel, die sie in ih-
ren Gärten finden, ins Tier-
heim. Manche Igel können
sie vor dem Erfrieren retten.
Manche Igel aber kommen fett und fidel
an und bräuchten gar keine Betreuung,
weil sie den Winter auch allein geschafft
hätten. Vier Mitarbeiter im Tierheim sind
allein für die Betreuung von Wildtieren
zuständig. Jeder Igel, ob fett oder nicht,
wird angenommen. Vor allem wegen des
pädagogischen Effekts: Wer einen Igel
bringt und sich dadurch besser fühlt, ver-
steht, wie wichtig ein Tierheim ist – und
wird vielleicht zum Spender.
Ein paar Meter von Bonvecchios
Hundehaus entfernt entsteht gerade ein
Neubau, ebenfalls für Hunde. Ähnlich
wie das Denkmal, das Ackermann für sich
und ihren Mann plant, wird er eine Fuß-
bodenheizung haben. Außerdem einen
Welpenbereich, weil immer mehr Wel-
pen aus illegalem Handel im Tierheim
landen, eine Krankenstation, eine Qua-
rantänestation und eine Aufnahmestel-
le für Fundhunde. Auf der Spendentafel
an der Fassade steht jetzt schon: „Dieses
Hundehaus wurde mit Unterstützung
der Landeshauptstadt München und
unserer zahlreichen Spender in den Jah-
ren 2018/2019 erbaut“. Ende des Jahres
können die Hunde einziehen.
Es gibt Menschen in der Münchener
Politik, die finden, dass es den Tieren in
Riem zu gut geht. Aber man hört sie sel-
ten. Wenn doch, dann bleiben sie klein-
laut. Ein Lokalpolitiker kritisierte im
Stadtrat den geplanten Hundehaus-Neu-
bau: Manche Rentner, sagte er, würden
sich wünschen, so luxuriös untergebracht
zu sein wie die Hunde. Aber das Tierheim,
das weiß er selbst, ist wohl „sakrosankt“.
Das ist es auch wegen Christine Strobl.
Sie ist die Tierschutz-Bürgermeisterin. So
nennt sie sich nicht selbst. Aber sie ist bei
jeder Grundsteinlegung da und bei allen
wichtigen Festen. Und sie setzt sich dafür
ein, dass die Stadt dem Tierheim mehr
Geld zahlt, als sie müsste.
„Der Sozialetat liegt bei 1,6
Milliarden Euro“, sagt sie –
die Ausgaben für das Tier-
heim, ein paar Millionen
Euro, findet sie dagegen
sehr wenig.
In der Familie aus Spen-
dern, Mitarbeitern und Eh-
renamtlichen hat Christine Strobl, also
die Stadt München, die Rolle eines Paten.
Einer, der dem Nachwuchs regelmäßig
Geld gibt, mit den Worten: „Kauf dir da-
von etwas wirklich Schönes.“
„Man muss nicht nur Dinge machen“,
sagt Kurt Perlinger, der Tierheimvor-
stand, „sondern den Leuten auch sagen,
was man macht.“ Er sagt das als Antwort
auf die Frage, warum im Münchener Tier-
heim alles besser funktioniert als in ande-
ren Tierheimen. „Wir zeigen den Leuten,
dass wir mit ihrem Geld gut umgehen.“
Herr Perlinger, ist überhaupt Platz
auf dem Tierheimareal für das Haus, das
Uschi Ackermann gerne bauen würde?
Räuspern in der Leitung. Ein bayeri-
sches „Nooaaja.“ Dann: „Die Frau Acker-
mann ist ja noch so fit, dass das für uns
aktuell gar kein Thema ist.“
Frau Ackermann, wie ist der Zeitplan
für das Käfer-Haus? Blöde Frage. Acker-
mann ist zum ersten Mal kurz sprachlos.
Und sagt dann: „Losgehen wird es da erst,
wenn ich tot bin.“
70 REICHTUM Deutsch perfekt 10 / 2019
In München
wurde 1841 der
erste Tier-
schutzverein
gegründet.
die Schickeria
, ≈ Gruppe von reichen
und bekannten Leuten, die
sich zu Partys treffen und
sich sehr wichtig finden
eifersüchtig
, hier: unzufrieden, weil
man gerne etwas hätte, was
andere haben
verrohen
, roh/gefühllos werden
das Tierleid
, Böses, das Tieren getan
wird
¢nterbringen
, hier: eine Unterkunft ge-
ben und sich um jemanden
kümmern
die W•rde
, Art, wie man sich zeigt
und verhält, die andere
ehren und akzeptieren
der Igel, -
, kleines Tier mit spitzen,
langen Teilen auf dem
Rücken
erfrieren
, sterben, weil es sehr
kalt ist
fidel
, hier: wach; mit viel
Energie
die Betreuung
, hier: ≈ Personen, die sich
kümmern
die Quarantänestation,
-en
, Ort, an dem Tiere für
kurze Zeit isoliert werden,
z. B. weil sie krank sind oder
sein könnten
erbauen
, ≈ bauen
kleinlaut
, ≈ leise
der St„dtrat, ¿e
, Parlament in einer Stadt
sakros„nkt
, hier: so, dass man nichts
dagegen sagen darf
die Gr¢ndsteinlegung, -en
, Zeremonie zum Baube-
ginn eines Gebäudes
der Sozialetat, -s franz.
, hier: ≈ finanzielle Mittel /
Geld für Soziales
die Ausgabe, -n
, hier: Geld, das eine
Kommune ausgibt
dagegen
, hier: ≈ aber; im Gegen-
satz dazu
der Pate, -n
, hier: Person, die regel-
mäßig finanzielle Hilfe für
ein Tier gibt
der Nachwuchs
, Kinder
der Tierheimvorstand, ¿e
, Mitglied der Gruppe, die
ein Tierheim leitet
gut ¢mgehen
, hier: Geld richtig
ausgeben
räuspern
, ≈ kurz husten
Eine Übung zu diesem
Text finden Sie auf
Seite 45.