Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1
Als Teenager habe ich endlos vor dem Spiegel posiert, Luft-gitarre gespielt und davon geträumt, Joe Strummer zu sein, der Sänger der Band The Clash. Ich wollte mir eine Gitarre kaufen, aber meine Eltern waren dagegen – sie glaubten, dass mein Interesse an Musik schnell wieder erlahmen würde. Es war das erste Mal, dass meine Eltern mir einen Wunsch ab-schlugen. Ein Jahr lang habe ich dann jedes Wochenende als Kartenabreißerin in einem Kino gejobbt, bis ich 200 Dollar zusammenhatte. Ich war 15. Mein Vater ist dann immerhin mit mir in den Gitarrenladen gegangen. Vier Jahre vorher hatte ich mein allererstes Konzert besucht: Madonna. Es war sensationell. An Madonna liebte ich ihre Selbstsicherheit, sie schien genau zu wissen, was sie tut. Im Laufe des Konzerts zog sie sich fünfmal um. Für mich war sie überlebensgroß. Wir alle im Publikum waren starr vor Begeisterung, wir vergötterten sie. Inzwischen haben man





che Leute ein Problem damit, zu akzeptieren, dass auch Madonna älter geworden ist. Als wir vor einigen Jahren mit Sleater-Kinney in Australien Konzerte gaben, war Madonna dort mit ihrer

»Rebel Heart«-

Tour unterwegs. Wir haben

uns eine ihrer Shows angesehen, die gut war, aber auch ver





blüffend vulgär. Was sie mittlerweile musikalisch macht, verfolge ich nicht mehr so genau. Aber Madonna heut-zutage zu kritisieren, nach einer so einzigartigen Karriere, ist sinnlos. Madonna hat Maßstäbe gesetzt, ihre Leistungen sind gewaltig. Sie hat ihre Träume wahr werden lassen und die vieler Fans – auch meine.Ich glaube, dass uns die Sprache fehlt, um unsere nächtlichen Träume angemessen zu beschreiben. Es gibt in ihnen Farben und Dimensionen, die sich unserem Vokabular entziehen. Ich spreche deshalb auch nur selten über sie. Aber ich will es versuchen. Ein Traum, der mich seit Jahren verfolgt, geht so: Ich habe ein Verbrechen begangen. Meistens habe ich im Traum etwas geklaut, manchmal auch jemanden ermordet, jedenfalls ist klar, dass ich mich für die Tat verantworten muss und dass mir ein Aufenthalt im Gefängnis droht. Der Traum beginnt immer damit, dass ich vor Gericht stehe und mir den Kopf zermartere, warum ich eigentlich das Ver-brechen begehen musste. Es ist ein auswegloser, kafkaesker Traum. Meistens endet er mit meiner Verurteilung, die ich ja auch verdient habe. Das Gefängnis erlebe ich zum Glück nicht mehr. Ich glaube zwar nicht an Übersinnliches, aber ich

habe Träume, bei denen ich das Gefühl habe, dass es Begeg-nungen mit einer anderen Welt sind. Neulich ist einer meiner Hunde gestorben, kurz danach erschien er mir im Traum. Das war so bewegend, dass ich versuchte, so lange wie mög-lich in dem Traum zu bleiben. Dieses Hin-und-her-Gleiten zwischen Traum und Realität ist ein magisches Gefühl.

»Madonna hat ihre Träume wahr werden lassen und die vieler Fans – auch meine«


Carrie Brownstein, 44, wurde 1995 bekannt mit Aufgezeichnet von Christoph DallachZu hören unter http://www.zeit.de/audio
der Indierockband Sleater-Kinney, die die feministische Riot-Grrrl-Bewegung prägte. Als Autorin und
Darstellerin der Fernsehserie »Portlandia« wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im August erscheint das
neue Sleater-Kinney-Album »The Center Won’t Hold«Foto Christoph Voy
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