Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 32


WIRTSCHAFT 17


Dem Adel verpf lichtet


MARCUS ROHWETTERS
wöchentliche Einkaufshilfe

tief im Innern müssen sich die Deutschen
wohl nach gekrönten Häuptern sehnen. An-
ders ist nicht zu erklären, warum so viele auch
hierzulande im Mai gebannt auf die geburt
von Archie gewartet haben, dem sohn von
Herzogin Meghan und Prinz Harry. Obwohl
die beiden doch für hiesige gefilde gar nicht
zuständig sind. Auffallend viele Klatschblätter
befassen sich zudem nahezu ausschließlich mit
der Ausleuchtung internationaler Königs-
häuser, insbesondere unter dem Aspekt der
Fortpflanzung (»Hurra, ein Mädchen!«, »Hur-
ra, Zwillinge!«, »Verbirgt sich im gewölbten
Bäuchlein der schönen Prinzessin gar ein zu-
ckersüßes geheimnis?«).
Davon abgesehen gibt es weitere Orte, in
denen täglich die Krönungsmesse gefeiert
wird: supermärkte. Dort ist der Kunde selbst
König, und ihm wird dargeboten, was Küche
und Keller zu bieten haben: Kai ser schmarrn
und Königinnenpasteten ergeben, begleitet
von König Pilsener oder 0,5 Liter Adelskrone
in der PEt-Flasche, ein fürstliches Mahl. Wird
dieses von einem schluck Fürst Bismarck
Kornbrand gekrönt, entsteht gar königlicher
genuss. Wussten sie, dass das Rezept von
Fürst-Pückler-Eis dieser tage sein 180-jähriges
Jubiläum feiert? Dazu passt der Inhalt der
Prinzen-Rolle, der unter seinem bürgerlichen
Namen (»mit Kakaocreme gefüllter Doppel-
keks«) sicher längst nicht so beliebt geworden
wäre. Ein Hoch also auf Monarchie und Adels-
stand! Vielfältiger als im supermarkt werden
sie sie hierzulande wohl nie wieder erleben.
Falls sie in sich nun den Drang verspüren,
niederzuknien, um auf den Ritterschlag und
damit auf die Erhebung in einen höheren
stand zu hoffen, möchte ich Ihnen die ein-
malige Chance bieten, Ihrem trostlosen Dasein
als Discounterkunde zu entkommen. Wenn
sie es ernst meinen, schicken sie mir bitte eine
Flasche Adelskrone. Dann ernenne ich sie
umgehend und auf Lebenszeit zum Ritter der
»Quengelzone«.

Von Verkäufern genötigt? genervt von Werbe-
Hohlsprech und Pseudo-Innovationen? Melden
sie sich: [email protected] – oder folgen sie
dem Autor auf twitter unter @MRohwetter

QUENGELZONE

DIESE WOCHE

Wenn Deutschland
aussteigt, fließen allein in
die Lausitz 17 Milliarden
Euro. Was tun mit all
dem geld? seite 19

Kohle


Volkswagen-Chef Herbert
Diess und grünen-Politiker
Cem Özdemir diskutieren im
streitgespräch über die
Zukunft des Autos seite 20

Mobilität


Der Erfinder des spaghetti-
Eises erklärt im Interview,
warum die Kugeln heute
größer sind und der
Wettbewerb der Eisdielen
heißer ist als früher seite 25

Speiseeis


Läuft


nicht


Austrocknende Flüsse,
verdorrte Äcker, kein Druck in der
Leitung: Während des Hitzesommers
wird vielerorts das Wasser knapp.
Es droht ein Verteilungskampf
VON INGO MALCHER,
ANN-KATHRIN NEZIK UND KOLJA RUDZIO

eutschland im Hitze-
sommer 2019: Die
temperaturen brechen
neue Rekorde – und wer
dieser tage durchs Land reist,
kann die verheerenden Folgen
schon beobachten.
Passau, ein Industriegebiet an der
Donau, vergangenen sonntag: Am ufer
ein verfallenes Haus, daneben parken ein
paar tanklastwagen. Für das Flusskreuz-
fahrtschiff Emerald Sky endet hier vorerst die
Reise. Etwa 140 touristen aus Kanada, Aus-
tralien und den usA gehen über die gangway an
Land. Eigentlich hatten sie eine schiffsreise von
Nürnberg nach Wien auf der Donau gebucht. Doch
stromabwärts ist der Fluss nicht mehr befahrbar. »Wir
haben normalerweise 1,70 Meter tiefgang«, sagt stamen
Dimitrov, der Kapitän. »Bei Pfelling ist die Donau momen-
tan aber nur etwa 1,60 Meter tief.« Die Passagiere müssen
umsteigen. Vom schiff mit Bar und Pool in den Bus.
Königsbrück, Landkreis Bautzen, vergangenen Montag.
Fréderic Robert-Kasper beobachtet von seinem Büro aus die Pegel-
stände der Elbe: Aken 36 Zentimeter, Barby 23 Zentimeter, Dresden
56 Zentimeter. Ein Pegelstand bedeutet zwar nicht, dass das Wasser
in der Fahrrinne wirklich nur so tief ist (siehe grafik), aber diese Werte
sind extrem niedrig. sie kosten Robert-Kasper viel geld. Er ist geschäfts-
führer eines unternehmens, das steine für die Bauindustrie produziert.
4000 tonnen hätte er an einen Kunden liefern können, was nur über die
Elbe möglich ist. »Aber da kommt kein schiff durch«, sagt er.
Lohne, Landkreis Vechta, vergangenen Freitag. stephanie Deux dreht
den Wasserhahn in ihrer Küche auf, doch heraus kommt nur ein dünner
strahl. seit ein paar tagen gehe das schon so, erzählt sie. Abends versiege das
Wasser bis Mitternacht vollständig. Bis zu 300 Haushalte können nach An-
gaben des örtlichen Wasserversorgers in diesem Zeitraum nicht kochen, baden
oder die toilette spülen.
Drei schauplätze in Deutschland – drei Probleme. Mal führen die Flüsse
zulasten von tourismus und Industrie nicht genug Wasser, mal wird das grund-
wasser knapp. Nicht nur in Passau, Lohne und Aken ist es zu trocken, auch in
anderen Landesteilen. Vor allem in Nord- und Ostdeutschland hat es seit Mai viel
zu wenig geregnet. und der Boden war nach der Dürre im letzten Jahr ohnehin
schon ausgetrocknet, die grundwasserspiegel haben sich an manchen Orten
kaum erholt.
Das trifft Bauern, Verbraucher und Industrie. In Niedersachsen war sogar
geplant, das Atomkraftwerk grohnde vom Netz zu nehmen: Die Wassertem-
peratur der Weser drohte über 26 grad zu steigen, womit kein Kühlwasser
mehr hätte eingeleitet werden dürfen. Am Ende war das nur nicht nötig, weil
sich die Weser wieder etwas abkühlte. Auf Elbe, Donau und Weser können
zurzeit stellenweise keine schiffe mehr verkehren, weil der Pegel stark ge-
sunken ist. Die Folge: Industriebetriebe können ihre Waren nicht mehr
abtransportieren oder bekommen keine Rohstoffe mehr geliefert.
Der Wassermangel führt zudem zu völlig neuen Verteilungskon-
flikten. Landwirte müssen ihre Felder bewässern, Verbraucher wollen
nach der Arbeit duschen, Fabriken brauchen Wasser für die Pro-
duk tion. Es geht mancherorts nun um eine sehr existenzielle
Frage: Wer kriegt was, wenn nicht mehr genug für alle da ist?
stamen Dimitrov, 53, kennt sich aus mit knappem Was-
ser. seit fünf Jahren steuert der Bulgare die Emerald Sky
auf dem Rhein, der Mosel und der Donau. Immer
wieder kommt es vor, dass der Wasserstand in einem
dieser Flüsse gefährlich niedrig ist. Deshalb hat
Dimitrov einige tricks parat. Wenn es knapp
wird, lässt er das Wasser aus dem swim-
mingpool im Heck des schiffes ab.
Dadurch wird sein Fluss-
kreuzfahrtschiff

um 40 tonnen leich-
ter. Weitere 40 tonnen
spart er, wenn er Wasser
aus den Ballasttanks am Bug
ablässt, die das schiff in der
Ba lance halten. »Das bringt fünf
bis sechs Zentimeter weniger tief-
gang«, sagt Dimitrov. Auch beim
trinkwasser spart er in solchen Fällen:
statt eines Vorrats für vier oder fünf tage
nimmt er bloß Wasser für zwei tage an
Bord, das bringt weitere Zentimeter. Jede
Daumenbreite Wasser unter dem Kiel zählt in
diesen tagen.
Doch Ende vergangener Woche reicht all das
nicht mehr. Zwischen straubing und Vilshofen führt
die Donau so wenig Wasser, dass auch Dimitrov nicht
weiterfahren kann. Er muss festmachen, in zweiter Reihe
neben vier anderen schiffen, die ebenfalls gestrandet sind.
Neben der Donau herrschte abgesehen vom Rhein auf
nahezu allen großen deutschen Flüssen in den vergangenen
tagen Niedrigwasser. Wie ernst die Lage ist, sieht man im Inter-
net an den ständig aktualisierten Listen der Wasserstraßen- und
schifffahrtsverwaltung des Bundes. Darauf sind die Pegelstände
aller Flüsse aufgeführt und besonders niedrige Wasserhöhen farblich
markiert. sämtliche Messwerte, die tiefer liegen als der Durchschnitt
der niedrigsten Pegelstände der vergangenen Jahre, werden orange her-
vorgehoben. Ende vergangener Woche waren an der Elbe nahezu alle
Pegel östlich von Hamburg orange markiert, ebenso die meisten Mess-
werte an der Weser und der Oder. und an der Donau der Abschnitt zwischen
straubing und Vilshofen.
Kritisch ist hier der Pegel Pfelling, an dem auch Kapitän Dimitrov
nicht vorbeikommt. Was für seine gäste ärgerlich ist, wird für die Reederei
Köln-Düsseldorfer Deutsche Rheinschiffahrt (KD), die die Emerald Sky be-
treibt, zum wirtschaftlichen Problem. Im vergangenen Jahr habe das Niedrig-
wasser das unternehmen eine halbe Mil lion Euro gekostet, berichtet KD-
Chef Achim schloe mer. Damit hat sich das Jahresergebnis halbiert. »Natür-
lich gab es immer schon Zeiten mit Niedrigwasser«, sagt der Reederei-Chef,
»aber in dieser Häufigkeit und Länge ist das neu.«
Von Königsbrück im Landkreis Bautzen sind es bis zum Elbe-Hafen in Dres-
den rund 30 Kilometer. Dorthin muss Fréderic Robert-Kasper seine Ware brin-
gen, um sie zu verschiffen. Die Baustofffirma, für die er seit vergangenen Diens-
tag nicht mehr arbeitet, vertreibt unter anderem sogenannte Wasserbausteine.
sie dienen der Buhnen-sanierung in der Elbe und sollen die Fließgeschwindig-
keit des Wassers regulieren. Robert-Kasper ist beim transport auf die Binnen-
schifffahrt angewiesen. Oft gibt es noch nicht einmal eine straße, um ans ufer
zu gelangen, wo die steine gebraucht werden. Also bleibt nur das schiff.
In den vergangenen Jahren war das angesichts des Niedrigwassers nicht
immer einfach. Im März 2018 ging bei ihm eine Bestellung für Wasserbau-
steine ein. Wegen des Niedrigwassers konnte er erst im Januar 2019 liefern.
Vor zwei Jahren brachte er steine per Lastwagen zum Hafen. Weil das
schiff aber wegen des flachen Wassers weniger laden konnte, blieben
100 tonnen im Hafen liegen. Die konnte er natürlich nicht in Rech-
nung stellen, zusätzlich fielen Lagerkosten an. Ein paar tausend
Euro Verlust waren das dann. Daher nahm Robert-Kasper an
einer Ausschreibung, die kürzlich auf seinem tisch lag – im-
merhin mit einem Volumen von rund 150.000 Euro –, gar
nicht erst teil. »Das Risiko ist auf der Elbe gerade nicht
kalkulierbar«, sagt er.
Deutschland hat 7467 Kilometer Wasserstraßen.
Rund 2000 deutsche Frachtschiffe sind darauf
unterwegs, sie transportierten 2017 rund
2,5 Millionen tonnen. Diese güter
lassen sich nicht einfach auf die
ohnehin schon überlaste-
ten Bahntrassen

Fortsetzung auf s. 18

D


ZEIT-Grafik: Jelka Lerche

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