Deutsch Perfekt - 10.2019

(Romina) #1

Foto: Stephan Sperl


KOLUMNE – ALIAS KOSMOS


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die Berliner Schnauze
, m Art der Berliner, zu
sprechen

verbreiten
, hier: ein bestimmtes Ge-
fühl in anderen Menschen
entstehen lassen

„nnörgeln , mit schlech-
ter Laune kritisieren
keine Interpretationen
zulassen , deutlich sein

der œffentliche Nahver-
kehr
, alle öffentlichen Ver-
kehrsmittel in einer Stadt

Gnade G¶tt
, m ≈ hoffentlich endet
das gut für ...

vergeblich , ohne Erfolg

der Schienenersatzver-
kehr , Busse oder Taxis,
die statt z. B. der Straßen-
bahn oder des Zuges fahren

urbayerisch
, ≈ sehr bayerisch

wehe
, m ≈ Wenn jemand
etwas Bestimmtes tut, wird
er Ärger bekommen.

der/die Zuagroaste, -n
bayer./österr.
, Person, die nicht in der
Gegend groß geworden ist,
in der sie wohnt

das Weizen, -
, helles Bier, das man aus
Weizen herstellt

(der Weizen
, Pflanze, aus deren
kleinen, harten Früchten
man Mehl macht)

wehen , blasen

einen Fön kriegen
, m ≈ wütend werden

mies , m sehr schlecht

die Liebenswürdigkeit
, von: liebenswürdig ≈
freundlich; nett; sympa-
thisch

sieden
, so heiß sein, dass kleine
Blasen nach oben steigen
(die Blase, -n
, ≈ kleiner Ball aus Luft
oder Gas)

s“ch „m Siedepunkt
bef“nden
, ≈ kochen; hier: gleich
sehr ärgerlich werden

aufklären , hier: spezielle
Dinge erklären

das Gr„nteltum
, ≈ Tendenz, viel und gern
zu granteln

der Miesepeter, -
, m Person, die immer
unzufrieden ist

n¢scheln , m undeut-
lich sprechen

tr¶cken , hier: ironisch

verkœrpern
, als Symbol für etwas
gelten

z¢m Kulturbegriff erheben
, hier: machen, dass ...
einen kulturellen Wert
bekommt

aufs K¶rn nehmen
, m zum Ziel von
Satire, Kritik oder Witzen
machen

der Staatsanw„lt, ¿e
, Person, die kriminelle
Handlungen untersucht
und für die Interessen des
Staates kämpft

das Vorbild, -er
, ≈ positives Beispiel

W


as für Berliner die Berliner
Schnauze ist, ist für Mün-
chener das Granteln. Granteln
kommt von grantig und bedeutet vor al-
lem schlecht gelaunt. Damit ist eine allge-
meine negative Stimmung gemeint, die
der Münchener oft mal verbreitet und
einen dabei im Dialekt annörgelt. Mit et-
was Glück versteht man ihn zwar nicht,
aber die Art, in der gegrantelt wird, lässt
keine Interpretationen zu. Das erzählte
mir wenigstens ein Freund aus München.
Das könnte zum Beispiel passieren,
wenn sich ein naiver Besucher auf der
Rolltreppe zur U-Bahn links hinstellt.
Das Motto „rechts stehen, links gehen“
ist in München nämlich Gesetz. Das hört
man dann auch einen Grantler hinter
einem nörgeln. Münchens öffentlicher
Nahverkehr, speziell in Zentrumsnähe,
ist sowieso eine Nahkampfzone. Wer da
im Weg steht, weil er sich nicht auskennt,
dem Gnade Gott. Höflichkeit sucht man
da meistens vergeblich. Und Informatio-
nen bei Schienenersatzverkehr auch.
Auch urbayerische Kellner sind gerne
wunderbar unhöflich – nach dem Mot-
to: „Wie, ihr wollt etwas bestellen?“ Und
wehe, man macht dann als Zuagroaster
den Fehler, ein Weizen zu bestellen. In
München heißt das nämlich Weißbier.
Ich frage mich natürlich, woher das
kommt. In Berlin, das immer pleite ist,
kann ich die schlechte Laune noch ver-
stehen. Auch das Wetter ist nicht opti-
mal, wehen doch in der Hauptstadt oft
sibirische Winde. Aber in München, wo
immer die Sonne scheint? München soll
die nördlichste Stadt Italiens sein!

Andererseits hat auch München ein
Wind-Problem. Dort weht nämlich der
Fön von den Alpen herab. Der warme
Wind sorgt für Kopfschmerzen und Ner-
vosität. Daher kommt wahrscheinlich der
Ausdruck Ich krieg einen Fön. Der Münche-
ner weiß schon, dass es gleich losgeht mit
der miesen Stimmung. Aber ihm ist das
egal: Mia san mia! Wir sind wir! Wir sind
so, wie wir sind.
Mein Münchener Freund meinte so-
gar, dass auch er gerne grantelt. Dabei war
es ihm wichtig, dass ich von der Liebens-
würdigkeit des Grantlers erzähle. Denn
es geht noch schlimmer. Das ist dann ein
Suderer. Suderer kommt von suttern und
bedeutet langsam kochen oder sieden. Also
ist ein Suderer jemand, der sich mit seiner
Laune am Siedepunkt befindet. Und das
braucht wirklich kein Mensch.
Weiter klärte mich mein Freund auf,
dass ich das bayerische Granteltum nicht
mit dem deutschen Pessimismus ver-
wechseln darf. Grantler ist nicht gleich
Miesepeter. Denn im Granteln ist immer
ein bisschen Humor. Deshalb nuschelt
der Grantler auch ein wenig: Ihm ist es
egal, ob man ihn versteht oder nicht.
In München lebt ein berühmter Jour-
nalist, der das witzig-trockene Granteln
verkörpert: Heribert Prantl. Der Journa-
list der Süddeutschen Zeitung hat das Gran-
teln zum Kulturbegriff erhoben und ihm
seinen Namen gegeben: Er prantelt. Mit
einer Genauigkeit, die ebenfalls keine In-
terpretationen zulässt, nimmt er das po-
litische Geschehen aufs Korn. Damit ist
der frühere Staatsanwalt für viele junge
Journalisten im ganzen Land ein Vorbild.

Alia Begisheva wurde in Moskau
geboren. Heute lebt die 44-Jährige
mit ihrem kanadischen Mann und
ihren zwei Kindern in Frankfurt
am Main und weiß viel besser als
viele ihrer deutschen Nachbarn,
dass man Papier und Glas nicht in
dieselbe Mülltonne wirft. Für jedes
Heft schreibt sie diese Kolumne.

„Wir sind so, wie wir sind“


Der Münchener sorgt oft und gern für negative Stimmung,


weiß unsere Lieblingsrussin. Aber er hat dabei Humor und ist


sicher kein Pessimist. Schlimmer geht es natürlich trotzdem


fast immer. SCHWER AUDIO


Deutsch perfekt 10 / 2019
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