Die Zeit - 01.08.2019

(Kiana) #1

  1. August 2019 DIE ZEIT No 32


mittel

aktuell

208

36

212

23

175
61

237
94

228

185

325

380

184
56

182

25

230.100 km
Straßen

7476 km
Wasserstraßen

Nicht allein der Rhein


Ein Netz aus Wasserstraßen
durchzieht die Republik, aber so groß
wie das Straßennetz ist es nicht

33.426 km
Schienen

* Tagesausflugs- und Kabinenschie

1347 Mio. t
Lkw

364 Mio. t
Bahn

221 Mio. t
Binnenschiff

Straße und Bahn liegen vorn


Gütermenge, die mit
verschiedenen Verkehrsträgern im Jahr
2016 transportiert wurde

Ein modernes
Binnenschiff ersetzt bis zu

150 Lkw


Z E I T- GRAFIK/Quellen: Bundesverband der Deutschen Binnenschifahrt e. V., Statistisches Bundesamt, Umweltbundesamt (rundungsbedingte Dierenzen möglich)

26 %
Erze, Steine,
Erden u. ä.

19 %
Kokerei- und
Mineralölerzeugnisse

14 %
Kohle, rohes Erdöl,
Erdgas

11 %
chemische
Erzeugnisse

7 %
Land- und
forstwirt-
schaftliche
Erzeug-
nisse

6 % Metalle und
Metallerzeugnisse

5 %
Sekundär-
stoffe,
Abfälle

4 %

Nahrungs- und
Genussmittel
Holzwaren, Papier-
und Druckerzeugnisse

9 %
Sonstiges

1 %

Deutschlands Wasserstraßen


Niedrige Pegelstände


Viele Kraftwerke und Industriebetriebe sind
darauf angewiesen, dass die Flüsse genug Wasser
führen (und dieses nicht zu warm ist)

Der Pegelstand gibt die
Wassertiefe an einem
bestimmten Messpunkt an.
Die für Schiffe tatsächlich
nutzbare Wassertiefe auf
einem Flussabschnitt kann
höher oder niedriger liegen.

Steine, Kohle, Öl


Vor allem Rohstoffe und Chemikalien
werden mit Schiffen transportiert

Auf den Flüssen unterwegs


Kohlefrachter, Tankschiffe, Ausflugsdampfer: Rund
3000 Schiffe gehören zu Deutschlands Binnenflotte

AKW

Kohlekraftwerk
(ab 100 MW)

Pegelstand, in cm

1957
Frachtschiffe
haben eine
Ladekapazität
von 2,5 Mio. t

1045
Fahrgastschiffe*
können 220.
Personen be-
fördern

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18 WIRTSCHAFT
oder die straße verlagern. um nur ein einziges
modernes Frachtschiff zu ersetzen, bräuchte es bis
zu 150 Lastwagen. Vor allem Raffinerien, Kraft-
werke, stahl- und Chemiewerke sind von den
schiffstransporten abhängig. Führen die Flüsse zu
wenig Wasser, bekommen die Fabriken keinen
Nachschub oder können weniger Ware verkaufen.
Den Land- und Forstwirten geht es nicht besser.
Was 2018 für viele Menschen ein traumsommer
mit lauen Nächten und ohne Regen war, war für sie
ein Horrorsommer, dessen Folgen sie bis heute
spüren. Die Felder haben sich von den schäden der
Dürre des vergangenen Jahres noch nicht erholt. In
den Wäldern machen sich Borkenkäfer über die
ausgetrockneten Bäume her, das schadholz vom
vergangenen Jahr ist noch nicht abtransportiert.
»Eine einzelne Hitzewelle, das ist bloß Wetter,
aber mehrere Jahre mit etlichen Hitzewellen nach-
ein an der, das ist Klimawandel«, sagt Bernhard
Krüsken, generalsekretär des Deutschen Bauern-
verbands. Für die Landwirte, die von der Natur
leben, sei längst klar, dass sich die klimatischen
Bedingungen verändern. »Wir beobachten schon
seit vielen Jahren, dass viele Pflanzen früher blühen,
dass es später Frost gibt oder die trockenperioden
intensiver und länger werden.« Langfristig sei der
trend unverkennbar: mehr Hitze und – zumindest
regional – weniger Wasser.
Neu ist, dass der Mangel die Verbraucher in-
zwischen sogar zu Hause trifft. Was dann passiert,
lässt sich in Lohne im niedersächsischen Landkreis
Vechta beobachten. Dort ist ein streit ums Wasser
entbrannt. Es geht um die Frage, wie viel Wasser
dem geflügelriesen Wiesenhof zusteht und wie viel
den Bürgern der gemeinde.
stephanie Deux, die mit ihrer Familie auf einer
Anhöhe in Lohne wohnt, berichtet vom Leben ohne
Wasser. gestern sei sie von ihrer schicht als service-
kraft zurückgekehrt und habe nicht duschen kön-
nen. In der siedlung würden jene Bewohner, die
in ihren gärten einen Brunnen hätten, Nach-
barn mit Eimern voll Wasser aushelfen.
In Lohne wie im Rest des Landes ver-
binden sich Hitze und trockenheit zu
einer ungünstigen gemengelage: Wenn
es über lange Zeit kaum regnet, fällt
irgendwann der grundwasserspiegel.
Es steht also weniger neues Wasser
zur Verfügung. Wenn es dann auch
noch heiß ist, steigt der Verbrauch
teils dramatisch an – besonders
wenn abends in den gärten die
Rasensprenger laufen. Die Netze
der Versorger sind darauf nicht
ausgelegt, es fehlt an Pumpen,
tanks, Leitungen. solche Extreme
kamen zuletzt häufiger vor – und
dauerten länger an, berichten
Wasserversorger im ganzen Land.
In Lohne ist der grund des
Problems ein Rohr mit 45 Zentimeter Durch-
messer, die bislang einzige Wasserleitung, die einen
teil des Orts versorgt. sie transportiert an normalen
tagen pro Kopf etwa 115 Liter. Wenn es so heiß ist
wie in den vergangenen Wochen, steigt der Ver-
brauch besonders in den Abendstunden dramatisch.
Dann fällt der Druck in der Leitung, so sind die
gesetze der Physik, da kann das Wasserwerk noch
so sehr pumpen. In bis zu 300 Haushalten, die sich
am Ende der Leitung befinden, kommt in dieser
Zeit kein tropfen mehr an.
Die Wasserknappheit in Lohne beruht also auf
einem transportproblem. Einerseits. Andererseits
geht es im Landkreis Vechta auch um grund-
sätzliches: Verschiedene Parteien streiten dort
ums Wasser. Da sind die Bewohner von
Lohne, die es im Haushalt brauchen. Da
sind die Landwirte, die nach Angaben der
Kreisverwaltung immer mehr Anträge
stellen, ihre Felder künstlich zu bereg-
nen. und da ist die Fleisch indus trie,
die sich in diesem teil Niedersach-
sens wie in keiner anderen Region
Deutschlands ausgebreitet hat.
In Lohne betreibt der Wiesen-
hof-Konzern einen hochmoder-
nen schlachthof. um das Fleisch
und die Anlagen zu reinigen,
braucht es Wasser, viel Wasser.
800.000 Kubikmeter pro Jahr
darf Wiesenhof aus dem Boden
entnehmen, so hat es der Land-
kreis erlaubt. Diese Menge ent-
spricht dem Jahresverbrauch von
etwa 17.000 Menschen.
Der Konflikt beschäftigt sogar die gerichte. Der
Naturschutzbund Niedersachsen hat die Kreisver-
waltung verklagt. Wiesenhof gefährde die grund-
wasserreserven, ein nahe gelegenes Moorgebiet und
ein Amphibienbiotop, argumentieren die Natur-
schützer. Wiesenhof verweist auf ein gutachten,
das die Bedenken des Naturschutzbundes entkräf-
te. Wann das Verwaltungsgericht Oldenburg ent-
scheidet, ist noch unklar.
Jörg Rechenberg vom umweltbundesamt in
Dessau sieht in Konflikten wie in Lohne ein Pro-
blem, das sich in den nächsten Jahren verschärfen
könnte: »Der Kuchen wird kleiner, aber es wollen
immer mehr Leute davon essen.« Neu sei, dass die
Landwirte plötzlich mit am tisch säßen. Bislang
mussten die Bauern in Deutschland ihre Felder
kaum bewässern, weil der Regen ausreichte. »Das
ändert sich gerade und stellt unsere systeme auf den
Prüfstand«, sagt Rechenberg.
Deutschland sei noch immer ein wasserreiches
Land, was sich auch so schnell nicht ändern werde,
betont Rechenberg. »Aber in einzelnen Regionen
wird man sich über die Verteilung des Wassers
gedanken machen müssen. Jeder weitere trockene
sommer verschärft die Konflikte.«
Wird es in den nächsten Wochen wieder heiß
und trocken? Niemand kann das sicher vorhersagen.
Anfang dieser Woche hat es geregnet, und an der
Donau ist der Wasserstand gestiegen. Der Pegel
Pfelling kletterte binnen weniger stunden um einen
Meter, und die Emerald Sky konnte ihre Reise mit-
samt ihren Passagieren fortsetzen. »Das hilft uns
aber nur für einige tage«, sagt Kapitän Dimitrov.
»Wenn es danach trocken bleibt, fällt der Wasser-
stand ganz schnell wieder.« und er muss mit seinem
Luxusliner dann vielleicht wieder in einer Indus-
triebrache festmachen.
http://www.zeit.de/audio
Schlacht ums Geld
Die Wirtschaft schwächelt. Doch
Mario Draghi ist der Falsche, um das
zu richten VON LISA NIENHAUS
WIRTSCHAFTSKOMMENTAR

Die Europäische Zentralbank in
Frankfurt soll alle retten
D
eutschlands wichtigstes gericht und
der stolz seiner Bürger, das Bundesver-
fassungsgericht, befasst sich dieser tage
mit der geldpolitik der Europäischen Zentral-
bank. und es erscheint wie die schlacht von ges-
tern. Eine wichtige schlacht, ja – alle alten
Kämpfer reden sich gekonnt in Rage –, aber sie
ist doch geschlagen. schließlich hat die EZB
den Kauf von staatsanleihen, um den es hier
geht, nicht nur in gigantischem Ausmaß jahre-
lang vollzogen. sie hat sogar schon wieder damit
aufgehört. sie kauft derzeit nur noch, wenn An-
leihen auslaufen, um den Bestand zu erhalten.
Dazu kommt, dass nicht zu erwarten ist, dass
das etwas kleinlaut gewordene Verfassungs-
gericht ihr klare grenzen setzt. schließlich hat
es das schon beim letzten Mal nicht gewagt.
und da ging es um ein weitaus umstritteneres
Kaufprogramm von staatsanleihen; eines, das
die EZB nie umgesetzt hat.
und während sich beide seiten der alten streit-
front noch einmal die alten Argumente um die
Ohren schlagen (»Enteignung der sparer!«, rufen
die einen, »Der Euro zerbricht!«, die anderen),
merken sie nicht, was um sie herum passiert. Da
hat sich nämlich längst alles verändert.
Das beginnt damit, dass in Frankfurt gerade
die schlacht von morgen vorbereitet wird. Noch-
EZB-Präsident Mario Draghi (im November folgt
auf ihn Christine Lagarde) hat in der vergangenen
Woche signalisiert, dass er wegen der leicht ins
stocken geratenen Wirtschaft Europas wieder
mehr tun könnte. Arbeitsgruppen sollen eine
mögliche Operation für september vorbereiten:
Die Ideen reichen von noch niedrigeren Zinsen
bis zu einem neuen Kaufprogramm, das sich in
größe und Zusammensetzung vom bisherigen
unterscheiden dürfte. schon fordern die ersten
Verrückten, die EZB solle Aktien kaufen.
Es geht damit weiter, dass die Fragen zu dieser
Politik ganz andere sind. Nicht mehr nur: Darf
der das? sondern: Wirkt das überhaupt? Mit dem
geld der Notenbank, das stellt Europa überrascht
fest, ist es ein wenig wie mit Kaffee. Erhöht man
die tägliche Dosis, wirkt das belebend, aber nur
eine Zeit lang. schnell gewöhnt sich der Körper
daran. um richtig wach zu werden, kann man die
Dosis immer weiter erhöhen. Aber irgendwann
ist eine grenze erreicht: Dann macht ein weiterer
Espresso nicht mehr wach, sondern zittrig.
Mario Draghi hat in seiner Zeit als EZB-
Präsident die geld-Dosis oft erhöht – auf nie
gekannte Höhen. Das Ziel einer Inflation von
nahe, aber unter zwei Prozent, das die EZB sich
gesetzt hat, verfehlte er doch immer wieder.
und die Wirtschaft, die bei solch einer Politik
boomen sollte, tut das gegenteil: sie schwä-
chelt, etwa in Deutschland. sie zittert.
Es könnte also sein, dass die EZB die grenze
erreicht hat, ab der die Erhöhung der Dosis nichts
mehr bringt. Zumal die schäden mittlerweile zu-
tage treten. Immobilien- und Aktienpreise sind in
die Höhe geschossen. Falls das schon Blasen sind



  • und vor Überhitzung auf dem Immobilienmarkt
    warnen sogar schon EZB-eigene gremien –, kann
    man sie durch noch mehr geld vom Platzen ab-
    halten. Dann platzen sie im schlimmsten Fall
    später umso spektakulärer.
    Wer glaubt, die Notenbank könne doch so-
    wieso nicht mehr viel tun, der schaue sich nur
    die neue staffel der grandiosen Netflix-serie
    Haus des Geldes an. Da lassen Bankräuber Zep-
    peline über Madrid kreisen und geld abwerfen,
    insgesamt 140 Millionen Euro. Chaos bricht
    aus, weil die Leute alles stehen und liegen las-
    sen, um die scheine zu fangen. und doch zitie-
    ren die Diebe nur eine ökonomische Idee, das
    sogenannte Helikoptergeld. In abgewandelter
    Form, etwa als gutschrift an die Bürger, wird es
    ernsthaft in Zentralbanken diskutiert.
    Es geht also noch mehr. soll die EZB es aber
    tun? Das sollte nicht juristisch entschieden werden,
    sondern anhand einer Frage: Funktioniert es?
    Zuletzt funktionierte es nicht mehr richtig,
    erhöhte vor allem gefahren. Das spricht dafür,
    endlich mal den Blick zu wenden. Wieso schauen
    alle auf Mario Draghi, wenn der Maschinenbau
    hustet – während es in der deutschen Politik schick
    geworden ist, nichts von Wirtschaft zu verstehen?
    Diese Arbeitsteilung zwischen Frankfurt und
    Berlin ist unsinn. Denn die Probleme, die
    Deutschlands Wirtschaft hat, kann Draghi nicht
    lösen. Es braucht Politiker, die sich etwas zu trauen:
    die unternehmen zu mehr Investitionen verleiten
    zum Beispiel; die Innovationen geschickt fördern;
    die das völlig verkorkste Verhältnis zur Auto-
    industrie klären; und die ein überzeugendes Kon-
    junkturprogramm aus der schublade zaubern, falls
    es ganz schlimm kommt. Aber nur dann.


Läuft nicht Fortsetzung von s. 17


Landwirtschaft

62 %
Energieversorgung

Verwendung
von Wasser in
Deutschland
(im betrieblichen Bereich)

28 %
verarbeitendes Gewerbe

6 %
Bergbau

2 %^11

Wasserversorgung
Sonstiges

Foto: Vario Images
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