Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

45


Ich mag mich nicht streiten. Ich bin konfliktscheu. Ich finde, das
Leben hält genug Unbill für uns bereit, da soll man sich nicht auch
noch in der Familie ständig zoffen. Ich fürchte, ich liege dabei mit
etlichen Erziehungsberatern über Kreuz, denn eigentlich soll man
Konflikte ja nicht vermeiden. Man soll im Gegenteil stets konfron-
tieren, reden, spiegeln und dann die Probleme gemeinsam lösen.
Das eigentliche Problem ist aber, dass Eltern-Kind-Konflikte oft
darin bestehen, dass Eltern die gegenteilige Meinung des Kindes
haben. Tochtermeinung: Binge- Wat ching von 25 Folgen Stranger
Things ist okay. Vatermeinung: Ist nicht okay. Mein Glück ist, dass
meine Tochter Lotta auch sehr konfliktscheu ist. Daher gehen wir
uns bei all den Dingen, die schwer verhandelbar sind, möglichst
aus dem Weg. Lotta guckt also heimlich auf meinem iPad – und
ich frage nicht, wo mein iPad eigentlich ist. Es ist eine Kultur des
Wegsehens (ich) und des Hinsehens (Lotta), die bei uns herrscht.
Ich könnte natürlich auch viel strenger darauf achten, dass all die
Regeln eingehalten werden, ich könnte im Pyjama fäusteballend im
Kinderzimmer stehen, wenn ich den Verdacht hätte, dass von mei-
ner Frau und mir erlassene Gebote umgangen werden. Aber, ach!
Wie sähe das denn aus?
Selbstverständlich leide meine Autorität darunter kein bisschen,
versichert mir Lotta immer wieder, da könne ich ganz sorglos sein.
Und trotzdem kommt es manchmal doch zu Konfrontationen.
Die gehen dann etwa so: Lotta macht sich und ihren Schwestern
Pfannkuchen. Das tut sie sehr gerne. Sie liebt Pfannkuchen. Sie
liebt es aber nicht, die schmutzige Pfanne danach wieder sauber
zu machen. Ich wiederum mag es nicht, wenn sich das schmutzige
Geschirr in der Küche stapelt. Würde Lotta das Geschirr in ihrem
Zimmer stapeln, wäre es vielleicht okay für mich. Aber so muss ich
hinsehen. Und sage: »Lotta, das kann ja wohl nicht wahr sein! Wie
oft habe ich denn schon gesagt, dass ihr die Küche gleich wieder
sauber machen sollt, wenn ihr darin was gekocht habt?« – »He,
ich mach das ja wieder sauber, keine Sorge.« – »Sorge? Ich habe
keine Sorge, sondern will, dass du endlich mal die Küche sauber
hältst, wie wir das schon hundertmal besprochen haben.« – »Ja, ich
mach das ja auch!« Lottas erste Strategie: Wo ich ein Problem sehe,
ist in Wirklichkeit keines. Aber da mache ich nicht mit: »Nein,
du machst nie sauber, immer muss ich dich ermahnen!« – »Nee,
du musst mich gar nicht ermahnen, du motzt hier einfach rum!«
Lottas nächster Versuch ist nämlich: Ich habe kein Problem mit
der Küche, sondern mit mir selbst. »Warum hast du eigentlich
so schlechte Laune?« – »Wie? Ich habe überhaupt keine schlechte
Laune! Ich habe super Laune, aber ...« – »Pfft! Voll die super Lau-
ne, wie du hier rumpolterst. Was ist denn los?« – »Gar nichts ist
los, ich finde nur ...« Und schließlich spricht mir Lotta einfach die
Ebenbürtigkeit als Streitpartner ab: »Ich finde, dass du niedlich
aussiehst, wenn du dich so aufregst! Wie diese Comic-Ente.« –
»Donald Duck? Ich sehe aus wie Donald Duck?« – »Ja, genau, oder
wie so ein kleiner hilfloser Dackel! Ooch: Jetzt siehst du genauso
aus wie so ein Dackel, das ist so süß, ich würde dich am liebsten
knuddeln!« – »Also, ich hab keine schlechte Laune und bin auch
kein Dackel, ich ...« – »Ooch. Darf ich dich knuddeln?« Dann
trolle ich mich und weiß wieder ganz genau, warum ich Konflikte
meide: weil ich sie verliere.

Prüfers Töchter MEINE 14-JÄHRIGE

Illustration Aline Zalko

Lotta ist 14 Jahre alt. Ihr Vater Tillmann Prüfer schreibt


hier im wöchentlichen Wechsel über sie und seine
anderen drei Töchter im Alter von 19, 12 und 5 Jahren

»Ooch.


Darf ich dich


knuddeln?«

Free download pdf