Deutsch Perfekt - 10.2019

(Romina) #1

Foto: picture alliance/SZ Photo/Sebastian Gabriel


Deutsch perfekt 10 / 2019 FREIZEIT 75

eHunderte kommen, wenn Jens
Junker zum Go Sing Choir einlädt.

Programm. Zum Üben hat der Chor zwei
Stunden Zeit. Das soll genug sein.
Chorleiter ist Jens Junker. Eigentlich
ist er Filmemacher. Vor zwei Jahren hat
er mit dem Chor angefangen. Inzwischen
arbeitet er fast 80 Stunden im Monat für
diese Herzensangelegenheit. Warum er
das macht? „Weil es Spaß macht.“ Er lacht.
Später auf der Bühne ist er nicht
nur ein Lehrer. Ein bisschen ist er auch
ein Showmaster. Ein charismatischer
Mensch mit viel Enthusiasmus. Er steht
kaum still. Und er zeigt immer die vol-
le E nergie. Dirigiert, gestikuliert und
macht Späße. Wechselt das Outfit und
steht nach der Pause plötzlich im golde-
nen Anzug auf der Bühne. 80er-Jahre-Stil,
speziell für diesen Abend. Darüber, dass
die Überraschung funktioniert hat, freut
er sich. Die Menschen merken: Die ganze
Sache macht ihm wirklich Spaß.
Junker, heute Anfang 40, wächst mit
Musik auf. Er spielt Geige und Kirchen-
orgel, singt im Chor und lernt als Jugend-
licher das Wichtigste der Chorleitung.
Dann bricht er mit vielem aus seinem
alten Leben. Auch mit der Musik. „Blö-
derweise“, sagt er heute.
Aber etwas später kommt die Musik in
sein Leben zurück. Zuerst spielt er Geige
in einer Band. Dann singt er in einem
Kneipenchor. Auch dieser interpretiert
Pop-Hits in lockerer Atmosphäre, ähnlich
wie später der Go Sing Choir.
Als jemand Junker fragt, ob er den
Kneipenchor leiten will, sagt er Ja. Er
merkt, wie viel Spaß er am Musikmachen
hat. Vor allem auch an der Arbeit mit Sän-
gern in einem Chor. Sie erinnert ihn an
seine Arbeit als Filmemacher.
Im Kneipenchor wollen viele Men-
schen singen. Zu viele. Junker überlegt:
Was muss er tun, damit alle singen kön-
nen? So hat er die Idee für den Go Sing
Choir. Der hat kein Mitglieder-Limit. Nur
irgendwann keinen Platz mehr.
Im letzten Herbst ziehen Junker und
sein Partner, der Gitarrist Ian Chapman,
deshalb mit dem Chor in den Strom um.
Der Klub ist größer als der alte Veranstal-
tungsort. Bis zu 450 Leute passen dort
rein, sagt Junker. Auch, wenn es dann
ziemlich eng ist.

An diesem Sonntagabend sind ein paar
weniger gekommen, es ist Urlaubszeit.
Voll ist es trotzdem. Kurz vor Beginn um
19 Uhr ist die Atmosphäre gleichzeitig
fröhlich und konzentriert. Die meisten
Teilnehmer sind Frauen. Sie tragen Som-
merkleid und Birkenstocksandalen oder
T-Shirt und Sneakers. Ein Mädchen ist im
Metallica-T-Shirt gekommen.
Viele stehen zu zweit oder in Gruppen
zusammen. Sie reden und lachen. Leise
läuft Coldplays „The Scientist“. Ein paar
Teilnehmer lesen die Zettel oder üben
schon mal ein bisschen. Manche haben
ihre Wasserflasche dabei. Ein Getränk
in der Hand hält kaum jemand. Über der
Bar hängt ein Bild von der nackten Uschi
Obermaier, eine Ikone der 68er. Für sie hat
kaum jemand Augen.
„I just can’t get enough“ ist kein leich-
tes Lied. Vor Beginn ist Junker deshalb
unsicher. Es gibt viel Text und viele un-
terschiedliche Parts, sagt er. Kommt der
Chor heute an seine Grenzen? Welches
Lied sie singen, lesen die Teilnehmer vor
der Veranstaltung im Internet. So können
sie das Lied vorher schon hören und üben.
Lampenfieber hat Junker seit dem ers-
ten Mal, erzählt er. Wie wird es? Funktio-
niert es? Denn wie es am Ende wird, weiß
er vorher nie. Die Formation ist ja jedes
Mal neu. „Wir wissen nie, wer kommt.
Ob jetzt eventuell gerade dieses Mal viel-
leicht ein paar stärkere Sänger zu wenig
da sind.“
Wenn der Chor am Ende des Abends
das Lied wirklich kann, filmt ein Kamera-
mann: Denn der Chor hat seinen großen
Auftritt im Internet. Dort kann jeder die
Videos sehen: „Run“ von Snow Patrol,
„Creep“ von Radiohead oder „Ein Kom-
pliment“ der bekannten Münchener
Band Sportfreunde Stiller.
Und „I just can’t get enough“? Ist das
am Ende zu schwer für den Chor? An die-
sem Abend muss er länger üben als nor-
malerweise. Aber dann ist der Film fertig.
Bis der Clip online geht, dauert es noch.
Aber Junker ist nicht mehr skeptisch:
„Das Depeche Mode Video wird übrigens
super“, schreibt er ein paar Tage später
auf Facebook. Jemand kommentiert: „I
just can’t get enough.“ Anna Schmid

die H¡rzensangelegen-
heit, -en
, hier: Sache: Sie ist
für jemanden besonders
wichtig.

die Bühne, -n
, Ort im Klub: Dort singt
der Chor.

st“llstehen
, die Position nicht ändern;
stehen bleiben

dirigieren
, hier: einen Chor leiten

g¶lden
, von: Gold; hier: in der
Farbe Gold

die Geige, -n
, Musikinstrument in der
Form eines kleinen Cellos

die K“rchenorgel, -n
, großes Musikinstrument
in der Kirche, fast wie ein
Piano

die Chorleitung
, von: einen Chor leiten ≈
Chef von einem Chor sein

br¡chen m“t
, ≈ aufhören, im Kontakt
zu sein mit

blöderweise
, m ≈ Das war eine
dumme Idee.

l¶cker
, hier: L formell

ähnlich wie
, ≈ fast wie

tun, dam“t
, hier: so ändern, dass

das M“tglied, -er
, hier: Person: Sie ist
bei einer (organisierten)
Gruppe angemeldet.

der Ver„nstaltungsort, -e
, Ort: Dort findet ein
Event statt.

reinpassen
, hier: Platz haben

die B“rkenstocksandale, -n
, bequeme Sandale: Sie
passt genau zur Fußform

zu zweit
, mit zwei Personen;
als Paar

n„ckt
, ohne Kleidung

die 68er Pl.
, organisierte Gruppe: Sie
will eine Gesellschaftsre-
form erreichen.

(die Ges¡llschaft, -en
, Menschengruppe: Sie
lebt in einem sozialen
und politischen System
zusammen.)

Augen haben für
, hier: achten auf;
ansehen

„n seine Gr¡nzen k¶mmen
, hier: intensiv arbeiten
und merken: Man schafft
das nicht.

das L„mpenfieber
, hier: starke Nervosität:
Man hat sie, bevor man vor
einer Gruppe steht.

die Formation, -en
, hier: Kombination von
Sängern

eventu¡ll
, ≈ vielleicht

gerade
, hier: genau

st„rk
, hier: gut

der Auftritt, -e
, von: auftreten = sich vor
Publikum zeigen

„m ]nde
, hier: ≈ vielleicht

normalerweise
, ≈ meistens: Das ist
normal.

übrigens
, hier: Was ich noch sagen
wollte.
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