Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

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Frau Potthoff, Sie haben vor fünf Jahren
Ihr zweites Kind bekommen. Allerdings
unter sehr besonderen Umständen ...

Ja, so kann man das sagen. Wir waren drei
Wochen vor dem errechneten Geburts­
termin umgezogen. Zwei Tage nach dem
Umzug bekam ich leichte Vorwehen. Ich
hatte an dem Tag einen Termin bei der
Frauenärztin, um 14 Uhr, aber auf dem
Wehenschreiber sah man nichts, die Ärztin
meinte, das seien Kindsbewegungen.
Waren Sie beunruhigt?
Nein, es hatte ja keine Anzeichen gegeben,
dass die Geburt bevorstünde. Doch gegen
17 Uhr – Sie merken, Uhrzeiten spielen
eine große Rolle – war ich unsicher, ob das
nicht doch langsam Geburtswehen sind.
Also habe ich eine Freundin angerufen,
die Frauenärztin ist, sie nannte mir ein
Medikament: Damit würden die Kontrak­
tionen enden oder stärker werden, dann
solle ich in die Klinik fahren. Aber schon
als mein Mann aus der Apotheke kam, das
war um 17.25 Uhr, sagte ich ihm: »Wir
müssen jetzt fahren!« Er sagte: »Lisa, ich
habe den ganzen Tag Schränke aufgebaut,
ich bin total dreckig!« – »Na gut, dann geh
duschen, aber schnell!«
Wie ging es Ihnen in dem Moment?
Da wusste ich schon, dass das kein falscher
Alarm war. Zwei, drei Straßen von unserer
entfernt fuhren wir dann über Kopfstein­
pflaster. Ich dachte, ich ver ende. Hier und
jetzt. Und ich habe mich so an meinem
Mann festgekrallt, dass er rechts ranfahren
musste. Ich habe nur gehört, wie er immer
wieder sagte: »Du musst mich loslassen, ich
kann so nicht fahren!« Da habe ich plötz­
lich gemerkt: Das Baby kommt. Jetzt. So­
fort. Ich habe nur noch »Rettungswagen!«
genuschelt, und mein Mann ist raus aus
dem Auto. Ich hörte die Türe schlagen und
wie er sagt: »Rufen Sie den Rettungswagen,
meine Frau bekommt ein Kind!« Und ich
dachte: Ich hab mich so bemüht, gute Fil­
me zu machen! Das ist ein Satz aus einem
richtig schlechten Film! Es war fast lustig.
Sie konnten lachen in dem Moment?
Wahrscheinlich eher nicht. Aber es ging im
Grunde auch absurd weiter: Mein Mann
hatte mich während der ersten Geburt


immer gelobt und gesagt, wie gut ich das
mache, und er wusste, dass mir das total
geholfen hatte. Und jetzt kauerte ich in
diesem Auto, stöhnend, in die Mittelkon­
sole beißend, und er sagte durch die Bei­
fahrertür immer wieder: »Das machst du
super! Das machst du ganz toll, Lisa, ganz
toll!« Während er sich dachte: Wo bleibt
denn dieser Scheißrettungswagen?!
Hatten Sie keine Angst?
Ich hatte massive Schmerzen und habe
auch ordentlich rumgeröhrt, aber ich hatte
ein Urvertrauen, dass ich das hinkriege.
Dann kam der Sanitäter, bisher begleitete
Geburten: null, und alle hatten die Hoff­
nung, dass es jetzt ins Krankenhaus gehen
würde. Aber ich wusste, das wird nix mehr,
ich geh hier nicht mehr weg.
Das Auto war Ihr Schutzraum?
Mein Kreißsaal. Ich liebe unseren Volvo
dafür abgöttisch und werde ihn nie ver­
kaufen können, sehr zum Leidwesen mei­
nes Mannes. Mein Geburtsteam waren

eine Rentnerin, die eigentlich nur ihre He­
cke schneiden wollte, vor der wir gehalten
hatten, und eine Joggerin.
Wie haben die beiden Ihnen geholfen?
Die Rentnerin massierte mir den Rücken,
die Joggerin brachte Handtücher und ei­
nen kühlen Waschlappen. Und wenn wir
von Rettung reden, dann war es das, was
für mich am eindrücklichsten war. Ich hat­
te immer Angst, dass ich mal in einer Si tua­
tion hilflos bin, und alle glotzen und gehen
vorbei. Wenn ich so etwas in der Zeitung
lese, werde ich unfassbar wütend. Dass sich
diese beiden Frauen gesagt haben: So, wir
widmen uns jetzt dieser Person und helfen
ihr, das hat mich unheimlich berührt und
macht mich nach wie vor sehr dankbar. Ich
hatte im Grunde mit meinem Mann, dem
Sanitäter, der Rentnerin und der Joggerin
das beste Team, das man sich wünschen
kann. Wenn alle Menschen so helfen wür­
den, wäre die Welt ein besserer Ort.
Wann wurde Ihr Kind geboren?
Ich erinnere mich, wie mein Mann auf dem
Bürgersteig steht – um uns rum Vollsper­
rung, weil der Krankenwagen die Straße
blockiert hat – und sagt: »Es ist 18.02 Uhr,
ich schneide jetzt die Nabelschnur durch!«
Er war sehr cool und souverän. Dann bin
ich in die Klinik gefahren worden.
Hatten Sie danach das Gefühl: Jetzt
kann ich alles schaffen?
Das hatte ich auch schon bei meinem
ersten Kind, als ich mit ihm im Arm auf
die Wöchnerinnenstation geschoben wur­
de: als wäre ich ein Gladiator, der in die
Manege einläuft. Ansonsten war natür­
lich nichts gleich: Bei der ersten Geburt
waren wir in einer schönen Klinik, die
Atmosphäre war fast heilig – das war am
Straßenrand schon anders.
Vielleicht eine andere Art Heiligkeit, mit
den unbekannten Helfern an Ihrer Seite?
Ja, das war toll. Jedes Jahr am Geburtstag
meines Kindes treffen wir uns um 18 Uhr
dort an der Hecke, meine Familie, der
Sanitäter, die Rentnerin und die Joggerin,
und dann stoßen wir gemeinsam an. Das
ist wunderschön. Foto

Linda Rosa Saal

Im Auto merkte die hochschwangere Schauspielerin, dass sie es nicht in die Klinik schafft


Im nächsten Heft: Die Deutschlandkarte zeigt, wo Privathäuser stehen, die einen Architekturpreis bekamen.


Und der Musiker Jack White erzählt von seinem Leben ohne Handy und Social Media, aber mit eigener Plattenfirma


Das war meine Rettung LISA MARIA POTTHOFF


Lisa Maria Potthoff, 41, wuchs in der
Nähe von München auf. Sie spielt
die Hauptrolle in der ZDF-Krimiserie
»Sarah Kohr«, im Herbst ist sie in
»Sky lines« auf Netflix zu sehen. Jetzt
läuft die Krimikomödie »Leberkäs-
junkie«, eine Verfilmung des Best sellers
von Rita Falk, mit ihr im Kino

Das Gespräch führte Anna Kemper
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